Eingesandter Text zur Kritik an staatlicher Pandemiebearbeitung

Lesedauer: 16 Minuten

Die Gruppe Autonomie und Solidarität hat mich angefragt, ob ich einen weiteren ihrer Texte veröffentliche. Darüber habe ich mich gefreut, doch es gab auch ein paar inhaltliche Differenzen bzw. solche in der Perspektive auf die Dinge. Wie aber damit korrekt umgehen? Ich denke es ist wichtig, Kontroversen zuzulassen. Ich denke aber auch, es ist wichtig, selbst klar Position zu beziehen. Dies bildet sich dann auch in der Sprache ab. Es bringt aber nicht, dabei kleinlich einzelne Aussagen und Formulierungen zu sezieren und zu kritisieren. Allem voran sollte der Wunsch und Versuch stehen, einander zu verstehen. Um dann beurteilen zu können, wie nah oder fern die jeweiligen Positionen sind. Nun ja, dies führt zu einem Dilemma, für das es keine gute Lösung gibt.

(lizenzfrei gefunden)

Ich habe mich für einige Anmerkungen unter dem Text Anarchistische Kritik an Wissenschaft(en) und staatlichen Narrativen in der Corona-Pandemie entschieden. Wer möchte kann mir gern weitere eigene Texte zukommen lassen.

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Es bleibt kompliziert!

Lesedauer: 5 Minuten

ein Beitrag gespiegelt von: https://knack.news

Weil die Debatte zu rechtspopulistischen Anti-Maßnahmen-Protesten und einen adäquaten Umgang mit dem pandemischen Ausnahmezustand in verschiedenene Städten unterschiedlich fortgeschritten sind, hier ein einzelner lokaler Beitrag aus Jena zur Dokumentation und Inspiration.

1) Die Situation bleibt kompliziert – Aber wo sehen wir hin?

Die Pandemie belastet alle von uns, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Sie ist keine Naturkatastrophe, sondern in ihrer Ausprägung bzw. in ihren drastischen Auswirkungen ein Produkt der schnelllebigen staatlich-kapitalistischen Gesellschaftsform. Naturzerstörung und Massentierhaltung fördern die Übertragung von Viren, wöchentliche Flugreisen der Reichen und die Transportwege für die globalisierte Weltwirtschaft ihre rasche Verbreitung. Privilegierte soziale Klassen und reiche Nationalstaaten, die über die entsprechenden Ressourcen verfügen, können die Auswirkungen der Pandemie abmildern. Je ärmer die Menschen sind, je prekärer sie leben und arbeiten müssen, desto weniger können sie ihre Gesundheit schützen. Dies betrifft oftmals insbesondere Menschen, die rassistisch diskriminiert oder aus anderen Gründen gesellschaftlich ausgeschlossen werden. Es betrifft auch arme alte Menschen. Deswegen gilt es diesen umfassenden und schweren Umständen gemeinsam und solidarisch zu begegnen, als auch eine grundlegende Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung zu formulieren.

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Eine Reflexion über den pandemischen Ausnahmezustand

Lesedauer: 6 Minuten

zuerst veröffentlicht auf: untergrund-blättle.ch

Eigentlich hatte ich beschlossen, nichts mehr zur Pandemie, ihrer technokratischen Bearbeitung im staatlichen Hygieneregime, verschwörungsideologisch durchseuchten, rechtspopulistischen Protesten und dergleichen zu schreiben.

Es standen einfach zu viele andere Dinge an: Und darunter zählte definitiv auch, die Kraft zu finden, unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Umständen klar zu kommen und weiter zu machen. In meinem Text Was bedeuten soziale Freiheit und Solidarität in Zeiten des pandemischen Ausnahmezustandes?[1] habe ich vor bald zwei Jahren recht früh einen Gedankenanstoss aus anarchistischer Perspektive formuliert. Darin wurden vor allem die Kriegsrhetorik kritisiert, sowie die autoritären Potenziale des Hygieneregimes und der sich abzeichnende, von Angst getriebene und reflexhafte Konformismus der Linken thematisiert.

Schon damals hatte ich versucht eine Brücke zu schlagen zwischen einerseits einem reflexhaften Anti-Autoritarismus, verbunden mit einer wichtigen Kritik an Technokratie und Unterwürfigkeit, die bei einigen Anarchist:innen zu finden war und andererseits jenen Ansätzen, in denen die Potenziale von Selbstorgansiationsprozessen in der Krise betont wurden, ohne deswegen die Situation schön zu reden oder die Gefährlichkeit der Krise auf zynische Weise herab zu spielen.[2]

Das Aufbrechen der linken Schockstarre

Wie sich herausstellen sollte, begaben sich viele Linke in Geiselhaft der Regierungspolitik, was grundsätzlich keine Überraschung ist. Schockiert hatte mich dennoch die Schnelligkeit, mit welcher dies geschah – dass da so wenig Kritik, Abwehr, wenigstens Skepsis, vorgetragen wurde, gegenüber den oktroyierten Massnahmenpaketen. Das Rad drehte sich weiter und im Zuge der offenkundigen Fehleinschätzung der Wirkungsweise einiger Massnahme, sowie ihrer andauernden Nachregulierung, kamen aus dem weiten Spektrum der gesellschaftlichen Linken kritische Beiträge. Es wurden auch einige gute Aktionen hervorgebracht.

