Vom Luxus der Freiheit, sich der Beschäftigung mit dem Gesetz entziehen zu können
Trotz aller gefühlter und realer Zwänge, aller verinnerlichten und geschichtlich eingeschriebenen Zwänge, bin ich in einem selten freien Zustand für einen zeitgenössischen Menschen. Meine Situation in Westeuropa zu leben, in einem wohlhabenden Land, ist ein Privileg – nicht die Freiheit, welche ich meine. Nein, ich bin in der luxuriösen Situation, mich so wenig wie irgendwie möglich, mit gesetzlichen und bürokratischen Abläufen befassen zu müssen.
Anarchistische Praktiken, Vorstellungen und Sichweisen sind Jahrhunderte alt und zugleich ganz am Puls der Zeit Sie sind so allgemein verständlich und simpel, wie voraussetzungsvoll und kompliziert Und so gängig und verbreitet, wie selten und minoritär
Vielfältige anarchistische Projekte verbindet im Kern ein flexibles System eingängiger Grundsätze und Erfahrungen welche sich durch die Zeit winden und sich im Wandel ihrer Formen und Ausprägungen zu erhalten
je weiter das gute, reiche, schöne Leben entfernt ist, desto kürzer erscheint die Lebensspanne es ist je weiter entfernt, je weniger es für alle angestrebt und ermöglicht wird je stärker eine Gesellschaft auf Konkurrenz, Ausbeutung, Unterdrückung, Gewalt und Lüge gründet desto weniger Zeit steht uns zur Verfügung
das Erleben selbst und die Formung des eigenen Selbst darin werden längst als Produktionsprozess und Konsumobjekt betrachtet während die Anforderungen an das moderne Subjekt in der nekro-kapitalistischen Gesellschaftsform keineswegs geringer werden
und so verrinnt unsere Zeit umso unerbittlicher, je länger wir im Zustand dieser Herrschaftsordnung verharren statt aus ihr auszusteigen, sich zu verweigern, sie zu bekämpfen und umfassende Alternativen zu ihr aufzubauen
die Zuspitzung ist kein Automatismus, der sich aus zwangsläufigen Entwicklungen ergeben würde sie ist vielmehr aktiv vorzunehmen, wenn sich eine Gruppierung von der Szene, dem Hobby, der Subkultur zum stilllegenden und progressiven Faktor erheben will dies ist das Streben nach Autonomie, die Selbstbestimmung der Einzelnen wie auch die Selbst-Organisation, welche soziale Bewegungen motiviert, inspiriert, radikalisiert und emanzipiert
Die Zeit des Wandels verrinnt wie in einer Sanduhr und scheinbar beschleunigt sich dieser Prozess exponentiell zum Ende hin Was wir anstreben sollten, ist, die Sanduhr im exakten Zeitpunkt umzudrehen durch den Nullpunkt zu gehen und in der Geburt eines entschiedenen Paradigmas die Gesellschaftsform neu aufzubauen
Damit wir die soziale Revolution zu unserer Lebzeit verrichten holen wir sie ins Hier und Jetzt wir predigen die revolutionäre Ungeduld um ein Jahrhundertwerk zu vollbringen
da mein leben ohnehin schon anstrengend ist fällt es mir schwer eigene ambitionen zu entwickeln dann auch noch hinsichtlich dieser anstrengungen zu vollbringen natürlich liegt es immer im auge des betrachters was für wen anstrengend ist oder was wer vollbracht hat
Ein spontaner Besuch bei meiner Schwester in einer anderen Stadt endete mit einem Ausflug bei IKEA. Sie wollte etwas Bestimmtes besorgen, ich hatte Zeit und wollte die Hotdogs essen. Wir hatten ihr kleines Kind zu betreuen. Also begaben wir uns auf die Reise durch die Kunstwelt des schwedischen Möbelherstellers. Es ist sicherlich über 10 Jahre her, dass ich bei IKEA war und ich kann mich auch nicht erinnern, während dieser Zeit ein Möbelstück gekauft zu haben. Ein hervorragendes Sofa hatte ich vor nicht all zu langer Zeit im Sozialkaufhaus erworben, ein Regal und einen Aktenschrank aus früheren WGs übernommen, während mein Schreibtisch seit meinem 14. oder 16. Lebensjahr auf eigenartige Weise alle Umzüge überlebt hat, welche ich in meinem Wahnsinn bewältigen musste.
