Originaltitel: Bakunin, die AfD, mein Vater und die sozialen Bewegungen – Eine Revitalisierung von Die Reaktion in Deutschland (1842)
zuerst veröffentlicht in: Gai Dao #108, Mai 2020
von: Jens Störfried

Einstieg in die sozial-revolutionäre Philosophie
Ein (proto-)anarchistischer Text, der mich vor Jahren begeistert hat, war Die Reaktion in Deutschland von Michael Bakunin. Der reißerische Titel allein war es wert, den mal wieder zu lesen… Und siehe da: Inzwischen verstehe ich das philosophische Gedankenkreisen noch etwas besser und finde es hochaktuell. In dieser Darstellung werde ich allerdings etwas abstrakt bleiben, um die Denkweise Bakunins nachzuempfinden und hoffe, sie dennoch etwas zugänglicher zu machen.
Zum Hintergrund: Michael Bakunin, ein privilegierter Aristokratensohn aus Russland, war 1840, nach quittiertem Militärdienst und seinem Philosophiestudium in Moskau nach Berlin gekommen. Sein ausgeprägtes Interesse an radikaler Philosophie, in die er sich völlig hineinsteigerte, kippte durch den Kontakt zu sozialistischen Revolutionär*innen in die radikale Praxis. Fortan knüpfte er weitere Verbindungen zu Sozialist*innen, setzte sich unter anderem für die Unabhängigkeit Polens ein, nahm an der Februarrevolution in Paris 1848 teil und wurde im Mai 1849 nach einem missglückten Aufstand in Dresden verhaftet. Alles für die Demokratie, alles für die Republik! Erst nach seiner achtjährigen Haftstrafe, anschließender Verbannung und Flucht, formulierte er eigenständige explizit anarchistische Gedanken – wobei er aufgrund seiner revolutionären Tätigkeiten dafür meistens keine Zeit hatte. 1876 starb er schließlich in Bern.
Damit kehre ich ins Jahr 1842 zurück. Bakunin war 28 Jahre alt und eben mit den radikalen „Junghegelianern“ bekannt geworden, da schrieb er schon den besagten Aufsatz in einer Zeitschrift der intellektuellen Revolutionär*innen. Da es sich um seinen Debüt-Artikel handelte, verwendete er das wohlklingende Pseudonym Jules Elysard. Wie es nun mal ist, wenn sich ein kaum bekannter, ambitionierter, junger Mensch einen Namen machen will, versucht Bakunin die ganze Schärfe seines philosophischen Denkens in diesen Sätzen aufzufahren. Dazu trägt er ziemlich dick beim abstrakten Denken auf und klatscht den Lesenden seinen Hegel um die Ohren. Weiterhin rechnet er selbstbewusst mit anderen Positionen ab, greift sie an, um sich zu profilieren und zeigt, dass er jetzt ein Post-Metaphysiker ist. Der Artikel wirkt wie die Komposition eines rauschenden literarischen Musikstücks und endet mit dem fulminanten Schlusswort, dass ihn auf einen Schlag bekannt gemacht hat: „Laßt uns also dem ewigen Geiste vertrauen, der nur deshalb zerstört und vernichtet, weil er der unergründliche und ewig schaffende Quell alles Lebens ist. – Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust!“1 – Willkommen im Kreis der Radikalen!
Bakunins negative Dialektik
Worum geht es nun in Die Reaktion in Deutschland und warum ist der Artikel auch für die heutige Situation interessant? Grob gesagt spürten die Radikalen in diesen Jahren deutlich die Zunahme staatlicher Repression. Überall wurden republikanische, demokratische, sozialistische Forderungen unterdrückt und zurückgeschlagen. Doch es rumorte gewaltig in ganz Europa und aus Sicht der Radikalen braute sich eine vorrevolutionäre Situation zusammen. Ich schreibe aus „ihrer Sicht“, weil das Leben für die meisten Bürger*innen soweit seinen gewohnten Gang ging und die Lebenssituation z.B. der Arbeiter*innen und Bäuer*innen sie nicht groß interessierte. In dieser Zeit formulierte Bakunin also eine radikale philosophische Analyse der gesellschaftlichen Situation. Denn im Nachgang der Französischen Revolution scheinen mittlerweile alle von „Freiheit“ zu sprechen. Doch was sie damit meinen, steht auf einem völlig anderen Blatt.
