Neulich zappte ich noch mal halb lustlos durch den Film Extinction von 2018, entschied mich entgegen, ihn anzuschauen und glotzte stattdessen um runterzukommen irgendeinen anderen Trash. Muss auch mal sein, aber in ein Feuer zu starren hätte mich vermutlich besser entspannt. In unserer Erlebnisgesellschaft kann Entspannung aber nur durch Aufregung produziert werden und so gelangen wir weder richtig zur Ruhe, noch häufig zur selbstbestimmten Aktivität.
Im Film hat ein Typ, der Ingenieur ist, gruselige Albträume einer kommenden Invasion durch Außerirdische. Alle meinen, er müsse mal zum Kopfdoktor gehen, bis die Aliens dann tatsächlich kommen – Pech gehabt. Glücklicherweise hat der Protagonist durch seine Gabe der Vorhersehung einige Ideen, wie sich das Ganze dann deichseln lässt. Komischerweise stellt sich dann aber heraus, dass die Aliens gar nicht so andersartig wie Menschen, sondern selbst welche sind, während die Erdbewohner*innen selbst ihre künstlichen Seiten entdecken. – Das ist ein relativ interessanter Move im Film.
Zugegeben, ich lasse mich gerne einmal beeindrucken. Tolle Landschaftsaufnahmen, die Perspektive von Drohnen-Kameras, theatralische Hintergrundmusik und spannende Cliffhanger erzeugen ein verführerisches Ambiente; neugieriges Infragestellen, verbunden mit einem mystisch angehauchten Faible für alternative Sichtweisen wecken mein Interesse. Sie befriedigen mein Bedürfnis, holistisch zu denken und mich verbunden mit einer großen Erzählung zu empfinden.
Dementsprechend war die achtteilige Netflix-Serie Untergegangenen Zivilisationen auf der Spur des Journalisten Graham Hancock eine unterhaltsame Beschäftigung für mich, um das neue Jahr langsam, aber gespannt anzugehen. Hancock hat mit der Kurzserie offensichtlich sein Lebensthema verfilmen lassen. Die ganze Erzählung dreht sich um die faszinierende Hypothese, dass es schon vor mehr als 10000 Jahren eine global verbreitete Zivilisation gegeben habe. Dies lässt sich nach derzeitigem archäologischen Forschungsergebnissen nicht belegen – was auch äußerst schwierig ist, aufgrund des Zahns der Zeit, welcher Zeugnisse zernagt. Daher lässt sich die Hypothese jedoch auch nicht plausibel widerlegen – weswegen es legitim ist, sie aufzustellen und damit einen wissenschaftlichen Anreiz zu schaffen. Im Folgenden schreibe ich ziemlich frei einige Gedanken herunter, die mir im Anschluss an die Serie gekommen sind.
Auch wenn mich die Serie bei meiner Neugier gepackt und gut unterhalten hat, nervte doch von Anfang an, Hancocks Inszenierung als ausgegrenztes Opfer der Wissenschaft, wobei er zugleich zugibt kein Wissenschaftler zu sein. Was will der Autor denn tatsächlich ausdrücken, außer sich vor dem monumentalen Hintergrund der Menschheitsgeschichte mit unbelegten und fragwürdig kombinierten Teilerkenntnissen einen Namen machen zu wollen? Hancock erschafft einen Mythos, der nicht deswegen gefährlich ist, weil er den Wissenschaftsbetrieb wirklich angreift, sondern, weil er einem Massenpublikum eher ein misstrauisches Gefühl und ein Denken in alternativen Fakten vermittelt. Ob zahlreiche Wissenschaftler*innen und auch Rezensent*innen konservativer Zeitungen, vehement Hancocks Darstellungen als falsch, post-faktisch, manipulativ brandmarken oder nicht: Der Mythos ist so oder so in die Köpfe und Herzen der Zuschauer*innen gepflanzt – und diese Vorgehensweise macht ihn so problematisch.