Bekanntermassen bezogen diese sich insbesondere auf die Situation von Geflüchteten („Leave no one behind“), die Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Pflegesystem und seine Kapitalverwertungsimperative. Später wurde dann der sogenannte „Impfnationalismus“ und die in der Krise gewachsenen Profite von Superreichen (sowie einiger Politiker:innen mit ihren Maskendeals) kritisiert. Hierin fanden sich einige gute Momente. Ausserdem handelte es sich auch um Versuche, aus der Schock-Situation, in welchen sich die Rahmenbedingungen des Handelns schlagartig geändert hatten und die gesellschaftlich-politische Konstellation völlig unübersichtlich geworden war, herauszukommen. Darunter zählte auch die eine oder andere autonome Spontandemonstration, etwa den Irrsinn der Ausgangssperre.

Allerdings blobbten leider bald auch solche hahnebüchenen Initiativen wie „ZeroCovid“ auf, die nicht nur das Wesen der Pandemie verkannten, sondern sich ungeachtet ihrer prominenten Unterstützung, fern ab der Wirklichkeit bewegten. Mit ihrem moralistischen Gehabe stellten lediglich das Kehrseite der eigenen Positionslosigkeit und Verzweiflung an der Lage dar. Emanzipatorische soziale Bewegungen, werden sich erst dann echte Macht aneignen können, wenn sie mit den Illusionen einer abgehobenen Akademiker:innen-Linken und anderen Pseudo-Avantgarden brechen und stattdessen konsequent auf Selbstorganisation setzen und nach Autonomie streben.

Leider gelang es meiner Wahrnehmung nach nur sehr wenig, die erwähnten sinnvollen Ansatzpunkte, mit den Gegenprotesten und -aktionen gegen die sogenannte Querdenker-Bewegung zu verbinden, die bekannterweise schon wenige Monate nach ihrer Entstehung vollkommen von organisierten Faschisten, AfD-Politiker:innen, Reichsbürger:innen und Rechts-Esoteriker:innen durchsetzt war. Ebenfalls stimmt es, dass die Querfront zu einem geringeren Teil von links gesucht wurde, durch Leute wie Anselm Lenz oder krypto-leninistischen Gruppierungen wie die „Freie Linke“.

Warum in den deutschsprachigen Länder etwa im Unterschied zu den mediterranen Ländern, der anti-moderne Irrationalismus besonders ausgebreitet ist, darüber könnten verschiedene Thesen aufgestellt werden, bleibt aber noch weiter zu klären. Ich persönlich glaube, dass dies mit einem weiter verbreiteten Gemeinschaftssinn zu tun hat, der kulturell und durch andere Krisenerfahrungen gewachsen ist, den es aber nicht zu romantisieren gilt.

Vielleicht haben die Anhänger der „konservativen Revolution“ recht mit ihrer These eines dekadenten Zivilisationsverfalls – nur, dass sich dieser keineswegs an der Verbreitung liberaler Diskursen und selbstbestimmter Lebensweisen, sondern an der Zuspitzung der materiellen, sozialen und politischen Ungleichheit sowie der Wahnhaftigkeit der Privateigentumsfetischist:innen festmachen lässt.

Die Zerrissenheit emanzipatorischer sozialer Bewegungen und die Notwendigkeit einer umfassenden Systemkritik

Wie auch immer: Akteur:innen in emanzipatorischen sozialen Bewegungen fanden sich zerrissen zwischen, erstens, dem Gegenprotest gegen eine erschreckend starke reaktionäre Bewegung mit ungeheurerer Dynamik, die den Volkszorn effektiv mobilisieren konnte (und kann), zweitens, den zaghaften und oftmals realitätsfernen linken Forderungen an die Regierungen, und drittens, den Versuchen wieder selbst unter veränderten Bedingungen in Bewegung zu kommen und nach der schockierten Pause die eigene Agenda weiter zu verfolgen. Platz für viertens blieb dagegen bislang so gut wie kaum: Kritik und Gegenwehr gegen die Transformation der bestehenden Gesellschaftsformation, die durch die Pandemie in einer neuen Phase durchsetzbar erschien.