Um dies herauszufinden, betrachtet Bakunin, welche politischen Lager sich aktuell gegenüber stehen. Da sind die alten Aristokrat*innen und die bürgerliche und wirtschaftliche Beamt*innenklasse. Trotz ihres gesellschaftlichen Einflusses und ihrer Stellung sind sie im Grunde genommen völlig uninteressant, da sie keine aktive politische Kraft bilden. Wichtig sind stattdessen die Reaktionär*innen, welche sich als konservative Parteien erst in Reaktion auf die Französischen Revolution und die Napoleonischen Kriege politisch formiert haben. Mit diesen „wollen wir reden; es wäre abgeschmackt von uns, ihre Existenz zu ignorieren und so zu tun, als ob wir sie für unbedeutend hielten; wir werden im Gegenteil aufrichtig gestehen, daß sie jetzt überall die regierende Partei […] [sind], und noch mehr: wir wollen […] [ihnen] zugeben, daß ihre gegenwärtige Macht nicht ein Spiel des Zufalls ist, sondern in der Entwicklung des modernen Geistes ihren tiefen Grund hat“. Die Konservativen unterscheidet Bakunin wiederum in die reinen, konsequenten Reaktionär*innen und die vermittelnden, inkonsequenten Reaktionär*innen. Er bezeichnet sie zusammen als das „Positive“.
Die Positiven treten für die bestehende Herrschaftsordnung ein, welche allerdings erst aus der Restauration des alten Zustandes hervorgegangen war. Demgegenüber steht das Lager der Demokrat*innen. Sie bilden das „Negative“, weil sie die bestehende Herrschaftsordnung kritisieren und überwinden wollen. (Dieses Lager bei näherer Betrachtung zwar auch äußerst heterogen, aber für den vorliegenden Zusammenhang gesamtgesellschaftlicher Kämpfe taugt die Vereinfachung.) Im Verlauf des Textes begründet Bakunin in einer ausführlichen Überlegung in Anschluss an Hegel, warum die jeweiligen Lager sich nicht einfach als verschiedene politische Parteien gegenüberstehen, sodass zwischen ihnen vermittelt werden könnte. Vielmehr müsse das Negative letztendlich das Positive überwinden. Denn in ihm ist ein Wahrheitsüberschuss vorhanden, der schließlich zu einer Transzendierung des Gegensatzes und damit zu einer neuen Gesellschaftsform führen werde. Mit anderen Worten: Demokratie, Gleichheit und Freiheit sind als Prinzipien der alten hierarchischen Ordnung (aus geschichtsphilosophischen Gründen) überlegen und werden zu ihrer Abschaffung führen. Bakunin denkt hierbei nicht an eine konkrete „bessere“ zukünftige Gesellschaftsform, wie den demokratischen Kapitalismus, den Staatssozialismus oder dergleichen. Vielmehr setzt er den fiktiven Fluchtpunkt einer vollkommenen Verwirklichung der Freiheit und Gleichheit aller Menschen, die eine harmonische Gemeinschaft bilden und in einem gemeinsamen Geist verbunden sind. (Für letzteres verwendet er wie Schelling die Begriffe „Kirche“ und „Religion“, womit jedoch abstrakte Prinzipien gemeint sind.) Es geht um ein Ideal, dem die Menschheitsgeschichte Bakunins Ansicht nach entgegenstrebt. Dieses lässt sich nicht durch, sondern nur gegen den Staat verwirklichen. Es soll allerdings bewusst nicht als konkrete Utopie ausgemalt werden, weil die Idee zählt und die Bewegung zu ihr.
Weil das negative Lager der Demokrat*innen sich aus der Kritik am Bestehenden speist, entwickelt es selbst kaum konkrete Inhalte. Interessanterweise trifft dies aber ebenso auf das positive, konservative Lager zu. Scheinbar ruht jenes vollkommen in sich selbst, weil es ja das Bestehende verkörpert und erhalten will. Tatsächlich ist es aber konservativ in Reaktion auf massiven gesellschaftlichen Umwälzungen der vorherigen Jahrzehnte und aufgrund der ängstlichen Ahnung, dass weitere Revolutionen anstehen werden. Ihren Inhalt definieren die Konservativen also in Abgrenzung zu den Demokrat*innen. Beide Lager sind somit in einem inneren Zusammenhang, einer „Totalität“, aufeinander bezogen und bringen sich gegenseitig in Bewegung. Spannend ist, wie sich diese Aufeinander-Bezogenheit auflösen und auf eine höhere Ebene heben lässt.
Die reaktionäre Partei (wird zerstört werden)
Wie erwähnt formierte sich das reaktionäre Lager, um die soziale Revolution zurückzuschlagen. Auch wenn der Begriff soziale Revolution erst in den Kämpfen der europäischen 1848er-Revolution geprägt wurde, kann er in diesem Zusammenhang schon angewendet werden. Mit ihm wird ausgedrückt, dass ein bloßer Austausch der Regierenden bei der Übernahme der Staatsmacht nicht als zielführend für das Ziel einer umfassenden Emanzipation angesehen werden kann. Denn die sozialen Kämpfe finden keineswegs nur auf der Ebene des Politischen statt, sondern richten sich mindestens ebenso gegen den Kapitalismus (das ökonomische Herrschaftsverhältnis), die Religion (also die Ideologie), die Nation (die Frage, wie eine komplexe Gesellschaft integriert werden kann) und gegen das patriarchale Geschlechterverhältnis. Die Reaktionär*innen richten sich ihrerseits also gegen bereits vollzogene gesellschaftliche Veränderungen und die möglicherweise kommenden.