Hancock mag einen Hang zur Selbstdarstellung und pathologischen Selbstgewissheit in seine vermeintlich höheren Einsichten haben. Dass eine Serie auf diese Weise produziert wird, hat dann aber eher etwas mit der Kulturindustrie selbst zu tun, welche ja permanent Bilder in unsere Köpfe pflanzt, sei es von romantischen Beziehungen, gesellschaftlichem Status, politischen Konflikten oder was auch immer. Dass sich auch Rechtspopulist*innen dieser Mittel gezielt bedienen, ändert nichts daran, dass natürlich auch manche Linksliberale auf dem Feld der kulturellen Kämpfe agieren. Zu kritisieren ist also die kapitalistische Kulturindustrie als solche und nicht lediglich eine Serie, welche schnell als „unwissenschaftlich“ abgetan werden kann. Konservative Kritiker*innen sollten dann aber bspw. auch in ihrem Familienbild hinterfragt werden, welches sie als selbstverständlich ansehen. Marxistische Kritiker*innen wiederum täte eine Hinterfragung des nach wie vor vorhandenen teleologischen Geschichtsverständnisses und der Eindimensionalität zivilisatorischer Moderne gut.
Das Thema lässt sich abkürzen, indem wir einfach ein Jahr zurückspringen und noch einmal in David Wengrows und David Graebers faszinierendes Werk Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit (2022) schauen. Denn die beiden Autoren folgen einem ähnlichen Impuls wie die Netflix-Serie. Sie weisen nach, dass die Ur- und Frühgeschichte unbedingt einer Überprüfung bedarf. (Dafür stehen unter anderem die erst in jüngerer Zeit diskutierten Ausgrabungsstätten von Poverty Point oder Göbekli Tepe.) Dass diese bisher nicht in wünschenswertem Umfang geschah, ist dabei durchaus darin begründet, dass auch diese Wissenschaftsdisziplin – durch die Bewilligung der Mittelvergabe, Besetzung von Lehrstühlen und den Kanon des Grundstudiums – erstens ideologisch durch die Interessen herrschender Klassen geprägt und zweitens strukturell konservativ ist. Wengrow und Graeber weisen nach, dass es historisch weit früher als bisher angenommen „entwickelte“ Gemeinwesen (mit phasenweisem Ackerbau, Viehzucht, kulturellen und sozialen Entwicklungen) gegeben hat. Sie gelangen jedoch ebenfalls zur erstaunlichen Erkenntnis, dass diese häufig nicht sesshaft waren, ja der Sesshaftigkeit sogar teilweise aktiv aus dem Weg gingen.
Um zu beachtenswert ähnlichen kulturellen und technologischen Entwicklungen zu gelangen (insbesondere astronomischer Kenntnisse) bedarf es keineswegs der Abstammung von einer fiktiven unbekannten „Hochkultur“, deren Überlebende den „unzivilisierten“ Menschen Kultur und Technik bringen, sondern lediglich der kulturellen Adaption. Der Prozess der „Schismogenese“ führt parallel dazu, dass sich Gemeinschaften gerade dann voneinander kulturell abgrenzen, wenn sie nebeneinander leben, um einen imaginären Horizont für ihren sozialen Zusammenhang zu stiften. Wenngleich es durchaus möglich ist, dass Menschen schon früher als nachgewiesen werden kann und angenommen wird, weite Strecken über See gefahren sind, stützt dies keineswegs Hancocks Annahme, dass es während der letzten Eiszeit schon „Hochkultur“ gegeben haben muss, in welcher die Seefahrt Standard war.
Es fasziniert, dass es weltweit sehr ähnliche Mythen gibt. Insbesondere jene der apokalyptischen Überschwemmung, der ein Neuaufbau der Zivilisation folgt, welche durch fremde Kulturbringer initiiert wird. Und es ist ebenfalls plausibel anzunehmen, dass derartige Mythen nicht allein ihrem symbolischen Gehalt nach zu diskutieren sind, sondern den Kern eines wirklichen Ereignisses beinhalten, dessen Lehren in der historischen Flaschenpost mündlicher Überlieferungen weitergegeben werden. Um dies anzuerkennen, braucht es aber keine weltweite Apokalypse, die eine vorherige „Hochkultur“ vernichtete, sondern lediglich die Einsicht in den gemeinsamen Ursprung einer Menschheit. Diesen können wir annehmen, selbst wenn unterschiedliche Menschengattungen wie Neandertaler und Homo Sapiens sich vermischt haben (die wiederum beide von Homo Erectus abstammen).
