Dieser Beitrag wurde zuerst am 6.8.2022 auf anarchismus.de veröffentlicht. Es handelt sich um einen Gastbeitrag, weil ich eine andere Position und Perspektive als die Personen hinter der Seite habe. Dennoch betrachte ich es als meine Aufgabe, mein erworbenes Wissen und Denken weiter zu geben, um anarchistische Positionen zu unterfüttern und zu debattieren.
Gastbeitrag von Jonathan
Als ich vor inzwischen fünf Jahren beschlossen habe, mich umfassend der politischen Theorie des Anarchismus zu widmen, erschien es mir naheliegend, die Grundbegriffen dieser pluralistischen sozialistischen Strömung zu erforschen. Denn im Anarchismus gibt es ein eigenständiges theoretisches Denken, welches unbedingt mit der anarchistischen Ethik und ihren Lebensformen sowie anarchistischen Organisationsvorstellungen im Zusammenhang zu denken ist. Deswegen habe ich mir die Fragen gestellt: Was verstehen Anarchist:innen eigentlich unter „Politik“? Wie verhalten sich Anarchist:innen gegenüber „Politik“? Und: Kann es eine anarchistische „Politik“ geben und was wären ihre Kriterien? Mit dem Arbeitsbegriff (Anti-)Politik wird ausgedrückt, dass es sich um ein durch die bestehende Herrschaftsordnung bedingtes Spannungsfeld handelt, in welchem Anarchist:innen immer im Widerspruch handeln.

Staatlichkeit als organisiertes politisches Herrschaftsverhältnis
Auffällig ist, dass es in allen anarchistischen Strömungen eine grundlegende Kritik am Politikmachen gibt. Diese bezieht sich auf die Regierungspolitik, die staatliche Bürokratie, den Parlamentarismus und das Parteiensystem. Sie bezieht sich aber auch auf die politische Logik und Organisationsweise in einem weiteren Sinne. Denn das, was wir gemeinhin unter „Politik“ verstehen und mit ihr assoziieren ist kein neutrales Terrain. Vielmehr werden die Aktivitäten tendenziell autonomer und selbstorganisierter sozialer Bewegungen häufig dem Staat zugeordnet und oftmals von diesem vereinnahmt. „Politik“ gestaltet sich in liberal-demokratischen Gesellschaftsformen als politische Herrschaft. Das bedeutet, dass sich Staatlichkeit als Herrschaftsverhältnis zwischen Regierenden und Regierten herausbildete und dieses in potenziell alle gesellschaftlichen Bereiche hineingetragen wird.
„(Anti-)Politik und der kommunistische Anarchismus“ weiterlesen