Jene konsequenten Reaktionär*innen, die Bakunin meint, finden sich heute in ganz verschiedenen Kreisen, welche ihre politische Organisation in der AfD haben. Bakunin lobt die Aufrichtigkeit seiner Feind*innen, was zunächst äußerst merkwürdig anmutet. Dazu ist allerdings zu sagen, dass es noch keinen Faschismus gegeben hat. Nichtsdestotrotz wurden die Progressiven massiv unterdrückt, ausgegrenzt, eingesperrt und mundtot gemacht. Daraus macht Bakunin keinen Hehl und schreibt, diese „fanatischen Reaktionäre verketzern uns; – wenn es möglich wäre, würden sie vielleicht selbst die unterirdische Macht der Inquisition aus der Rüstkammer der Geschichte aufrufen, um sie gegen uns zu brauchen; sie sprechen uns alles Gute, alles Menschliche ab, sie sehen in uns nichts anderes als eingefleischte Antichristen, gegen welche jedes Mittel erlaubt ist. – Werden wir ihnen mit derselben Münze bezahlen? Nein, es wäre unser und der großen Sache, deren Organe wir sind, unwürdig“. Bakunin bezieht sich auf die konsequenten Reaktionär*innen denn sie „fassen den Gegensatz in seiner Reinheit; sie fühlen wohl, daß das Positive und Negative sich ebensowenig vermitteln lassen wie Feuer und Wasser, und da sie im Negativen nicht sein affirmatives Wesen sehen und somit nicht an das Negative glauben können, so folgern sie daraus ganz richtig, daß das Positive durch eine vollständige Unterdrückung des Negativen durchaus erhalten werden müsse“. Hieraus ergibt sich jedoch der blinde Fleck der Reaktionär*innen: Weil sie nicht begreifen, dass sie selbst Teil der Auseinandersetzung und auf die Demokrat*innen bezogen sind, würde ihre Reaktion letztendlich zu einem Sieg der Negativen über die bestehende Herrschaftsordnung und ihre Verfechter führen. Denn das „Positive und das Negative sind […] nicht gleichberechtigt […]; der Gegensatz ist kein Gleichgewicht, sondern ein Übergewicht des Negativen, welches der übergreifende Moment desselben ist; – das Negative, als das bestimmende Leben des Positiven selbst, schließt in sich allein die Totalität des Gegensatzes ein und so ist es auch das absolut Berechtigte“.
In meinen Worten und auf die heutige Situation angewandt bedeutet dies: Wenn die reaktionären Rechten ihre Positionen klar vertreten, offenbaren sie damit das Prinzip von Herrschaft selbst, ihr Menschenbild (dass auf Ungleichheit beruht), ihr Verständnis von Politik (welches Kampf als Selbstzweck annimmt) und ihre Gesellschaftskonzeption (die autoritär, hierarchisch und homogen ist). Die vermeintliche Vergangenheit auf welche sich die Reaktionär*innen beziehen, welche sie vorgeben, bewahren zu wollen, entpuppt sich somit als nachträgliche Konstruktion. In der propagierten Form gab es sie nie und an ihr festzuhalten ist in keiner Weise erstrebenswert. Sie haben zwar insofern „recht, als diese Vergangenheit wirklich eine in sich lebendige Totalität war, und als solche viel lebendiger und reicher als die zerrissene Gegenwart erscheint; – ihr großer Irrtum besteht aber darin, daß sie meinen, sie in ihrer vergangenen Lebendigkeit vergegenwärtigen zu können; sie vergessen, daß die vergangene Totalität ihnen selbst nunmehr nicht anders als in dem auflösenden und zerspaltenden Reflexe des heutigen, unvermeidlichen und aus ihr selbst entstandenen Gegensatzes erscheinen kann und daß sie, als Positives, nur der entseelte, d. h. dem mechanischen und chemischen Prozesse der Reflexion preisgegebene Leichnam seiner selbst ist“.
Bestimmte Ausprägungen der Herrschaft, der herrschenden Moral und hierarchischen Strukturen und Beziehungen sind für viele Menschen inzwischen unhaltbar. Sie wollen mehr vom Leben und haben vielfach stark verinnerlichte ethische Werte der Gleichheit, Freiheit, Solidarität, der Vielfalt und Selbstbestimmung. Viele Leute haben kein Interesse an autoritären Strukturen, an ihrer eigenen Ausbeutung, an der Zerstörung der Mitwelt, an Kriegen oder dem Patriarchat. Die heutige Gesellschaft hat sich durch die Kämpfe von progressiven sozialen Bewegungen wie auch durch die Transformation des Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten beachtlich verändert. Und zwar in einiger Hinsicht auch zum Besseren. Erst wenn deutlich wird, worin Herrschaft besteht und wofür die Reaktionär*innen wirklich eintreten, können sie in ihrer Konsequenz konsequent bekämpft werden. Viele von ihnen wissen das auch, weswegen sie im demokratischen Diskurs ihre eigentlichen Zielsetzungen teilweise verbergen oder relativieren müssen. So kommen beispielsweise die Flügelkämpfe zwischen völkisch/faschistischen und nationalistisch/neoliberalen Strömungen in der AfD zustande.
