Landauer trifft mich beim Runterkommen
Auf dem Rückweg sitzt auf dem Zweiersitz im Zug neben mir ein schnöseliger Typ. Er hat Lederschuhe an, einen offensichtlich teuren Mantel in beige neben sich hängen und eine runde Brille auf. Ich neige nicht wirklich dazu, Menschen in Kategorien zu pressen. Weil ich selbst meine, in diverse Kategorien nicht hinein zu passen und sie zu überschreiten. Naja, da kann man natürlich auch die Fiktion der eigenen Besonderheit draus konstruieren… In diesem Fall fällt es mir aber wirklich schwer, meine Vorurteile zurückzustellen. Denn er liest den aktuellen GegenStandpunkt, das Magazin dieser hyper-marxistischen Sekte, einer längst zugrunde gegangenen Unterunterströmung der Neuen Linken.
Das Problem aus marxistischer Perspektive ist nicht er als Person, sondern er als Subjekt. Das Großbürgerkind Karl reflektierte den Standpunkt des Bürgertums ja sehr gut – und ermöglichte deswegen seine radikale Kritik. Daher kann ich von außen nicht beurteilen, ob der Studi vor allem damit beschäftigt ist, seinen bürgerlichen Standpunkt zu rechtfertigen und dementsprechend auch zu verteidigen – wie die antideutschen Intellektuellen.Oder, ob er tatsächlich an seiner Selbstdemontage arbeitet. Beziehungsweise den Verhältnissen, deren Produkt er ist. Oder – was die komplizierteste Variante wäre – ob er den schnösel-bürgerlichen Habitus mimt, um sich in der radikalen Kritik an ihm zu ihm zugehörig zu fühlen, weil er tatsächlich einem Milieu entstammt, dass in der sozialen Hierarchie weiter unten steht. Klingt seltsam, habe ich aber schön öfters mal erlebt… Mit den Studierenden- und Schlaumeierkreisen habe ich jedenfalls nur noch selten zu tun.
Und darum bin ich froh. Warum also kreisen meine Gedanken in solchen absurden Bahnen? Es wird immer irgendwelche Besserwisser-Studies geben, die super klug und super elitär sind und de facto nichts für sozial-revolutionäre Veränderungen beitragen – so wie die Leute bei Platypus und so weiter. Was verändert sich eigentlich wirklich in linken Debatten und Szenen, außer die Aufmachung der Labels? Sind es nicht immer dieselben Irrwege, welche Jahrzehnt für Jahrzehnt wieder gegangen werden? Und während ich dies denke, weiß ich natürlich auch, dass andere das gleiche von meiner Position sagen. Ein Unterschied ist allerdings, dass ich tatsächlich nicht nur dagegen stehe, sondern protestiere, also für etwas einstehe – und weiß, was es ist.