Also, was sind die Lehren aus der Pseudo-Wissenschafts-Serie Untergegangenen Zivilisationen auf der Spur?
Erstens:
Ein einzelnes Filmteam dafür zu schelten, dass es die technischen und erzählerischen Mittel der Kulturindustrie nutzt, lenkt davon ab, wie dieser Betrieb insgesamt funktioniert. (Netflix hin oder her.) Er ist also solcher in seiner Profitlogik und ideologischen Funktion zu kritisieren.
Zweitens:
Pseudowissenschaftlichen Darstellungen und post-faktischen Zweifeln an etablierten Wissenschaften gilt es mit Vorsicht zu begegnen, da sie unterm Strich vorrangig Rechtspopulist*innen dienen, welche soziale Errungenschaften (ja, auch Demokratie) zugunsten stärker autoritärer Herrschaftsordnungen untergraben. Eine Skepsis ist umso stärker angebracht, je spektakulärer Erzählungen inszeniert und ausgeschmückt werden.
Drittens:
Hinter der Attraktivität von alten und neuen Mythen steht der Wunsch nach einer holistischen Weltsicht. Die meisten Menschen interessieren sich wenig für bloße wissenschaftliche Fakten (egal welcher Disziplinen), sondern für deren Anwendung. Die Anwendung der Archäologie und Geschichtswissenschaft besteht in Erkenntnissen über die eigene historisch-spezifische Situation, den variablen Möglichkeiten zu ihrer Gestaltbarkeit und damit auch dem individuellen und kollektiven Sinn der eigenen, vergänglichen Existenz. Die bloßen Erkenntnisse müssen daher mit bestimmten (offen gehaltenen) Interpretationsangeboten unterfüttert werden, was ebenfalls Aufgabe von Wissenschaftler*innen ist. Wo sie diese nicht, bzw. nicht ausreichend, vornehmen, kommt ein Hancock daher und fügt Puzzleteile zu einem Bild zusammen, das Laien aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten kaum selbst überprüfen können.
Viertens:
Auch Wissenschaftsdisziplinen wie die Archäologie und die Ur- und Frühgeschichte sind von den Interessen eines herrschenden Arrangements und von strukturellem Konservatismus geprägt. Das hat nichts mit Manipulation zu tun, sondern mit der Einsicht darin, wie Wissenschaftsbetriebe funktionieren. Insofern ist die Infragestellung dessen, wie Wissen produziert wird, was als anerkanntes Wissen gilt, wer anerkanntes Wissen produzieren kann und wessen Interessen welches Wissen dient, aus prinzipiellen Gründen legitim und wünschenswert.
Fünftens:
Wie das Buch von Wengrow und Graeber zeigt, ist eine Kritik an herkömmlichen wissenschaftlichen Standards auf wissenschaftlich fundierte Weise möglich und erstrebenswert. Archäolog*innen und Geschichtswissenschaftler*innen deuten Fundstücke der Vergangenheit zwangsläufig immer ihrer eigenen Bewusstseinsprägung nach. Wer z.B. wie selbstverständlich davon ausgeht, dass es immer patriarchale Gesellschaftsformen gegeben hat und dies als „natürlich“ annimmt, wird dafür in Stein gemeißelte Belege finden. Andere Belege werden dagegen ignoriert, relativiert oder ins vorherrschende Weltbild umgedeutet. Daher ist zu fragen: Warum und aus welcher Perspektive, mit welcher Motivation und mit welchen Methoden betreiben Menschen Wissenschaft? Und diese Standpunkte, Perspektiven, Motivationen und Methoden gilt es nachvollziehbar offen zu legen und diskutierbar zu machen. Genau dies tun z.B. Wengrow und Graeber im besten anarchistischen Sinne. Dem verweigert sich Hancock auf problematische Weise zugunsten seines Egos und des spektakulären Mythos.