Bei den Faschist*innen sind es Höcke, Kubitschek und andere, die eine Polarisierung der gesellschaftlichen Konflikte bewusst befördern, um ihren totalitären Anspruch geltend zu machen. Bakunin findet dies jedoch – bei all den Schwierigkeiten, die Menschenfeindlichkeit, die dort zu Tage tritt, auszuhalten – zielführend. Es wäre diese Selbstoffenbarung, die auf lange Sicht gedacht zum Sieg über die Reaktionär*innen führen werde. Zugespitzt gesagt: Sie sind Feind*innen der Freiheit. In der politischen Praxis bedeutet dies selbstverständlich nicht, die Hände in den Schoss zu legen und abzuwarten. Ganz im Gegenteil kann der Kampf nun aktiv aufgenommen werden, weil der Feind bestimmt ist. Im Unterschied zu den Faschist*innen wird die Konfrontation jedoch nicht als Selbstzweck angesehen. Es den Feind*innen mit „derselben Münze“ zurückzuzahlen, ist unserer nicht würdig; sind sie nicht wert. Letztendlich sind wir ihnen mit unseren ethischen Werten überlegen, egal, wie sie uns diffamieren, das sie uns hassen und vernichten wollen. Wenn sie ihren ganzen Hass, ihre Hässlichkeit, ihre Engstirnigkeit und Unfähigkeit offen herausstellen, werden sie damit in den eigenen Untergang getrieben und schließlich in der sozialen Revolution zerstört werden. Wie erwähnt ist dies kein Selbstläufer, sondern dazu gilt es aktiv beizutragen.
Der Generationenkonflikt und die vermittelnden Konservativen
Zunächst hatte ich gedacht, dass ich tatsächlich etwas über meinen Vater schreibe. Dann habe ich mich dagegen entschieden, weil ich das mit ihm selbst klären muss. So dient er mir dankenswerterweise nur für die kreative Überschrift… Revolutionäre Situationen sind auch immer Generationenkonflikte. Das war auf jeden Fall in der 1848er-Revolution so, bei der Revolutionswelle von 1917 an, in der 68er-Revolution und auch bei den Revolutionen des „Arabischen Frühlings“. Generationenkonflikt bedeutet nicht, dass die ganze Jugend „links“ und antiautoritär eingestellt ist, während ihre Eltern nach rechts und zum Autoritarismus tendieren. Er bedeutet vor allem, dass für viele Ältere die bestehende Gesellschaftsordnung gewohnt ist, sie darin irgendwie ihren Platz gefunden und sich möglicherweise etwas Wohlstand erarbeitet haben, den sie nicht verlieren wollen. Viele jüngeren Menschen verstehen nicht oder wollen nicht verstehen, warum die Gesellschaftsordnung so sein soll, wie sie ist, warum sie sich angeblich nicht verändern lässt. Um einen Platz in ihr zu finden, müsste sich darum die Gesellschaft verändern. Ihr Ziel ist nicht unbedingt die Erhaltung des eigenen Wohlstandes, sondern vor allem eine gewisse materielle Absicherung, die auch heutzutage und in Zukunft für sehr viele Menschen nur äußerst schwierig zu gewährleisten ist. Früher wollten Eltern, dass es ihren Kindern einmal besser geht. Heute glauben nur noch wenige Bürger*innen an dieses Märchen. Nur Geflüchtete können darauf hoffen, denn im Vergleich zu ihren Herkunftsländern sind die Brotkrumen des europäischen Wohlstands immer noch mehr als die völlige Perspektivlosigkeit. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sie die Festung Europa überwinden und den Weg dorthin überleben. Wenn die Situationen der Generationen verschiedenen ausgeprägt sind und sie sich insgesamt stark auseinander entwickeln, führt dies zu einer unterschiedlichen Wahrnehmung der gesellschaftlichen Situation: „Friede, – sagen Sie, – ja, was man nun Friede nennt! – Ich behaupte aber dagegen, daß noch nie die Gegensätze so scharf hingestellt waren wie jetzt, – daß der ewige Gegensatz, der in allen Zeiten derselbe ist, nur daß er sich im Fortgange der Geschichte immer mehr steigert und entwickelt, – daß der Gegensatz der Freiheit und der Unfreiheit sich in unserer, den Auflösungsperioden der heidnischen [= im Kontext etwa: „entfremdeten“] Welt sonst so ähnlichen Gegenwart zu seiner letzten und höchsten Spitze getrieben und emporgeschwungen hat!“. Die Jüngeren drängen auf grundlegende Veränderungen, die Älteren, wollen die bestehende Gesellschaftsordnung erhalten und höchstens reformieren. (Der Veränderungsdrang der Jüngeren kann allerdings auch reaktionär bedient und gewendet werden, wenn es gelingt, das politische Establishment, die ökonomisch Herrschenden und den staatlichen Kulturbetrieb als grundlegend linksgrün-versifft darzustellen.)
