Ein Jahrhundertwerk vollbringen

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Anarchistische Praktiken, Vorstellungen und Sichweisen
sind Jahrhunderte alt und zugleich ganz am Puls der Zeit
Sie sind so allgemein verständlich und simpel, wie voraussetzungsvoll und kompliziert
Und so gängig und verbreitet, wie selten und minoritär

Vielfältige anarchistische Projekte verbindet im Kern
ein flexibles System eingängiger Grundsätze und Erfahrungen
welche sich durch die Zeit winden
und sich im Wandel ihrer Formen und Ausprägungen zu erhalten

je weiter das gute, reiche, schöne Leben entfernt ist, desto kürzer erscheint die Lebensspanne
es ist je weiter entfernt, je weniger es für alle angestrebt und ermöglicht wird
je stärker eine Gesellschaft auf Konkurrenz, Ausbeutung, Unterdrückung, Gewalt und Lüge gründet
desto weniger Zeit steht uns zur Verfügung

das Erleben selbst und die Formung des eigenen Selbst darin
werden längst als Produktionsprozess und Konsumobjekt betrachtet
während die Anforderungen an das moderne Subjekt
in der nekro-kapitalistischen Gesellschaftsform keineswegs geringer werden

und so verrinnt unsere Zeit umso unerbittlicher,
je länger wir im Zustand dieser Herrschaftsordnung verharren
statt aus ihr auszusteigen, sich zu verweigern, sie zu bekämpfen
und umfassende Alternativen zu ihr aufzubauen

die Zuspitzung ist kein Automatismus, der sich aus zwangsläufigen Entwicklungen ergeben würde
sie ist vielmehr aktiv vorzunehmen, wenn sich eine Gruppierung
von der Szene, dem Hobby, der Subkultur zum stilllegenden und progressiven Faktor erheben will
dies ist das Streben nach Autonomie, die Selbstbestimmung der Einzelnen
wie auch die Selbst-Organisation, welche soziale Bewegungen motiviert, inspiriert, radikalisiert und emanzipiert

Die Zeit des Wandels verrinnt wie in einer Sanduhr
und scheinbar beschleunigt sich dieser Prozess exponentiell zum Ende hin
Was wir anstreben sollten, ist, die Sanduhr im exakten Zeitpunkt umzudrehen
durch den Nullpunkt zu gehen und in der Geburt eines entschiedenen Paradigmas
die Gesellschaftsform neu aufzubauen

Damit wir die soziale Revolution zu unserer Lebzeit verrichten
holen wir sie ins Hier und Jetzt
wir predigen die revolutionäre Ungeduld
um ein Jahrhundertwerk zu vollbringen

He’s a rebel – social rebel…

Lesedauer: 2 Minuten

Sicherlich viel zu spät – aber was ist schon zu spät? – der Hinweis auf ein altes Buch, welches neu herausgebracht wurde. Jürgen Mümken hat sich die Mühe gemacht es zum Anlass des hundertjährigen Todestages von Peter (Pjotr) Kropotkin noch mal neu zu überarbeiten und zu übersetzen. War auch längst überfällig, denn wenn ich es richtig stehe stammte die letzte Ausgabe von 1972 und war immer noch die Version, welche Pierre Ramus so langweilig entschärft hatte. Von Krawall und Rambazamba wollte der alte Pazifist nämlich nichts wissen. Kropotkin selbst war freilich nie ein Straßenkämpfer erster Reihe. Aber – ganz im Unterschied zu zu Rutger Bregman – war Kropotkin immer bewusst, dass es in der sozialen Revolution hoch geht.

Eigentlich wollte ich auf dieses Erstlingswerk Kropotkins hinweisen, weil es mich selbst begeistert hat. Es handelt sich um eine Aufsatzsammlung, die ab 1879 entstanden ist. 1885 wurde sie veröffentlicht – in dieser Zeit saß der „anarchistische Prinz“ eine fünfjährige Haftstrafe in Lyon ab. Man hatte ihn für einige Dynamit-Anschläge bei Bergarbeiter-Streiks verantwortlich gemacht – ein klar politisch motivierter Repressionsschlag. Sein Freund und Wegbegleiter Elisée Reclus veröffentlichte daraufhin eine Art Best-Off von Kropotkins Werken, um der Welt zu zeigen, wofür die Anarchist*innen eigentlich stehen.

Und sie standen und stehen für sehr viel: Wenn man so will formuliert Kropotkin meines Erachtens nach in dieser Textsammlung wichtige Ecksteine für eine politische Theorie des Anarchismus. Dabei war bildete er aber lediglich ab und interpretierte, was in den radikalen Flügeln der sozialistischen Bewegung ohnehin besprochen und praktiziert wurde. Dies stellt aber gerade die Leistung Kropotkins dar, welche geschätzt werden sollte.