Dieser Film ist nichts für ADHSler*innen. Wer ihn schaut muss schon etwas Ruhe mitbringen. Ob diese durch den kontinuierlichen Takt der Schweizer Uhren vorgegeben oder durchbrochen wird, muss dabei jede*r für sich selbst entscheiden. Der Regisseur Cyril Schäublin produzierte jedenfalls einen Film, der gerade durch seine Beschaulichkeit und Höflichkeit zum Nachdenken anregen soll.
In einer pittoresk anmutenden Umgebung, die nicht grundlos Elemente eines volkstümlichen Theaterstückes zu verkörern scheint, stoßen das kapitalistisch-nationalistische und das kommunistisch-anarchistische Lager aufeinander. Ironischerweise erschaffen die Arbeiter*innen in den Uhren-Manufakturen dabei selbst die Messinstrumente, mit denen die Optimierung der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft vorangetrieben wird. Sie führen basisdemokratische Abstimmungen durch, hören Grußworte von Genoss*innen aus verschiedenen Sektionen, sammeln Geld zur Unterstützung von Streiks in Baltimore und Brasilien und verweigern die Produktion von Taschenuhren für das Militär.
Seltsamerweise protestieren sie jedoch nicht dagegen, als eine altersschwache Kollegin von den zwei Dorf-Cops für zehn Tage Zuchthaus abgeholt wird, weil sie die Gemeindesteuern nicht zahlen konnte. Sie erklären ihre Ablehnung gegenüber einem nationalstaatlichen Gedenkfest, gehen aber keineswegs soweit dieses zu sabotieren. Sie verbergen den gesuchten italienischen Anarchisten Carlo Cafiero, haben aber nicht die Stärke, die Fabrik zu übernehmen und in Selbstverwaltung zu überführen. Vielleicht braucht die soziale Revolution einfach noch Zeit – während sie zeitgleich weltweit in direkten Aktionen und Organisierung im Gange ist und ihren Angehörigen eine Selbstsicherheit zu gewähren scheint, welche sie konzentriert daran weiterarbeiten lässt.
Im Endeffekt warten die Zuschauer*innen darauf, dass Pyotr Kropotkin und Josephine Gräbli (welche mehrdeutigerweise den Teil der Uhr einsetzt, welcher „Unruh“ genannt wird) knutschen, weil man verkopftem Ersterem nicht so richtig zutraut, dass er das hinkriegt. Es wird angedeutet, ist aber letztendlich deren Sache.
Interessant ist unter anderem der Aspekt, dass Kropotkin an einer Karte ohne Ländergrenzen und Zentren arbeitet, auf welche Orte so benannt werden soll, wie sie die lokal ansässige Bevölkerung tut, anstatt durch eine staatliche Vermessungsbehörde bezeichnet zu werden.
Alles in allem: Ein nettes, volkstümliches, höfliches Ambiente. Schlüsse für heute lassen sich daraus schon ziehen. Wer den Anarchismus damit als historischen Gegenstand konservieren und entpolitisieren will, dem wird dies auch gelingen. Dies sollte aber nicht dem Regisseur angelastet werden, der mit der Verarbeitung eines Teils seiner Familiengeschichte auch sehr unterschwellig die Fragen in den Raum stellt: Wie kommt die Unruhe in die Welt? Wann steht die Zeit einmal still? Und wann beginnt ein neues Zeitalter, in welchem Menschen über ihre eigene Zeot vollständig verfügen?
Ja, auch ich habe eine Netflix-Serie gesehen und das ist überaus unspektakulär. Zunächst wollte ich damit einfach abschalten.
Abschaltung durch Anspannung – eine bezeichnende Paradoxie der Gegenwartsgesellschaft. Seit meiner Kindheit stehe ich auf Gangstergeschichten und das ist einer der Hauptgründe, warum mich er Plot von Haus des Geldes angesprochen hat.