Der italienische Philosophie Giorgio Agamben wurde viel für seine Kritik der Biopolitik und seine Statements in der „Corona-Krise“ kritisiert. Inwiefern dies im Detail berechtigt ist, kann ich nicht beurteilen. Dennoch teile ich die Kritik am Ausbau der neoliberalen Technokratie, der Veränderung des Verhältnisses von Herrschenden und Beherrschten in Hinblick auf eine weitere Verinnerlichung herrschaftlicher Imperative, sowie die post-demokratische Erosion gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Deswegen spreche ich auch von einem „Hygiene-Regime“, dass spezifische Veränderungen, Herrschaftstechnologien und Subjektivierungen ermöglicht. Daraus aber umgekehrt eine Ablehnung des Impfens zu folgern, wäre ein verkürzter Fehlschluss, der sich nicht an medizinischen Erkenntnissen orientiert, welche ich zu schätzen weiss.

Wer heute von umfassender Gesellschaftsveränderungen spricht, setzt sich schnell dem Verdacht aus, in der „grossen Transformation“ einen geheimen Plan der Eliten zu sehen – einem grundlegenden Element antisemitischer und rassistischer Verschwörungsideologie, analog zur angeblichen „Umvolkung“, dem „Gender-Gaga“ oder „Klima-Hype“, die Rechtspopulist:innen aller Orten von einem linksliberalen Establishment durchgesetzt sehen.

Wenn aber der anti-emanzipatorisch Rechtspopulismus zurückgekämpft werden soll, der sich Verschwörungsmythen, Rassismus und Strassengewalt bedient, muss verstanden werden, welche Punkte dieser aufmacht, die ihm derartigen Zulauf gewähren. Dies hat auch mit technischen Möglichkeiten zu tun, etwa der massenweisen, instrumentellen Nutzung der sozialen Medien, sowie der quasi-faschistischen Emotionalisierung von Politik, mit welcher Ängste von Menschen nicht nur angesprochen, sondern auch geschürt werden. Daraus hervor hervorgehender Zorn wird dann auf Sündenböcke gelenkt, die in Anderen, Fremden und dem politischen Gegnern ausgemacht werden. Damit wird auch das konservativ-reaktionäre Märchenbild einer vermeintlich besseren, vergangenen, organischen, hierarchischen Ordnung gezeichnet, die es wieder zu erlangen gälte.

Umbau des technokratischen Herrschaftsarrangements

Und dennoch geschieht der Gesellschaftsumbau vor unseren Augen. Der kapitalistische Staat und die mit ihm verbundenen herrschenden und verwaltenden Klassen, sind angesichts der umfassenden Folgen von Klimawandel, Migrationsströme, sozialen Verwerfungen, Verfall der öffentlichen Infrastrukturen, der Kapitalverwertungsschwierigkeiten durch Automatisierung, der Begrenztheit gewisser Ressourcen, der Veränderung der Machtverhältnisse im internationalen Staatensystem, neuen kriegerischen Bedrohungen und im besten Fall auch durch die sich ausweitende Gegenmacht von emanzipatorischen sozialen Bewegungen, gezwungen, systemische Veränderungen vorzunehmen. Wie stets und je nach dem, wie die Auseinandersetzungen darüber geführt werden und sich entwickeln, wird dies repressive, subjektivierende, reformerische und technologische Folgen nach sich ziehen.

Erstere vollzieht sich im Ausbau des Überwachungssystems, als auch der Ausweitung polizeilicher Kompetenzen und des Gefängnissystems. Die subjektivierenden Effekte finden sich in suggestiver Verhaltenskontrolle und neuem bürgerlichen Moralismus, wie auch der Individualisierung von Verantwortlichkeiten. Als Reformprojekt fällt der „grüne“ Kapitalismus ins Auge, welcher in Form des „Green New Deal“ auch offensiv von linken Parteien wie Diem25 in der Hoffnung gefordert wird, damit Spielräume für sozialistische Anliegen zu eröffnen – die selbstredend alle über den Staat vermittelt gedacht werden.

Was die Technologisierung angeht, war und ist nie die Nutzung von Werkzeugen selbst das Problem, sondern jene schlichtweg ein ko-evolutionärer Bestandteil menschlicher Entwicklung. Dennoch ist in Technologie ein Herrschaftscharakter eingeschrieben, den es nicht zu vernachlässigen gilt. Es kommt hierbei zu einer „Smartphonizierung der Macht“, wie in einem insurrektionalistischen Sammelband von 2018 zurecht festgestellt wird. Und dies gilt insbesondere bei einem neuen Schub für das technokratische Regieren, wie wir ihn derzeit erleben. Denn die technische Handhabung von Regierungsinstrumenten durch Politiker:innen geschieht in Übereinstimmung mit der Kontrolle über die von fast allen genutzten Technologien durch Tech-Unternehmen.

Digitalisierung wird nicht nur als Allheilmittel gepriesen, sondern – viel problematischer – nimmt das mehr oder weniger liberale Bürgertum seine Selbstentmündigung vor – damit aber zugleich jene aller anderen Bürger:innen. Die eigentlich offenen Fragen zum Nutzen, dem Klassencharakter, dem Besitz, der Notwendigkeit und der konkreten Ausgestaltung von technologischen Innovationen und ihrer massenweisen Implementierung, werden schlichtweg der Vorstellung geopfert, diese Entwicklungen seien unausweichlich und könnten deswegen auch der gesellschaftlichen Verhandlung darüber entzogen werden.