Dabei sind die Worte eines Rebellen durchaus vom Pathos einer baldigen Revolution geprägt – was sie meines Erachtens nach umso lesenswerter macht, denn ihr Autor zeigt sich darin als Mensch und nicht als kalter Analytiker; zugegeben auch als Kader-Person und nicht als reformerischer Sozialdemokrat. Umso interessanter, dass Kropotkin sowohl in der italienischen Ausgabe von 1904, als auch in der deutschen von 1920 über das Ausbleiben der sozialen Revolution – zumindest wie er sie propagierte – reflektiert. Und auch dahingehend folge ich ihm ganz, dass er ihre Grundtendenz weiterhin bejaht, nicht aber ohne die Bedingungen unter denen revolutionäre Prozesse stattfinden können zu leugnen.

Alles in allem ein wirklich lesenswerte Aufsatzsammlung, die der Herausgeber auch noch mal neu und zeitgemäßer übersetzt hat. Weil ich weiß, was solche oft einsame und als wunderlich geltende Arbeit bedeutet freue ich mich sehr, dass Jürgen Mümken darin etwas gefunden hat, was ihm entspricht. Seine Arbeit damit bleibt nicht unverstanden!

Ein anarchistischer Held

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ARTE hat seine eigene Fanbase, die ich nicht noch unterstützen muss. Aber, da ich mir vorgenommen habe, meiner Nerdigkeit stärker nachzugehen, beginne ich mit folgendem Satz: „Neulich habe ich diese Arte-Doku gesehen, die musst du dir unbedingt reinziehen!“. Genauer genommen wurde die Reportage Spiderman – Hero of Resistance bereits vor einem Jahr im Mai vom britischen Guardian ausgestrahlt.

Nach einer 30jährigen Diktatur kam es seit Dezember 2018 Revolution im Sudan, welche im Oktober 2021 durch einen Putsch niedergeschlagen wurde, um eine Militärdiktatur zu errichten. Anfang 2022 äußerten sich auch Sudanesische Anarchist*innen zu den Auseinandersetzungen. Nach wie vor halten die Proteste an, werden protestierende Menschen inhaftiert, verwundet und getötet. In der Hauptstadt Khartoum tritt dabei jener Aktivist in Erscheinung, um den sich die Reportage dreht: Ein junger sudanesischer Mann, der in einem sportlichen Spiderman-Kostüm in die Öffentlichkeit geht. Es handelte sich um eine beeindruckende Person, die konsequent eine Politik der ersten Person und die direkte Aktion vertritt.

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Eine gelungene Geschichte von unten

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Sozialgeschichtliche Analyse der Bayrischen Räterepublik

zuerst veröffentlicht in: Libertäre Buchseiten, in: GWR 467

Wenn Simon Schaupp mit seinem Der kurze Frühling der Räterepublik hundert Jahre nach dieser in die öffentliche Diskussion zur deutschen Revolution 1918/1919 von anarchistisch-linksradikaler Seite eingriff und uns die aufregenden Ereignisse in einer Collage der Zeitzeugnisse von Erich Mühsam, Hilde Kramer und Ernst Toller nahebrachte,(1) so reicht uns der Münchner Roman Danyluk mit Unter sticht Ober nun das dazugehörige sozialgeschichtliche Material nach. Dem Genossen ist eine lebendige und faktenbasierte Darstellung der Bayrischen Räterepublik und ihrer Rahmenbedingungen gelungen, die auch historisch interessierten Lesenden einen Zugang erlaubt, welche sich bisher noch nicht damit beschäftigt haben. Dabei ist das Buch auch ohne Fußnoten stichhaltig und glaubwürdig, wie Historiker*innen bestätigen werden. Mit diesem Stil gleicht Danyluks Schreibweise jener von Eric Hobsbawm,(2) ohne allerdings von dessen marxistischen Vorurteilen eingenommen zu sein.