Aus dem Auto heraus konnten wir gut das große blaue Schild mit den gelben Buchstaben sehen und fuhren in das Parkhaus hinein. Schöner Abgasgeruch, dachte ich, und freute mich. Wir quasselten mit dem Kleinen, kamen auf unserem Weg zum Eingang an einem Plakat mit Hotdogs vorbei und nahmen uns einen Einkaufswagen. Dann fuhren wir mit dem Lift in die erste Etage und betraten die Traumwelt des bescheidenen Glückes für Angehörige der Massengesellschaft.
Gleich am Eingang kommentierte ich, dass ich nicht wusste, dass es hier auch Süßigkeiten gibt. Meine Schwester, die einen anderen Lebensstil pflegt, lächelte und antwortete wissend: „Wenn du beim dritten Mal daran vorbeikommst, wirst du sie einpacken“. Nicht ohne Grund waren wir Montagvormittag hierher gegangen. Denn darin sind wir beide uns gleich: Menschenmassen mögen wir nicht, sie stressen uns. Dafür war dann doch erstaunlich viel los im Einrichtungsgroßhandel. Als hilfreich in diesem Zusammenhang erweisen sich Pfeile auf dem Boden und sonstige Hinweise, die einen – manchmal sanft, manchmal grob – durch die aufeinanderfolgenden Abteilungen der Ausstellung kleinbürgerlicher Rückzugsräume leiten.
Was kritische Intellektuelle nicht tun ist: Menschen Positionen, Perspektiven, Potenziale zu bringen
Was sie tun ist ihnen zu Bewusstsein zu bringen, eine Bewusstwerdung über ihre Positionierungen, Weltsichten und Kapazitäten zu ermöglichen
Die Mittel dafür sind akkurate Analysen, verständliche Interpretationen und eine begriffliche Sprache, die sich nicht in Schöngeistigkeit und Abstraktionen verliert,
sondern Wirklichkeiten auf ein höheres Reflexionsniveau hebt, um in sie eingreifen, sie gestalten zu können.
Wer sich selbst erfahren will, muss sich auch selbst verarbeiten. Die Methode dafür besteht häufig in der Reflexion durch die Spiegelung des eigenen Verhaltens im Ausdruck der Anderen. Jemandem eine Ansage zu machen, wirkt häufig autoritär und ist zurecht verpönt. Eine ehrliche Rückmeldung zu formulieren scheint unter diesen Voraussetzungen aber ebenfalls schwierig – selbst, wenn sie wohlwollend geschieht. (Doch auch allein zur Abgrenzung wäre sie legitim, wenn sie nicht auf Verletzung abzielt.) Wir sollten ernsthaft aufhören, einander erziehen zu wollen. Jemanden irgendwohin ziehen zu wollen (meistens auf die eigene Position oder zumindest eine scheinbar harmlose). Wir sollten gemeinsam unser Bewusstsein bilden; dem Bewusstsein der ums herum stehenden, liegenden, krabbelnden Mitwesen Erweiterungsmöglichkeiten eröffnen.
Soweit passt das alles. Soweit kann ich mich damit gut arrangieren. Ich würde auch soweit gehen zu sagen, das es Aufgabe von Anarchist*innen ist, sich auf bewusstseinsbildende Prozesse einzulassen, sie voranzubringen und sie transparent mit ihren Anliegen zu gestalten. Bewusstseinsbildung geschieht parallel zu und in Organisierung, Aktion, Kommunikation und Strukturarbeit.
Leider war’s alles zu viel in letzter Zeit. Vermutlich kennen viele diese Gefühl, im Scheitern der eigenen Bestrebungen, ob in der Liebe, im Alltag, dem Tätigkeitsein, der Selbstverwirklichung, im Leben. Dann wird alles anstrengend. Zu anstrengend. Ein weiterer loster Mensch sucht irgendwie nach Bestätigung und Aufmerksamkeit – und rafft doch immer noch nicht, dass ich nie verstanden habe, warum ich Personen einfach nur in ihrer Existenz bestätigen soll. Das müssen sie schon selbst hinbekommen, auch wenn ich mich häufig ebenfalls in diese erbärmliche Bittstellung begeben habe.