Zu den Grenzen der Regierbarkeit vordringen

Dass es vernünftigerweise Grenzen geben könnte und sollte, was technologischen „Fortschritt“ und seine rücksichtslose, warenförmige Verbreitung angeht, wird damit weggewischt. Es muss keinen Gott geben, um sagen zu können, dass Leben – auch nicht-menschliches – als heilig angesehen werden sollte, dass es ein pluriversales Recht auf Selbstbestimmung und Selbstentfaltung geben sollte. Es braucht keine Religion, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir eine libertär-sozialistische Gesellschaftsform nur erkämpfen können, wenn Menschen holistische Weltbeziehungen und auch neue Formen materialistischer Spiritualität entwickeln. Denn eine Bearbeitung unseres Entfremdungszustandes ist kein Luxusgut für Privilegierte und auch kein Ergebnis sozial-revolutionärer Kämpfe, sondern ebenso Ausgangsbedingung dafür, diese motiviert und emanzipatorisch führen zu können.

Sozial-revolutionäres Agieren ist überhaupt das Stichwort, mit welchem es sich in diesem Zusammenhang weiter zu beschäftigen gilt. Denn es beinhaltet – nicht im Detail, aber in der Herangehensweise – das, bei der obigen Schilderung von im weiteren Sinne links-emanzipatorischen Umgangsweisen mit den Pandemie fehlt. Anarchist:innen machen hier Unterschiede und verweisen auf andere Handlungsmöglichkeiten, eine umfassendere Kritik und einen konkret-utopische Vision, von denen sich Linke, auf die ich mich hier beziehe, etwas abschauen können.

Die Frage lautet eben nicht, ob wir im pandemischen Ausnahmezustand unseren Fokus auf die Bekämpfung reaktionärer Bewegungen, den zaghaften Kritik an Regierungspolitik oder dem Wiederaufleben eigener Kampagnen legen sollten. Vielmehr gilt es in allen drei Hinsichten sozial-revolutionäre Perspektiven herauszuarbeiten, die sich wie erwähnt aber nur dadurch entwickeln lassen, wenn die funktionale Veränderung des herrschenden Arrangements unter pandemischen Bedingungen mitgedacht, rekonstruiert und sabotiert wird.

Wenn Anarchist:innen dies verstehen würden, könnten sie ihr eigenes Potenzial entfalten, ihre Perspektiven verbreiten, aus der Szene heraustreten und inspirierend und motivierend wirken. Damit könnte auch die Angst des reaktionären Lagers aufgegriffen werden, deren verschwörungsmythologisches Zerrbild einer „grossen Transformation“ ja eine Wahrheit enthält: Nämlich, das die soziale Revolutionierung der Gesamtgesellschaft, in einem libertär-sozialistischen Sinne, auf lange Sicht keineswegs so abwegig und unmöglich erscheint, wie wir zu glauben gewohnt sind.

Jonathan

Fussnoten:

[1] https://www.untergrund-blättle.ch/gesellschaft/coronavirus-soziale-freiheit-solidaritaet-2214.html

[2] https://www.untergrund-blättle.ch/buchrezensionen/sachliteratur/marina-sitrin-colectiva-sembrar-pandemic-solidarity-mutual-aid-during-the-covid-19-crisis-6252.html

Pandemische Solidarität – das Buch zur präfigurativen Praxis

Lesedauer: 6 Minuten

zuerst veröffentlicht auf: untergrund-blättle.ch

Kürzlich, am 8. Februar war der 100. Todestag von Peter Kropotkin, dem bekanntesten Denker des anarchistischen Kommunismus. Mit seinen theoretischen Arbeiten zur Humangeographie, zu Solidarität und gegenseitigen Hilfe, zur Entstehung des Staates, zur französischen Revolution und zu einer materialistischen Ethik prägte er die Grundbegriffe des libertären Sozialismus mit. Sein Anliegen war der Nachweis darüber, dass eine Gesellschaft, die wirkliche Freiheit und Gleichheit gewährleistet möglich und rational begründbar ist.

Diese konkrete Utopie wurde im Konzept der Föderation dezentraler, autonomer Kommunen verkörpert. Eine anarcho-kommunistische Gesellschaft entsteht nicht einfach von selbst, sondern kann nur durch soziale Bewegungen erkämpft und mittels Alternativstrukturen aktiv aufgebaut werden. Kropotkin vertrat die Ansicht, dass die Entwicklung der Gesellschaft anhand der Auseinandersetzung zwischen autoritären, staatlichen, zentralistischen Tendenzen einerseits und libertären, selbstorganisierten, föderalen Bewegungen andererseits verläuft.