Heterogenität als Stärke


Der Text gewinnt nicht allein durch seine Sachlichkeit an Glaubwürdigkeit, sondern weil die inneren Widersprüche und Unzulänglichkeiten der kurzlebigen Räterepublik keineswegs geleugnet werden. Darüber hinaus ist es in die lang anhaltende Besprechung dieses historischen Fensters einzuordnen, hebt diese allerdings auf eine neue Stufe. So setzte etwa schon Günter Bartsch der Beschränkung der Räterepublik auf München in der bürgerlichen Geschichtsschreibung entgegen: „Seit der Bayrischen Räterepublik wissen wir, daß der Anarchismus mehr als eine soziale Utopie ist. Er kann aus dem Reich der Abstraktion hervortreten und zu einer mehr oder weniger fest umrissenen Gestalt gerinnen. Dies scheint jedoch immer nur dort und dann möglich zu sein, wo sich verschiedene Richtungen zusammenfinden. […] Bis zu einem gewissen Grade war die Bayrische Räterepublik das erste anarchistische Experiment des 20. Jahrhunderts in einem größeren Maßstab“.(3)

Hinsichtlich der geschichtswissenschaftlichen Perspektive werden mit Unter sticht Ober die mehr oder weniger radikalen linken Erzählungen zur Bayrischen Räterepublik ergänzt, wie sie sich etwa in den diversen Veranstaltungsreihen zu den Jahrestagen widerspiegeln.(4) Dem häufig und wiederholt bedienten Mythos, bei der Bayrischen Räterepublik habe es sich um ein naives – und ergo: „gefährliches“ – Projekt von Künstlerinnen und Literaten gehandelt,(5) setzt Danyluk die Sichtweise einer kollektiv handelnden, aber sehr heterogenen sozialen Bewegung entgegen, ohne deswegen zu leugnen, dass manch idealistischer Wunschtraum die anarchistischen Führungsfiguren der kurzlebigen zweiten Phase der roten Republik beflügelte, bevor jene wiederum von der streng politisch-militärischen Logik der KPD-Funktionäre in der dritten Phase abgelöst wurde. Statt dem lächerlichen Schreckgespenst von Anarchie und Chaos finden sich in der Bayrischen Räterepublik Ansätze für den Aufbau einer libertär-sozialistischen Gesellschaftsform, welche demokratischen Ansprüchen weit eher gerecht zu werden vermag als die oktroyierte parlamentarische Klassengesellschaft.

Gegenpol zu bürgerlichen Mythen

Darüber hinaus wird der teilweise unsäglichen bürgerlichen Geschichtsschreibung etwas entgegengesetzt, wie sie beispielsweise in Büchern wie Die letzte Nacht der Monarchie. Wie Revolution und Räterepublik in München Adolf Hitler hervorbrachten reproduziert wird.(6) Immerhin wird schon mit dem Titel suggeriert, dass Sozialist*innen von revolutionären Experimenten die Finger zu lassen haben. Statt zu behaupten, die Konterrevolution, welche die Entstehung des Faschismus stark begünstigte, wäre die logische Folge der rebellischen Umtriebe gegen den Fortbestand der alten Herrschaftsordnung, sieht auch Danyluk, dass das „Grab der ersten demokratischen Republik in Deutschland […] bereits zu deren Beginn ausgehoben [wurde]. Die Reichsexekution gegen die Bayrische Räterepublik hatte vor allem zwei fatale politische Folgen: Zum einen stoppte sie in Bayern den Prozess der Demokratisierung der Gesellschaft und schwächte diejenigen politischen und sozialen Kräfte, die ein nachhaltiges Interesse daran hatten, dem Aufstieg des Rechtsextremismus erfolgreich Paroli zu bieten. Und zum zweiten bot der militärische Feldzug gegen Bayern sowie das anschließende Besatzungsregime im südlichen Teilstaat dem alten Militär und der Reaktion die Möglichkeit zur effektiven Reorganisation. […] Der ‚Sieg‘ über die Emanzipationsbestrebungen der Arbeiter- und Unterklassen war […] teuer erkauft“. (S. 358)

Damit werden in Danyluks differenzierter Untersuchung Optionen und Handlungsspielräume deutlich, die gleichwohl akribisch mit den damaligen sozialstrukturellen und politisch-ideologischen Bedingungen abgeglichen werden. Wertvoll ist sie außerdem, weil der Autor die spezifische Rolle beleuchtet, welche der Antisemitismus auf der Seite des reaktionären Lagers spielte, und weil er, wo es nur möglich ist, die Perspektiven von Frauen mitbedenkt und ihnen Raum gibt.