Bakunin selbst gibt sich als aufmüpfiger Jungspund zu erkennen, wenn er gegenüber den satten, wohlhabenden Bürger*innen schon zu Beginn des Artikels schreibt, es „war ihnen niemals Ernst mit der Freiheit, und die Freiheit war ihnen niemals eine Religion [= etwa: eine echte Leidenschaft], welche die größten Genüsse und die tiefste Seligkeit nur auf dem Wege der ungeheuersten Widersprüche, der bittersten Schmerzen und einer vollständigen, unbedingten Selbstentsagung darreicht. – Schon deshalb lohnt es sich mit ihnen nicht zu sprechen, weil sie alt sind und somit alle bon gré mal gré [= gezwungenermaßen] bald sterben werden“. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass Bakunin – trotz des Selbstbewusstseins eines privilegierten, gebildeten jungen Mannes – mit dem Generationenkonflikt, keine klaren Altersgrenzen meint. Ja, es stimmt, dass die Junghegelianer rebellieren und das die Politiker ihnen als alte Säcke erscheinen. (Beides nicht gegendert, weil reine Männerveranstaltung, leider.) Aber „alt sein“ meint für Bakunin vor allem das Festhalten an einer überkommenen Gesellschaftsordnung, während „jung sein“ für den Wandel und den Tatendrang steht. Deswegen kann auch jemand biologisch alt sein, aber dennoch Veränderungen anstreben, während es umgekehrt „leider auch viele junge Leute [gibt], welche dieselben Überzeugungen oder vielmehr denselben Mangel an aller Überzeugung“ mit den spießigen Besitzbürger*innen teilen. „Mit ihnen ist auch nichts anzufangen und selbst noch weniger als mit der ersten Kategorie der klugen und erfahrenen, ihrem Tode schon so nahe stehenden Leute. – Diese hatten wenigstens einen Schein von Leben, jene aber sind von Hause aus unlebendige und tote Menschen. Ganz eingewickelt in ihre kleinlichen Eitelkeits- oder Geldinteressen und durch ihre alltäglichen Sorgen vollständig in Anspruch genommen, haben sie selbst nicht die mindeste Ahnung vom Leben und von dem, was um sie vorgeht, – so daß, wenn sie in der Schule nicht etwas von Geschichte und Geistesentwicklung gehört hätten, sie wahrscheinlich glauben würden, daß es in der Welt nie anders gewesen ist als jetzt“. Im Generationenkonflikt manifestieren sich also die Tendenzen zum Beharren und zum Wandel. Von den Bewegten wird er so gedeutet, weil es oft jüngere Menschen sind, die sich bewegen (können). Von den Beharrenden wird er allerdings ebenfalls so dargestellt, weil die notwendigen Veränderungsaufgaben entweder an die Jugend abgeschoben werden. Oder, weil die Jugend als irgendwie immer rebellisch, als infantil, naiv und unerfahren abgetan wird.
Als die inkonsequenten Reaktionär*innen (in Bakunins Worten) können heute alle staatstragenden Milieus und Gruppierungen angesehen werden. Politisch organisieren sie sich von der CDU bis hin zu den Grünen. Letztere inszenieren sich zwar als progressiv oder geben sich beispielsweise in Hinblick auf die Klimabewegung aus strategischen Gründen als „Jugendversteher*innen“. Wenn Bakunin vom negativen Lager der Demokrat*innen spricht, meint er damit jedoch nicht politische Parteien, sondern revolutionär gesinnte Kreise und soziale Bewegungen, welche die bestehende Gesellschaftsordnung grundlegend überwinden und nicht irgendwie Kapitalismus und Staat erneuern wollen. Die gesellschaftlichen Spaltungen und Konflikte nehmen die Konservativen ebenso wahr. Um die bestehende Herrschafts- und Gesellschaftsordnung zu erhalten, versuchen sie deswegen auf die Negativen zuzugehen. Letztendlich begreifen sie jedoch nicht, worum sich die Auseinandersetzungen eigentlich drehen und das einige Reformen keineswegs ausreichen werden, um der Notwendigkeit eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels gerecht zu