Auch wenn sich hieraus keine historische Gesetzmässigkeit ableiten lässt, war er dennoch zutiefst davon überzeugt, dass soziale Fortschritte möglich sind – auch wenn dies viele Jahrhunderte brauche. Mit dieser Überzeugung engagierte sich Kropotkin auch für die Organisation und Bewusstseinsbildung der selbstorganisierten, radikalen Sozialist*innen.

Dass Kropotkins Theorien auch heute und aktuell (wieder) eine grosse Relevanz aufweisen, dafür spricht zum Beispiel die Neuerscheinung von Marina Sitrin und dem Colectiva Sembrar. Darin beziehen sie sich explizit auf die anarchistischen Konzepte von Solidarität und gegenseitiger Hilfe mit welchen sich soziale Bewegungen im Hier und Jetzt organisieren, als zugleich auch die erstrebenswerte solidarische Gesellschaft vorwegnehmen können.

Solidarische Strukturen und Beziehungen werden im Sammelband implizit als greifbare Alternative zur staatlichen – und oft repressiv durchgesetzten – Pandemiebekämpfung gerahmt. Menschen nähen selbständig Masken und verteilen sie, organisieren Betreuung für Kinder und Alte, unterstützen und wertschätzen Arbeitende im Gesundheitssektor, wehren sich kollektiv gegen staatliche Zumutungen, finden selbst Regeln, um Abstände einzuhalten, organisieren Lebensmittelverteilungen, unterstützen sich in der psychischen Belastung während der Pandemie, entwickeln kreative Formen um sich gegenseitig selbst zu bilden, produzieren und teilen kulturelle Güter…

Da gibt es so vieles, was unter anderem in der Zeit seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie geschehen ist. Und was oft nicht in unser Blickfeld gerät. Wir neigen dazu all diese Graswurzelinitiativen zu übersehen – ob sie von politisierten Gruppierungen getragen werden oder von welchen Gemeinschaften und Personen auch immer. Einer der Gründe dafür ist, dass wir nicht wertschätzen, was uns als selbstverständlich erscheint, obwohl es in staatlichen Vorgaben und Massnahmen gar nicht aufgeht, ja, deren Rahmen sogar aufsprengt. Ein anderer, dass die kapitalistischen Medien nur sehr selten von Geschichten und Zeugnisse der Alltagsunterstützung berichten.

Schliesslich mag ein dritter Grund für die Unsichtbarkeit solidarischer Praktiken auch darin liegen, dass die alltagsweltliche Selbstorganisation oft viel schneller und bisweilen deutlich effektiver zur Pandemiebekämpfung und ihren Folgeerscheinungen beiträgt, als die staatliche Regulierung es jemals könnte. Die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Relevanz von Graswurzelbewegungen, deren Initiativen und Praktiken ist eine Frage nach der Perspektive, die wir einnehmen – und welche wir stark machen wollen.

An dieser Stelle spinnt sich der Faden recht eindeutig zu Kropotkins Denken zurück. Mit Pandemic Solidarity schauen die Autor*innen dorthin, wo Hoffnung gerade im Zusammenbruch wächst. Und dass es sich hierbei nicht lediglich um die Kompensation des durch die Herrschaftsordnung produzierten Elends handelt, sondern die neue Gesellschaft nur in der Schale der alten aufgebaut werden kann, ist ihr unausgesprochenes Argument.

Der Sammelband ist wertvoll, weil er eine Vielzahl von Autor*innen versammelt, die derartige Graswurzelansätze in den Vordergrund stellen und ihnen Anerkennung zollen. Spannend darin ist insbesondere, dass sich darin Beiträge aus aller Welt finden. Von Praktiken der gegenseitigen Hilfe und Solidarität aus Rojava, der Türkei, dem Irak, Taiwan, Korea, Indien, Südafrika, Portugal, Italien, Griechenland, Grossbritannien, Argentinien und Brasilien können wir dort erfahren.

Damit wird mit dem Buch ganz klar die Notwendigkeit verdeutlicht, dass radikale Gesellschaftsveränderung – ebenso wie die Bewältigung der Pandemie – nur global gedacht werden kann. Dies führt zu einer Beschäftigung mit der merkwürdigen Gleichzeitigkeit und Unterschiedlichkeit in welcher verschiedene Menschen sich weltweit befinden. Ebenso wird damit die Abhängigkeit und Angewiesenheit aufeinander verdeutlicht – aus welchen Stärke in der Auseinandersetzungen für eine lebenswerte Zukunft für alle erwachsen kann. Daher zeigt sich in der Zusammensetzung der Beiträge auch eine klare postkoloniale Herangehensweise.