Konsequenzen für heutige Bewegungen

Doch die Faszination für diesen Kairós-Moment sozial-revolutionärer Kräfte in Deutschland ist für Danyluk keine rein historische. Sein Interesse an der Erarbeitung des Themas ist motiviert von der Frage danach, was wir aus der Geschichte lernen können. Nicht ohne Grund würdigt er deswegen die Erfolge, welche von den zahlreichen in der Räterepublik aktiven Aufständischen erkämpft wurden. Um sie langfristig und umfassend in ein anderes Gesellschaftsmodell zu überführen, waren jedoch die Kräfteverhältnisse nicht günstig genug, konnte die Bauernschaft nicht ausreichend einbezogen werden, war die anti-revolutionäre Grundsatzentscheidung in der SPD-Führung zu einflussreich und fehlte der Räterepublik schlichtweg die Zeit, sich zu entfalten und zu wachsen. Und schließlich veränderte sich in der „bayrischen Hauptstadt […] durch den autoritären Anspruch einer Partei, die alleinige Vorherrschaft zu erlangen, die sozialistische Vielfalt in den maßgeblichen Rätegremien. Soziale Emanzipation kann aber nicht einfach von oben dekretiert werden. Zu ihren Voraussetzungen gehören die Ausweitung – und eben nicht die Einengung – der sozialen Beziehungen und die beständige Erweiterung der gesellschaftlichen Diskussion.


Folgerichtig gestaltet sich die Auseinandersetzung mit den damaligen Ereignissen immer dann als ziemlich spannend, wenn alle Entwicklungsabschnitte der bayrischen Revolution und Räterepublik unvoreingenommen und als ein aufeinander bezogener Zusammenhang betrachtet werden. Nur so lassen sich die jeweils wesentlichen Eigenheiten auf ihren emanzipatorischen Gehalt hin abklopfen, das heißt auf die Tauglichkeit sowohl zur individuellen als auch kollektiven Befreiung des Menschen. Unvoreingenommenheit und die
Vermeidung von Scheuklappen gewährleisten erst, dass in der Rückschau nicht allzu viel Bedeutsames und Bewahrenswertes verloren geht“. (S. 393f.)

Jonathan Eibisch

Anmerkungen:


(1) Jonathan Eibisch: Rezension zu Simon Schaupp, Der kurze Frühling der Räterepublik, Münster 2017, in: GaiDao #88 (April 2018), verfügbar auf: https://issuu.com/fda-ifa/docs/gaidao_nr_88_web.

(2) Siehe z. B. Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, 7. Aufl., München 2004.

(4) Veranstaltungsreihe der RLS zum 90. Jahrestag der „Münchner Räterepublik“ 2009, verfügbar auf: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Veranstaltungen/2008/90Jahre_Raeterevolution_08.pdf
und: Veranstaltungsreihe „Revolutions-Werkstatt“ der RLS zum 100. Jahrestag 2018/2019; verfügbar auf: http://revolution-baiern.de/

(5) https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/geschichte/muenchner-raeterepublik-sozialistisch-dichter-100.html


(6) Michael Appel: Die letzte Nacht der Monarchie. Wie Revolution und Räterepublik in München Adolf Hitler hervorbrachten, München 2018

Es bleibt kompliziert!

Lesedauer: 5 Minuten

ein Beitrag gespiegelt von: https://knack.news

Weil die Debatte zu rechtspopulistischen Anti-Maßnahmen-Protesten und einen adäquaten Umgang mit dem pandemischen Ausnahmezustand in verschiedenene Städten unterschiedlich fortgeschritten sind, hier ein einzelner lokaler Beitrag aus Jena zur Dokumentation und Inspiration.

1) Die Situation bleibt kompliziert – Aber wo sehen wir hin?

Die Pandemie belastet alle von uns, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Sie ist keine Naturkatastrophe, sondern in ihrer Ausprägung bzw. in ihren drastischen Auswirkungen ein Produkt der schnelllebigen staatlich-kapitalistischen Gesellschaftsform. Naturzerstörung und Massentierhaltung fördern die Übertragung von Viren, wöchentliche Flugreisen der Reichen und die Transportwege für die globalisierte Weltwirtschaft ihre rasche Verbreitung. Privilegierte soziale Klassen und reiche Nationalstaaten, die über die entsprechenden Ressourcen verfügen, können die Auswirkungen der Pandemie abmildern. Je ärmer die Menschen sind, je prekärer sie leben und arbeiten müssen, desto weniger können sie ihre Gesundheit schützen. Dies betrifft oftmals insbesondere Menschen, die rassistisch diskriminiert oder aus anderen Gründen gesellschaftlich ausgeschlossen werden. Es betrifft auch arme alte Menschen. Deswegen gilt es diesen umfassenden und schweren Umständen gemeinsam und solidarisch zu begegnen, als auch eine grundlegende Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung zu formulieren.

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Anti-Politik, (Post)Anarchismus, Intellektuelle Dissidenz, Revolution und anderes – ein Gespräch

Lesedauer: < 1 Minute

Mit Josef Mühlbauer vom Varna Peace Institute habe ich ein Gespräch zur im weiteren Sinne (post-)Anarchistischen Theorie des Politischen aufgezeichnet. Da ich nicht in bester Verfassung war, wurden meine Redebeiträge recht ausführlich. Ich hoffe, es ist doch der eine oder andere Gedankengang dabei.

