Verstrickungen

Lesedauer: 4 Minuten

Seit einiger Zeit habe ich festgestellt, dass ich mich immer stärker in Szene-Streits, Abgrenzungs- und Zugehörigkeitsdebatten verstrickt habe, als mir lieb ist. Es hat etwas gedauert, bis ich verstanden habe, warum das so war und was ich daran problematisch finden. An sich spricht nichts dagegen, Statements zu bringen, wie man sich in Bezug auf bestimmte Themen oder gesellschaftliche Entwicklungen positioniert. Per se ist auch nichts an Begründungen und Ausformulierungen anarchistischer Gedanken einzuwenden, um sie von anderen unterscheidbar zu machen. Und selbstverständlich darf es im Umgang mit der ideologischen Konkurrenz auch mal polemisch zugehen, denn schließlich geht es auch um was.


Aber um was geht es ist, ist die Frage. Und so ist nicht ausgeschlossen, dass ich im Anschreiben gegen die verbohrte Rechthaberei, die dogmatischen Versatzstücke und romantischen Phrasen meiner anarchistischen und sozialistischen Konkurrent*innen, selbst deren schlechte Stile und Umgangsweisen übernehme. Also beispielsweise, indem ich ihnen Grundannahmen oder Absichten unterstelle, welche sie bei genauerer Betrachtung gar nicht haben. Oder indem ich mir vor allem ihre ausformulierten Gedanken anschaue – die ich ja zurecht als verkürzt oder aggressiv kritisieren kann – anstatt meinen Blick darauf zu richten, wie die Betreffenden sich tatsächlich verhalten und wie sie handeln.

Insgesamt steht im Hintergrund meines Bedürfnisses nach Abgrenzung, Klarstellung und Debatte natürlich auch eine gewisse Arroganz. Diese ergibt sich daraus, aus subjektiven Gründen für eine Minderheitsposition einzutreten, die tatsächlich oftmals diffamiert und ausgegrenzt wird. Außerdem ist sie komplex und muss deswegen erklärt werden. Soweit ist das in Ordnung. Zu überprüfen ist darin aber ein etwaiger Führungsanpruch – welchen im Übrigen auch Personen, die offensiv vor sich hertragen „gegen jede Autorität“ zu sein durchaus selbst haben können. Das wäre der antiautoritäre Reflex, der andere auf das eigene Niveau herabzieht und ihnen Führungsgebaren unterstellt, um intrigant selbst die Fäden in der Hand zu halten.

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Wider_sacher_in: Das ewige Selbstgespräch

Lesedauer: 2 Minuten

Allein die Erfindung meiner Rolle zeigt es doch überdeutlich: Im Grunde genommen redet der Blogautor die ganze Zeit mit sich selbst. Fasziniert von einen Gedanken spinnt er diesen weiter und kommt zum nächsten, kommentiert andere, am Ende doch aber wieder sich selbst. Es handelt sich um ein ewiges Selbstgespräch, bei dem ihm gelegentlich zweidrei Leute zuhören; zum Zeitvertreib lauschen sie dem fortwährenden Redefluss und gehen dann ihrer Wege. Wann sollen diese unaufhörlichen Kreisbewegungen denn enden? Ginge der selbsterklärte anarchistische Theoretiker am Ende sogar so weit, seine eigene Grabrede zu formulieren und sich ein Veranstaltungsprogramm zu seiner eigenen Würdigung in die Memoiren zu schreiben – als notarisch abgesicherte Vorbedingung dafür, dass die Bekannten auf seine riesige Erbschaft zugreifen können?

Bildelement von Hieronymus Bosch (lizenzfrei)
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Wider_sacher_in: Ein Bild des Anarchismus?

Lesedauer: 3 Minuten

Wer in die Öffentlichkeit tritt – und sei sie noch so überschaubar, wie in Hinblick auf die Interessent*innen eines Blogs zu anarchistischer „Theorie“ – macht sich greifbar und angreifbar. Die Inszenierung der eigenen Person ist mittels der Exhibition auf den Online-Plattformen mittlerweile selbstverständlich. Fast jede Person hat einen account bei facebook, twitter, Instragram, youtube und Co. – oder betreibt eben einen Blog. Ob als bloßes Hobby oder fachgemäße Visitenkarte – es gibt viele Gründe für die Selbstdarstellung. Die Zeit, wo sich abgesehen von institutionellen Würdenträger*innen nur Künstler*innen inszenierten ist lange vorbei. Sicherlich gibt es auch den gegenläufigen, gewissermaßen konsumkritischen, Trend, sich dieser Tendenz zu verweigern und weiterhin auf direkte Beziehungen zu setzen. Dies verlangt jedoch inzwischen wiederum eine Begründung, eben jene des Protests und der Verweigerung.

Hieronymus Bosch: Bildszene aus „Die Versuchung des heiligen Antonius“
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Wider_sacher_in: Die Systematisierung einer Religion?