Das Vorwort schrieb die Autorin und Journalistin Rebecca Solnit, welche unter anderem durch ihre Beschäftigung mit dem durch Menschen geförderten Desaster der Verwüstung von New Orleans durch den Hurrican Katrina 2005, bekannt wurde. In einem Beitrag aus dem Mai letzten Jahres schrieb sie im britischen Guardian:

„Eine der grössten Klischees über Katastrophen ist, dass sie aufzeigen würden, wie dünn die Fassade der Zivilisation wäre, unter welcher die brutale menschliche Natur liegen würde. Aus dieser Perspektive wäre selbstsüchtige Eigennützigkeit das Beste, was wir für die meisten Menschen in der Krise hoffen könnten. Schlimmstenfalls würden sie schleunigst zur nackten Gewalt umschwenken. Unsere schlimmsten Instinkte müssten demnach unterdrückt werden. Diese Ansicht dient [bekannterweise] als Rechtfertigung für Autoritarismus und strenger Kontrolle. […] Doch Studien historischer Katastrophen haben gezeigt, dass dies nicht die Weise ist, wie sich die meisten Menschen tatsächlich verhalten. Nahezu überall gibt es eigennützige und zerstörerische Menschen. Oftmals befinden sie sich an der Macht, weil sie ein System erschaffen haben, welche diese Art Persönlichkeit und derartige Prinzipien belohnt. Doch in gewöhnlichen Katastrophen verhält sich die grosse Mehrheit der Leute auf Weisen, die alles andere als egoistisch sind. Wenn wir in der Metapher der Fassade bleiben, offenbart sich bei ihrem Zusammenbrechen, eine ungeheure Kreativität, grosszügiger Altruismus und Graswurzelorganisierung. Mit der globalen Pandemie erscheint dieses empathische Drängen und Handeln weiter, tiefgreifender und konsequenter denn je vorhanden zu sein“.

https://www.theguardian.com/world/2020/may/14/mutual-aid-coronavirus-pandemic-rebecca-solnit

Mit dieser Herangehensweise wird meiner Ansicht nach deutlich, was auch für den westeuropäischen Kontext längst überfällig ist: Die notwendige Einsicht darin, dass es sich eine irgendwie geartete gesellschaftliche Linke, dass es sich kritisch eingestellte Intellektuelle und linksradikale Gruppen nicht mehr leisten sollten, in ihren Abstraktionen und Grabenkämpfen, ihren rein negativen Kritiken und ihrem desaströsen Zynismus zu verharren.

Menschen, die von anarchistischen Gedanken inspiriert sind oder mit ihnen sympathisieren, richten sich nach der konkreten Utopie einer erstrebenswerten Gesellschaft aus, versuchen sich nach ihr zu organisieren und aufzuzeigen, wo sie bereits anbricht und gelebte Wirklichkeit ist. Dies ist keine Sichtweise von idealistischen Träumer*innen oder naiven Gutmenschen, mit welcher der Brutalität und Totalität der herrschenden Verhältnisse nichts entgegen gesetzt werden könnte.

Vielmehr handelt es sich realistischerweise um die einzige echte Option, die Menschen haben, um Herrschaftsverhältnisse umfassend abzubauen und ihnen solidarische, egalitäre Institutionen und Beziehungen entgegen zu setzen. Jene, die stattdessen weiter „Auweia Anarchisten!“ schreien wollen, sei dies unbenommen[1] – überdeutlich wird aber, dass sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und lieber ihren Rechthabereien und der Ohnmacht ihrer totalen Ängsten frönen, als endlich aus dem verrotteten Gebäude des staatlich Kapitalismus auszubrechen und ein neues aufzubauen.

In diesem Sinne gebe ich noch einen Einblick in Pandemic Solidarity aus dem Vorwort von Marina Sitrin:

„Es gibt eine konstante, allumfassende Angst, eine kollektive Angst, die wir als gegenwärtig lebende Menschen noch nicht zu diesem Grad an Kollektivität erfahren haben. Und, ja, während wir alle im selben schrecklichen Sturm sind, der Covid-19 heisst, sitzen wir nicht alle im selben Boot. In Krisen und Katastrophen zeigen sich strukturelle Ungleichheiten und die aktuelle Situation offenbart die Hässlichkeit und systematische Unterdrückung und Ungleichheit, auf welche ein Grossteil unserer Gesellschaften aufgebaut ist, in welchen sehr wenige privilegiert werden und der Rest von uns gegen einander aufgehetzt und ausgespielt wird. […] Darin finden wir etwas Tiefgreifendes, welches mit der Wahrheit verbunden ist, wer wir wirklich sind, nicht, was uns gesagt wurde, wer wir seien. Ja, wir haben Angst. Ja, wir empfinden Angst und Verletzbarkeit und was wir damit tun – immer und immer wieder, durch die gesamte Geschichte und heute mehr als jeweils –, ist, uns nacheinander auszustrecken und Wege zu finden, füreinander zu sorgen. Wir empfinden alle diese Dinge und dies ist ein UND. Wir brauchen uns nicht zwischen Angst oder Hilfe, zwischen Verletzlichkeit und Offenheit, beschützend und beschützend zu entscheiden. Wir können und wir tun alle diese Dinge und dies ist es, was diese Situation auf eine zutiefst hoffnungsvolle Weise gleichzeitig erschreckend UND transformativ macht. […] Die Geschichten in dieser Textauswahl zeigen uns auf unterschiedliche Weise eine Art von Gesellschaft, die wir haben könnten und welche wir faktisch bereits haben. Unsere Einladung an euch auf diesen Seiten, unsere lieben Lesenden, ist Inspirationen und konkrete Ideen zu sammeln, wie ihr euch in die bereits existierenden Projekte einbringen und sie ausweiten könnt. Diese Pandemie erzeugt kleine und grosse Risse – was wir mit diesen Spalten machen, liegt an uns. Die neue Welt ist bereits erschaffen, es ist an uns, diese Schöpfung auszudehnen, sie kontinuierlich immer weiter in die Höhe zu spinnen … bis zu einem Punkt, den wir noch nicht kennen“[3].