Die höflichen anarcho-syndikalistischen, libertär-kommunistischen Revolutionäre

Lesedauer: 14 Minuten




Da ich ja zuletzt mit dem Syndikalismus gearbeitet habe, führte mich dies unter anderem auch dahin, einen Blick in den vergilbten Band Ökonomie und Revolution (Wien: Monte Verita-Verlag 1986, bzw. Karin Karmer-Verlag 1975) zu werfen. Den ersten Beitrag von Juan Peiró zu Syndikalismus und Anarchismus (1936) kann ich an dieser Stelle überspringen, da im Wesentlichen Grundlagen des anarchistischen Syndikalismus zusammengefasst werden, welche sich ebenso zum Beispiel bei Rocker und anderen finden und daher hier nicht wiedergegeben werden müssen. Nett darin ist beispielsweise jedoch diese aufrüttelnde Formulierung:

„„Die Welt erobert man nicht mit Worten, sondern mit Taten. […] Bis jetzt ist der Anarchismus nicht mehr als ein Kompendium gesprochener Wahrheiten, ein moralischer und intellektueller Wert, ohne daß er die Realität tatsächlich durchdringt – oder besser gesagt, Möglichkeiten und praktische Aufgaben realisiert, die eine künftige Gesellschaft, und sei es auch nur prinzipiell, antizipieren. Es reicht nicht aus, von einer neuen Gesellschaft, die zunächst nur eine Minderheit will, immerzu nur zu reden. Wir müssen mit Taten zeigen, daß die von uns angestrebte Gesellschaft nicht ein Hirngespinst oder eine Utopie ist, was die Feinde einer wirklichen Gerechtigkeit behaupten.“ (40)

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Schatzkiste: Die soziale Revolution (Joseph Peukert)

Lesedauer: 38 Minuten

Die hier gespiegelte Artikelreihe aus der Londoner Zeitung „Autonomie“ von 1887 ist unter Pseudonym erschienen. Aufgrund des „populistischen“ Stils und dem Grundlagen-Charakter des Textes gehe ich jedoch davon aus, dass sie von Joseph Peuket verfasst wurde, welcher in dieser Zeitung maßgeblich aktiv war. Peukert, ein Deutscher, der in der anarchistischen Exilant*innen-Gemeinschaft in London gestrandet war, entwickelte sich zum Anhänger Kropotkins und versuchte dessen Konzeption zum kommunistischen Anarchismus zu verbreiten und herunter zu brechen. Peukerts Anarcho-Populismus kommt dabei nicht ohne einen ausgeprägten Klassenhass und eine teils schwärmerische Sehnsucht aus, welche beides ist: Ausdruck und Beleg seiner eigenen Haltung beziehungsweise der seiner Gefährt*innen, als auch stilistische Ausdrucksmittel, sprich, offensichtliche Agitation und Propaganda, welche nur deswegen nicht instrumentell ist, weil sie sich ganz klar dazu bekennt, solche zu sein und damit die Lesenden zum Selbstdenken, zur Selbstermächtigung und zur Selbstorganisation auffordert. Durch Antizipation beider Seiten, die der Schreibenden und jene der Lesenden, entsteht ein Eindruck des politisierten libertär-sozialistischen Milieus vor der Jahrhundertwende.

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Autonome in Bewegung

Lesedauer: 4 Minuten

Im letzten Jahr erschien die fünfte Neuauflage des Bandes „Autonome in Bewegung“ von der A.G. Grauwacke. (Ich konnte einer Lesung beiwohnen, die ich sehr inspirirend fand.) Die „ersten 23 Jahre“ der Geschichte der autonomen Bewegung wurden aktualisiert und durch ein weiteres Kapitel aus dem Blickwinkel von 2020 durch Aktiven aus der folgenden Generation ergänzt.

Unter anderem finden sich darin Gedanken zur Kampagne „Die Überflüssigen“, zu den Aktionen von Ende Gelände, Anti-Militarismus, der Liebig14, Castor Schottern, den Refugee-Protest am Oranienplatz bis hin zu den Mobilisierungen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm und den G20-Gipfel in Hamburg. Allein das neue letzte Kapitel ist damit Zeichen einer im doppelten Sinne selbstgeschriebenen Bewegungsgeschichte, deren Kenntnis vielen jüngeren Aktiven leider nur wenig bewusst ist, geschweige denn deren Bedeutung.

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