werden. Sie verstehen nicht, dass die Gesellschaft grundlegend strukturell erneuert werden muss – was nur durch eine soziale Revolution gelingen kann. „Was tun die Vermittelnden nun? – Sie geben uns dies alles zu, sie anerkennen die Totalität des Gegensatzes ebenso wie wir, nur daß sie diesen seiner Bewegung, seiner Lebendigkeit, seiner ganzen Seele berauben, oder vielmehr berauben wollen, – weil die Lebendigkeit des Gegensatzes eine praktische, eine mit ihren halben und impotenten Seelen unverträgliche, aber eben dadurch eine über alle ihre Versuche, sie zu ersticken, erhabene Macht ist“. Weil die vermittelnden Reaktionär*innen die Tragweite des gesellschaftlichen Widerspruchs nicht begreifen, „oder vielmehr aus dem ganzen begreiflichen Mißgeschicke ihrer praktischen Gesinnungslosigkeit, ihrer praktischen Impotenz, erkennen sie in den Positiven gerade das an, was an ihnen tot, verfault und nur der Vernichtung würdig ist, – und verwerfen an ihnen das, was ihre ganze Lebendigkeit ausmacht: – den lebendigen Kampf mit dem Negativen, die lebendige Gegenwart des Gegensatzes in ihnen“. Um den gesellschaftlichen Gegensatz zu relativieren und zu übertünchen, reden die vermittelnden Konservativen mit den konsequenten Reaktionär*innen. Sie legen ihnen nahe, dass die Negativen einen legitimen Platz in der Gesellschaft erhalten müssen, um nicht noch stärker und radikaler zu werden. Immerhin handele es sich eigentlich nur um junge Leute, die mit einigen materiellen Zugeständnissen zufrieden gestellt werden könnten. Davon lassen sich die AfDler*innen allerdings nicht überzeugen. Sie wollen uns vernichten. Gleichzeitig wenden sich die Vermittelnden an uns Negative, indem sie beteuern, deren Ideale als gut und edel zu anzuerkennen. „Wir begreifen Ihre jugendliche Begeisterung für die reinen Prinzipien und haben die größte Sympathie für Sie; glauben Sie uns aber, die reinen Prinzipien sind in ihrer Reinheit auf das Leben unanwendbar“. Sie drohen uns damit, dass wir Negativen gar nichts bekommen werden und uns selbst gefährden, wenn wir keine Kompromisse eingehen. Wenn Bakunin gegen eingewandt werde, die Welt sei nun einmal nicht schwarz-weiß, sondern kompliziert, antwortet er darauf: „Wir haben aber gesehen, was dieser vermeinte, von den Vermittelnden bezweckte Fortschritt ist; – wir haben gesehen, daß sie eigentlich nichts anderes als die Erstickung des einzig lebendigen Prinzips unserer sonst so armen Gegenwart, die Erstickung des schöpferischen und zukunftsvollen Prinzips der auflösenden Bewegung wollen; — sie sehen ebenso wie wir ein, daß unsere Zeit eine Zeit des Gegensatzes ist; – sie geben uns zu, daß dies ein schlechter, ein in sich zerrissener Zustand ist, – und anstatt durch die Vollendung des Gegensatzes ihn in eine neue, affirmative und organische [= etwa: „geheilte“, integrierte] Wirklichkeit umschlagen zu lassen, wollen sie ihn, diesen in seiner jetzigen Existenz so dürftigen und schwindsüchtigen Zustand, durch eine endlose Allmählichkeit ewig erhalten. – Ist das ein Fortschritt?“ Der gesellschaftliche Gegensatz ist also Bakunins Ansicht nach so grundlegend, dass eine Vermittlung der jeweils „einseitigen Parteien“ nicht mehr möglich ist. Für ihn sind Vermittlungsversuche allerdings gar nicht wünschenswert, weil sie keine grundsätzliche Veränderung bewirken, keine Transzendierung des Bestehenden hin zu einer neuen Gesellschaftsform: „Der Gegensatz ist total und wahr; – das geben selbst die Vermittelnden zu; – als totaler ist er aber durchaus lebendig, und die Energie seiner allumfassenden Lebendigkeit besteht gerade, wie wir es eben gesehen haben, in diesem rastlosen Sichselbstverbrennen des Positiven in dem reinen Feuer des Negativen“.