Lesedauer: 3 Minuten

Klickt man sich etwas durch die Artikel dieses Blogs, kommt man aus dem Rätseln und Staunen nicht mehr raus. Das fängt bei einigen ellenlangen Überschriften einzelner Texte an, setzt sich aber fort im schlingernden Stil, welchen der Autor hervorbringt und kultiviert. Er scheint zu faul zu sein, sich grundlegend Gedanken zu machen, was er schreibt, bevor er es tut, sowie zu faul, um das Produzierte im Nachhinein zu überarbeiten. Ersteres beruht vermutlich auf der Annahme, bei all den Büchern, die er selbst gelesen hat, sei es nun an der Zeit und wäre er selbst in der Position, einfach irgendwas auszukotzen, was dann schon irgendeinen Sinn ergibt. Gut, wenn‘s hilft, das der Kopf nicht platzt, meinetwegen – aber sollte das die Motivation sein, einen Blog zu betreiben und sich permanent mitteilen zu wollen? Seine Texte nicht ordentlich überarbeiten zu wollen, zeugt von einer gewissen Überheblichkeit, insofern doch alle Schreibenden, die etwas zu sagen haben ihre Produkte wieder und wieder überarbeiten müssen – denn das ist nun mal Teil des Arbeitsprozesses, auch wenn der Laie dies in den seltensten Fällen sieht und versteht.

Hieronymus Bosch: Bildelement von „Garten Eden“ (lizenzfrei)
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Wider_sacher_in: Verschleierte Selbstdarstellung

Lesedauer: 3 Minuten

Es ist zweifellos nicht leicht, mit einem fundierten Geistes- und Sozialwissenschaftsstudium eine Lohnarbeit zu finden, welche dem Ausbildungsgrad entspricht. Dies trifft umso mehr zu, insofern zumindest ein Anliegen der Ex-Studierenden ja gerade darin bestand, sich nach Möglichkeit der Lohnarbeit zu entziehen und das Leben selbst zu gestalten. Dieses Privileg aus zu kosten und es als Grundlage zu nehmen, damit tatsächlich auch theoretisch zu arbeiten, führt jedoch dazu, dass ein als verträglich akzeptiertes Lohnarbeitsverhältnis zu finden immer unwahrscheinlicher erscheint. Denn welche Arbeit sollte den Ansprüchen, nach einem würdevollen Lohn, der selbstbestimmten Zeiteinteilung, gering ausgeprägter Hierarchien und vor allem Sinnhaftigkeit genügen? Äußerst unwahrscheinlich ist es, dass der Blogbetreiber mit den Themen, die er sich selbst gewählt hat, irgendwann eine feste Stelle als akademischer Lehrbeauftragter erhalten wird, davon tatsächlich leben kann und sich gleichzeitig nicht völlig überarbeitet.

Hieronymus Bosch: Bildszene aus „Die Versuchung des heiligen Antonius“ (lizenzfrei)
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23 Thesen zum Anarchismus (Gabriel Kuhn)

Lesedauer: 22 Minuten

Vor inzwischen vier Jahren erschien der Text Revolution ist mehr als ein Wort: 23 Thesen zum Anarchismus. Was ich enorm gelungen finde und womit ich mich stark identifizieren kann, ist die involvierte wie zugleich selbstkritische Position, welche Gabriel Kuhn darin einnimmt. Programmatische Thesen zu schreiben hat eine lange Tradition. Werden sie von Personen verfasst, welche sich selbst in einer Rolle der Nur-Theoretiker*innen sehen, verfehlen sie jedoch in der Regel ihren Gegenstand, auch wenn ihre Aussagen aus einer bestimmten Perspektive ihre Richtigkeit haben mögen. Dieser Text hingegen ist ein Anstoß, in welchem deutlich wird, dass der Autor weiß, wovon er spricht. Seine klare Positionierung im anarchistischen Lager ermöglicht erst jene selbstkritische Herangehensweise, die von Menschen, für welche ihre inhaltliche, politische Position stark mit ihren persönlichen Erfahrungen, Wünschen, Sehnsüchte etc. verbunden ist, auch angenommen werden kann.

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Wider_sacher_in: Problemverlagerung

Lesedauer: 2 Minuten

Was soll dieser Blog? Ja klar, angeblich geht es wieder mal um „die“ Sache. Was ist das hier ausgebreitete Konzept von „anarchistischer Theorie“ denn mehr als das Bestreben, anderen die Welt erklären zu wollen? Ist dieses Anliegen nicht gespeist aus der zwar verbreiteten – deswegen gleichwohl keinesfalls weniger traurigen – Grunderfahrung, dass die Welt sich unverständlich, irritierend, all zu oft auch konfliktbehaftet darstellt?

Hieronymous Bosch : Bildelement von „Der Garten der Lüste“ (lizenzfrei)
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