Marina Sitrin, Introduction, Xvi-xxiv.

https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/mit-der-autonomen-selbstorganisation-gegen-die-covid-pandemie-vorgehen-6161.html

Anarchistische Perspektive auf Covid-19

Lesedauer: < 1 Minute

Hier der Link zu einem Vortrag, der am 11.01. in Kassel (online) gehalten wurde. Es handelt sich hauptsächlich um eine Zusammenfassung von Disskussionen aus den letzten Monaten. Das explizit Anarchistische kommte vor allem im letzten Teil raus.

Die einzelnen Teile

(0) Fluch auf die Querschwurbler
(1) Die proklamierte Panik
(2) Der pandemische Ausnahmezustand
(3) Risiken und Nebenwirkungen staatlicher Regulierung
(4) Zu den Reaktionen der Linken
(5) Verschwörungsmythologie, konformistische Revolte und faschistische
Agitation
(6+7) Anarchistische Perspektiven und Fluchtlinien zum libertären
Sozialismus

Der Ankündigungstext

„Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie sind wir mit neuen Bedingungen konfrontiert, in denen wir uns zurechtfinden müssen. Mit den Maßnahmen zur Regulierung haben Nationalstaaten zugleich ihre ungeheure Macht als auch ihre Unzulänglichkeit bewiesen, die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie effektiv zu bearbeiten. Protest gegen die Maßnahmen zur medizinischen, polizeilichen und biopolitischen Eindämmung der Pandemie wurde in der BRD überwiegend von verschwörungsmythologisch
argumentierenden Gruppierungen und faschistischen Akteuren artikuliert bzw. organisiert und auf die Straße getragen. Dagegen sollte der pandemische Ausnahmezustand auch aus anarchistischer Perspektive kritisiert werden, damit wir unsere Handlungsfähigkeit wiedergewinnen.
Schließlich sollten wir zumindest aufzeigen, wie Menschen
selbstorganisiert und für alle Gesundheitsversorgung und Sicherheit
gewährleisten können.“

und ein Link zu den Folien zum Vortrag (lassen sich gut parallel anschauen):

https://aundokassel.files.wordpress.com/2021/01/anarchistische-perspektive-auf-pandemischen-ausnahnmezustand_2-1.pdf

Contra #Zero Covid – Debatte

Lesedauer: 14 Minuten

Auf indymedia wurde kürzlich ein interessanter Debattenbeitrag veröffentlicht, welcher wie den Kommentaren zu entnehmen ist, eine größere Kontroverse auslöste. Aus diesem Grund möchte ich diesen Text hier festhalten, nicht, weil ich den Stil insgesamt oder alle Inhalte teile. Was ich jedoch gutheiße, ist eine Kritik am Zero CovidAufruf der zurecht ein Armutszeugnis von Leuten ist, die es eigentlich besser wissen könnten. Oder möglicherweise auch nicht, insofern sie damit ihre eigene gesellschaftliche Positionierung widerspiegeln, welche Teil des Problems ist.

Die Forderung „Zero Covid“ hat ja einen wahren Kern: Es stimmt vermutlich, dass das Virus und seine Folgen zurückgedrängt werden könnten, wenn gebotene Verhaltensweisen konsequent umgesetzt werden könnten. Je mehr Menschen meinen Skifahren zu müssen, ihre Geschäfte zu öffnen, Party zu machen oder dergleichen, desto länger werden wir es mit diesem Virus zu tun haben. Das Menschen ohnehin sterben – auch an den Folgen der Herrschaftsordnung, in der wir leben – ist ebenfalls richtig. Es ist aber kein Argument dafür, die Pandemie einfach laufen zu lassen, sondern eine menschenverachtende, nihilistische Einstellung.