Wie die emanzipatorischen sozialen Bewegungen zu sich selbst und über sich hinaus gelangen
Das Problem der Negativen besteht darin, dass sie sich aus der Kritik am Bestehenden zusammenfinden und anhand seiner Ablehnung formieren. Negation meint nicht, zu meckern, nur Reden zu schwingen oder irgendwelche Revolutionsfetische zu pflegen. Vielmehr ist Negation im Sinne Bakunins eine aktive Kraft, welche die Auseinandersetzung mit den Reaktionär*innen aufnimmt. Hierbei handelt es sich um eine qualitative und nicht um eine quantitative Bestimmung. Denn um etwas radikal ändern zu wollen, braucht es zunächst die Veränderung der eigenen Perspektive, welche im Bestehenden geprägt und verhaftet ist; nicht zuerst die Massen von Menschen – die allerdings bei einer sozialen Revolution auf den Plan treten. Was Bakunin mit seinem Aufsatz den Lesenden an die Hand gibt, ist ein Denken in großen geschichtsphilosophischen Kategorien, eine Feindbestimmung, die philosophische Begründung für das Einnehmen von radikalen Positionen und schließlich auch ein Selbstbewusstsein, welches sich aus einer leicht manischen Gewissheit speist. So formuliert er, das „große Prinzip, dessen Dienste wir uns geweiht haben, gibt uns unter vielen anderen Vorteilen das schöne Vorrecht, gerecht und unparteiisch zu sein, ohne dadurch unserer Sache zu schaden. Alles, was nur auf einer Einseitigkeit beruht, kann nicht die Wahrheit selbst als Waffe brauchen, da die Wahrheit die Widerlegung aller Einseitigkeit ist; – alles Einseitige muß in seiner Äußerung parteiisch und fanatisch sein, und der Haß ist sein notwendiger Ausdruck, weil es sich nicht anders behaupten kann, als durch ein gewalttätiges Abschaffen aller anderen ihm entgegengesetzten und ebenso, wie es selbst, berechtigten Einseitigkeiten“. Anstatt einseitig zu werden, gilt es also, die Dinge in ihrer Gesamtheit anzuschauen, um sie nüchtern zu bewerten und nicht aus Hass, sondern mit der Absicht sozial-revolutionärer Veränderungen, zu handeln. Es geht Bakunin nicht um die parteiische Durchsetzung einer bestimmten Gesellschaftskonzeption und die fanatische Bekämpfung eines anderen weltanschaulich-politischen Lagers, sondern um die Aufhebung der Gegensätze auf einer neuen Stufe. In der Wirklichkeit, werden der politische Kampf und ihm entsprechenden Denkweisen und Organisationsformen den Revolutionär*innen, somit also die Einseitigkeit eines bestimmten Lagers, aufgedrückt. Die Frage ist, wie diese Auseinandersetzungen angegangen werden können und gleichzeitig ein Standpunkt außerhalb von ihnen bezogen werden kann, damit sie nicht zum Selbstzweck werden, sondern das Ziel einer anderen, besseren Gesellschaft im Blick behalten. Die Frage ist, wie Sozial-Revolutionär*innen die alltäglichen Kämpfe führen, sowie sich deren Anforderungen nach organisieren und zugleich den Blick auf das GanzAndere richten können: „Wir sind unendlich glücklicher in dieser Hinsicht; – als Partei stehen wir wohl den Positiven gegenüber und kämpfen mit ihnen, und alle schlechten Leidenschaften werden auch in uns durch diesen Kampf aufgeweckt; insofern wir selbst einer Partei angehören, sind wir auch sehr oft parteiisch und ungerecht; wir sind aber nicht nur diese dem Positiven entgegengesetzte negative Partei; – wir haben unseren lebendigen Quell in dem allumfassenden Prinzipe der unbedingten Freiheit, in einem Prinzipe, das alles Gute, was nur im Positiven enthalten ist, auch in sich enthält und das über das Positive, ebensosehr wie über uns selbst als Partei, erhaben ist“. (In diesem Zusammenhang ist noch einmal zu erwähnen, dass Bakunin mit „Partei“ politisch-weltanschauliche Lager meint und keine Parteien wie in der Parteiendemokratie heute.) Soziale Bewegungen für Mieter*innenrechte, Arbeitskämpfe, für eine grenzenlose Gesellschaft, Feminismus oder die Klimagerechtigkeitsbewegung sind in diesem Sinne Teil eines solchen demokratischen Lagers. Negativ werden sie dann, wenn sie ausgehend von ihren Thema beginnen, die Systemfrage zu stellen. Dies lässt sich im vorgegebenen Rahmen des Politischen jedoch kaum ausdrücken und übersteigt ihn: „ Als Partei treiben wir nur Politik, als eine solche sind wir aber nur durch unser Prinzip berechtigt; sonst hätten wir nicht einen besseren Grund als das Positive, und so müssen wir, schon unserer Selbsterhaltung wegen, unserem Prinzipe, als dem einzigen Grunde unserer Macht und unseres Lebens, treu bleiben, d. h. uns als diese einseitige, nur politische Existenz […] immerwährend aufheben. Wir müssen nicht nur politisch, sondern in unserer Politik auch religiös handeln, religiös in dem Sinne der Freiheit, deren einzig wahrer Ausdruck die Gerechtigkeit und die Liebe ist“. Mit „religiös“ in der Politik handeln, meint Bakunin wie erwähnt keine Religion. Stattdessen hat er kein Wort für eine sozial-revolutionäre Ethik, welche gleichzeitig Motivation für das Handeln der Negativen ist, als auch ihre Zielvorstellung beinhaltet. Hierfür wählt er die abstrakten Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Liebe“ im Sinne einer Verbundenheit der Menschen miteinander. Weil der umfassende ethische Anspruch die politische Realität mit ihren Machtkämpfen, Kompromissen, Vermittlungen etc. übersteigt, kann er letztendlich nicht politisch verwirklicht werden.