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Schon zu lange funktionieren die Dinge nicht mehr; Begreife ich meine Lebenssituation nicht, und auch nicht, wie ich in sie gelangt bin. Sich daraus befreien zu können, war früher schwer, weil man sich selbst nicht genug kannte. Heute ist es schwer, weil man sich selbst genug kennt – und daran resigniert. Wenn die Kraft zum rebellieren fehlt, bleibt die Einkehr. Neue Kräfte werden wachsen. Ich freue mich, wenn sie wieder in die Rebellion gegen eine schlichtweg wahnsinnige Herrschaftsordnung münden, welche die Würde des Menschen täglich missachtet und die Lebensgrundlagen der biologischen Existenzen auf diesem Planeten täglich weiter vernichtet. Ich sehne mich nach dem großen Kladderadatsch. Doch weiß ich, das es sich um eine Projektion handelt. Die soziale Revolution ist Alltagssache. Und kann nur so emanzipierend wirken, wie wir uns im Hier und Jetzt organisieren und handeln.
Glück ist, wenn ich sich erniedrigte, ausgebeutete, unterdrückte Menschen erheben nicht aus vermeintlicher Notwendigkeit, sondern um ein gutes, erfülltes, würdevolles Leben für alle zu erkämpfen
Glück ist, wenn ich reisen und dies mit einem agitatorischen, organisatorischem, Bewusstseins-bildenden Zweck verbinden kann wenn ich sprechen, schreiben, handeln, sein und damit Menschen etwas zeigen kann
Glück ist der unkontrollierte Aufbruch auf der Straße, im Saal, im Betrieb, das aufbegehren gegen die Institutionen der Herrschaft das Gleißen in unseren Augen wenn zerschmettert wird, was Menschen knechtet;
Glück ist der Bruch, die Situation, Irritation, Provokation, Rebellion, die Aktion
Ein wirklicher Kneipengänger war ich nie. Ursprünglich lag es am mangelnden Geld, was ich in Kneipen hätte verprassen können. Stattdessen trafen wir uns früher in der Straße und an alternativen Locations. Nachdem in meinem Leben etliche Biere die Kehle runtergeflossen sind, fand ich mich zuletzt doch immer mal wieder in einer Kneipe wieder. Vielleicht einfach, weil Winter war und ich trotzdem abends raus musste. Vielleicht aus Verzweiflung, vielleicht auch aus Neugier, wer weiß. Was ich auch immer schlecht ertragen habe war der Lautstärkepegel in Kneipen, welcher bekanntermaßen mit dem Alkoholpegel korreliert. Das kann anstrengend sein. Mittlerweile beobachte ich aber mehr und das hilft etwas, den Lärm besser auszuhalten. Wohingegen ich Zigarettenqualm inzwischen nicht mehr gut ab kann. Ich werde alt. Oder jung. Oder anders. Jedenfalls übe ich mich immer noch im Kneipensetting.
Fertig war ich, fertig und leer. Keine Kraft mehr, keine Lust mehr, kein Bedarf mehr. An irgendwelchen Menschen, Lichtern, Schallwellen, alkoholischen Getränken, Situationen, Gelächter, Gegröhle und dämmrig vor sich hin tanzen. Wie mit allem kann man es beim Feiern übertreiben. Die Grenzen sind dabei individuell sehr unterschiedlich. Ich habe keine Lust mehr, besoffen sieben oder acht Uhr ins Bett zu fallen und es doch nicht geschafft zu haben, in dieser Selbstbespaßung Entspannung oder den Kontakt zu finden, welchen ich mir gewünscht hätte. Länger konnte und wollte ich ohnehin nie wach bleiben, was vielleicht auch sein Gutes hat: Mein Körper sagt mir, wann Schluss ist. Ob ich deswegen länger lebe oder mehr von Leben habe als andere – wer mag das schon beurteilen und vergleichen? Es ist egal.