Das Problem ist, dass die Initiator*innen von Zero Covid sowohl die Ursachen verkennen, weswegen sich Covid19 dermaßen ausgebreitet hat und so gefährlich ist, als auch eine direkt falsche Vorstellung von der staatlichen Regulierung der Pandemie haben und mit dem Aufruf verbreiten. Mal abgesehen von Parteilinken, welche ohnehin der Meinung sind, besser regieren zu können (wobei die Herrschaft noch wo anders sitzt als allein oder vorrangig in den staatlichen Apparaten), erschreckt es zurecht, dass auch sich radikal wähnende Linke an die autoritäre Lösung glauben. Sicherlich, eine effektive Bekämpfung der Pandemie ist nicht möglich, wenn sich der Lockdown vorrangig auf das Sozialleben, Ausbildungsinstitutionen und das Einkaufen bezieht, während die Wirtschaft weiter laufen soll. Dass es sich hierbei jedoch um eine funktionale Logik des kapitalistischen Staates handelt, welcher eben nicht mit einem gut gemeinten Appell in eine andere Richtung schwenkt, ist eine Binsenweisheit, die in der gegebenen Situation wieder ihre Wahrheit erweist.

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Zur Erneuerung staatlicher Souveränität im pandemischen Ausnahmezustand

Lesedauer: 9 Minuten

Eine Entgegnung zu Meinhard Creydts Artikel „Mit Corona-Politik auf dem Weg in den ‚Obrigkeitsstaat‘?“, in Bezug auf die Staatsgläubigkeit anachronistischer und postmoderner Linker sowie kritischer Kritiker.

zuerst veröffentlicht auf: untergrund-blättle.ch

Vor kurzem kritisierte Meinhard Creydt in seinem Beitrag meiner Ansicht nach zwei Tendenzen in Hinblick auf den Umgang mit der gegenwärtigen Corona-Pandemie und dem auf sie folgenden (politischen) pandemischem Ausnahmezustand: Zum einen die konformistische Revolte eines irritierenden, zugleich aber auch alt hergebrachten Bündnisses. Und zwar jenes zwischen gekränkten mittelständigen Eigentumsbewahrern und ausgeschlossenen Proletariern; zwischen gutbürgerlichen – meist christlich-fundamentalistisch geprägten – „besorgten Eltern“, die Kinder instrumentalisieren, und esoterischen Hippies; zwischen Reichsbürgern und vermeintlich „Friedens“-Bewegten; zwischen organisierten Nazis und von diffusen Ängsten geplagten Wutbürger*innen. Diese Melange findet sie in den Protesten der „Querdenker“ zusammen und zwar weniger zufällig, denn strategisch angebahnt. Ich weiss, wovon ich schreibe, denn ich konnte mir am 7.11. selbst ein Bild der Versammlung dieses kranken „Volkskörpers“ in Leipzig verschaffen.

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Auftaktrede zur Landauer-Veranstaltungsreihe

Lesedauer: 6 Minuten

Eine recht frei runtergeschriebene Rede. Gehalten am 29.10. im Pöge-Haus.

Mensch – Geschichte – Revolution

Zur Aktualität des kommunitären Anarchismus Gustav Landauers

Herzlich Willkommen zur Buchvorstellung von Paul Stephan „Links–Nietzscheanismus. Eine Einführung“.

Als Mitorganisator unserer Veranstaltungsreihe zum kommunitären Anarchismus Gustav Landauers habe ich die Aufgabe übernommen, einige Worte zur Eröffnung zu dieser Veranstaltung und damit unserer Reihe zu sagen. Selbstverständlich werden wir sie durchführen, wenn auch den erschwerten Bedingungen, mit denen wir konfrontiert sind. Anstatt die aktuelle Situation einfach mit dem Anschein von Normalität zu überspielen, möchte ich zu Beginn einige Worte zum Elefanten im Raum loswerden. Die Corona-Pandemie wird zweifellos als Katalysator einer tiefgreifenden Veränderung des gesellschaftlichen Arrangements führen. Ob in Hinblick auf die Frage nach der Gewährleistung von Gesundheit, Arbeitsverhältnissen, Digitalisierung oder den Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals im fortschreitenden 21. Jahrhundert werden wir in den nächsten Jahren zahlreiche Veränderungen erleben. Wir können uns nicht krampfhaft an das Alte klammern, denn sein Bestand ist unhaltbar geworden und vom Lauf der historisch-politischen Ereignisse überrollt worden. Peter Kropotkin, einer der wichtigsten Denker*innen des anarchistischen Kommunismus ging davon aus, dass in jeder Krise auch Chancen liegen, dass wir stets Potenziale suchen können, die uns zur Erkämpfung einer freiheitlichen, egalitären und solidarischen Gesellschaft motivieren können. Kommunistische und anarchistische Tendenzen gibt es für Kropotkin es auch in der heutigen Gesellschaft. Sie aufzuspüren und voranzubringen ist die Grundlage, um die neue Gesellschaft in der Schale der alten aufzubauen, zu organisieren, zu erkämpfen. Dies war auch die Herangehensweise des zeitgenössischen anarchistischen Denkers David Graeber, der bedauerlicherweise am 2. September gestorben ist.

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