Was bedeutet dies nun aber für die aktuellen emanzipatorischen sozialen Bewegungen? In der Logik Bakunins scheint sich zu bewahrheiten, dass Kritik, Protest, Zerstörung, also die Negation, eine sinnvolle Herangehensweise ist, um die bestehende Gesellschaftsordnung anzufechten und auf ihre Aufhebung hinzuwirken. Es liegt gewissermaßen im Wesen der Sache, dass sich die Sehnsucht nach etwas Besserem aus der Ablehnung des Als-schlecht-Definierten ergibt. Nur aus der Unzufriedenheit heraus lässt sich der Wunsch nach Zufriedenheit, nur aus der Unruhe heraus jener nach Ruhe begreifen. Indem die radikalen Strömungen in sozialen Bewegungen sich auf dem negativen Pol der historischen, gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung um Freiheit/Herrschaft positionieren, kann es ihnen gelingen, aktiv gegen die konservative Ordnung und zugleich gegen die faschistischen Reaktionär*innen vorzugehen. Dies ist zunächst eine qualitative Frage, eine Frage der eigenen Perspektive und Herangehensweise. Das klassische Problem liegt darin, wie die aufgedrückten Bedingungen des Kampfes überwunden und dieser dennoch geführt werden kann. Bakunin sagt klar: Nicht in der Vermittlung, sondern in der Zerstörung des Positiven.
Wenn ich selbst auf aktuelle soziale Bewegungen wie die Klimagerechtigkeitsbewegung schaue, denke ich, dass es dafür viele gute Gründe gibt. Die Appelle an „die Politik“, die Gesprächsangebote von Politiker*innen und Hoffnungen auf irgendwelche Klimagipfel müssen endlich aufhören. Die einzige wirksame Forderung, welche selbstverständlich auf ganz verschiedene Weise praktiziert werden kann, lautet: „Systemchange not Climat Change“. Hier ist selbstverständlich noch ein Schritt weiter zu denken, denn ein Systemwandel zum Staatssozialismus wird nichts bringen. Wir brauchen einen libertären Sozialismus. So gut ich Bakunins Absicht nachvollziehen kann, denke ich jedoch, dass sich aus der Negation des Bestehenden allein heraus noch keine andere Gesellschaftsform ableiten lässt. Stattdessen denke ich, dass es konstruktive Vorschläge braucht, nicht, wie der staatliche Kapitalismus verbessert, sondern, wie Anarchie praktisch organisiert werden kann. Dennoch hat Bakunin meiner Ansicht nach völlig recht damit, dass eine kämpfende soziale Bewegung sich letztendlich selbst auflöst, wenn sie die Ursachen aufhebt, welche sie als Negation des Bestehenden erst hervorgebracht haben. Dies ist wichtig, denn in der Auseinandersetzung der konträren Lager geht es nicht darum, dass die Sozial-Revolutionär*innen die besseren Menschen sind. Dies mag zwar den Anschein erwecken, wenn Bakunin ebenfalls von einer Position starker ethischer Werte aus argumentiert. Jene stellen für ihn jedoch abstrakte Prinzipien im Rahmen einer höheren Gerechtigkeit dar, welche das Alltagsleben der Menschen übersteigt. Mit anderen Worten: Das Ziel soll die Befreiung aller Menschen sein und nicht lediglich jene eines bestimmten Lagers oder verschiedener marginalisierter Gruppen, für die dann Politik gemacht wird. Deswegen gilt es die Herrschaftsverhältnisse zu überwinden, in denen wir alle miteinander leben – auch wenn die Positionen darin sehr unterschiedliche sind.
Es ist dieser Gedankengang, mit dem Bakunin eine seltene und radikale Sichtweise auf soziale Kämpfe formuliert. Sie birgt zwar die Gefahr in sich, zum Absoluten zu tendieren und darum immer Enttäuschungen zu erzeugen, weil die maximalen Ziele per se nie erreicht werden können. Andererseits wird durch diese Perspektive die Motivation hervorgebracht, einen autonomen sozial-revolutionären Ansatz zu entwickeln. Mit diesem wird es möglich, sich nicht von vorne herein auf Vermittlungen einzulassen, sich nicht bloß als Teil einer „Zivilgesellschaft“ zu verstehen, sondern tatsächlich als jene Macht, welche sich den Anspruch gibt, die bestehende Herrschaftsordnung zu überwinden. Dazu gilt es, seine Feinde zu bestimmen, um konsequent gegen sie vorzugehen und die eigenen Kämpfe in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Das sozial-revolutionäre (anti-)politische Handeln ist demnach nie einfach selbst gewählt, sondern abhängig von den Bedingungen eines polarisierten Kampffeldes. Diese Konstellation gilt es begreifen, um sich konsequent radikal auszurichten und die lebendige Auseinandersetzung aufzunehmen und voranzutreiben, anstatt nur getrieben zu werden.
1 Quelle: https://anarchistischebibliothek.org/library/die-reaktion-in-deutschland;
siehe auch: Bakunin, Philosophie der Tat, Jakob Hegner Verlag Köln 1968