Zumal die Serie in einem Land produziert wurde, in dem einerseits nach wie vor die Nachwirkungen der europäischen Wirtschaftskrise und Sparpolitik seit 2008 verarbeitet werden müssen. Und in welchem es andererseits eine lange Tradition militanten, populären Widerstands gibt, denken wir etwa an Francesc „Quico“ Sabaté Llopart oder Lucia Urtubia. Die Gruppe „Los Soldiarios“, um Buenaventura Durutti überfiel 1923 mutmasslich auch die spanische Zentralbank. Insofern baut die Delinquenz des 21. Jahrhunderts auf einer langen Tradition auf und kann auf ihren radikalen politischen Gehalt hin diskutiert werden.
Warum kulturindustrielle Erzeugnisse hier einer Besprechung wert sind
Nach dem Ende der fünften Staffel (erschienen am 3.12.21) wurde mir bewusst, dass in er Serie allerlei explizit anarchistische Motive verarbeitet wurden. Weil es sich zugleich um eine der am meist gesehenen Serien überhaupt handelte, lohnt sich ihre Betrachtung. Zumindest wenn wir den Anspruch haben, uns mit zeitgenössischen kulturellen Phänomenen zu beschäftigen, um zu verstehen, was Leute bewegt. Tatsache ist, dass viele Millionen Menschen die Motive von Haus des Geldes aufgriffen und sich davon offenbar inspiriert fühlten.
Deutlich wird dies beispielsweise an der Wiederaneignung des italienischen Partisanenlieds „Bella Ciao“ durch die Sendung. Gerade weil sie auf ein massenkulturelles Erzeugnis ist, trug die Serie zur Verbreitung anarchistischen Fühlens und Denkens weit mehr bei, als ich es in meinem ganzen Leben werde tun können. (Ob sie es auch qualitativ vertieft, steht dabei allerdings auf einem anderen Blatt…) Vielleicht ist es allein schon mein damit verbundener Neid, der mich zur Frage führt, was die Popularität dieser Heist-Erzählung über die bestehende Gesellschaftsform aussagt.
Der Handlungsrahmen
In Haus des Geldes dringt eine Gruppe von zunächst acht Bankräubern in die spanische Notendruckerei und weiteren Verlauf (ab Staffel 3) in die spanische Zentralbank ein. Statt lediglich Geld mitzunehmen, drucken sie über Tage selber welches beziehungsweise schmelzen die staatlichen Goldreserven ein, um sie zu ergaunern. Um dies umzusetzen, nehmen sie die in den Prestige-trächtigen Gebäuden jeweils Anwesenden als Geiseln. Dabei haben die Räuber, deren Decknamen nach Hauptstädten vergeben wurden, Funkkontakt zum „Professor“, der von einem verborgenen Versteck aus agiert und den Überblick behält. Das Mastermind hinter dem Coup hat den detaillierten Raub mit Unterstützung seines Bruders „Berlin“ und dem Anführer „Palermo“ zwei Jahrzehnte lang ausgetüftelt und die Ganoven schliesslich rekrutiert und vorbereitet.
Neben der aufregenden Hintergrundmusik sorgt der nahtlose Übergang der verschiedenen Szenen, sowie die Offenheit des Handlungsverlaufs für Spannung. Interessant sind die eingefügten Rückblenden zur Vorbereitung der Aktion, sowie den Hintergründen der jeweiligen Charaktere. Verständlicherweise ist der ganze Aktionsverlauf in Abhängigkeit der Handlungen der Gegenseite her zu denken: Verschiedenen Ermittlern, Polizeiführern, Geheimdienstchefs und Soldaten mit ihren jeweils eigenen Beweggründen und Widersprüchen.
Integere Ethik und inspirierender Populismus
Das Kriminalität und Anarchismus im bürgerlichen Bewusstsein miteinander assoziiert werden, ist allgemein bekannt. Doch nicht das Übertreten von Gesetzen macht die Bankräuber*innen in Haus des Geldes zu Anarchist*innen. Vielmehr versuchen sie strikt nach ihren eigenen Regeln zu handeln. Dabei verstricken sie sich unweigerlich in zahlreiche Widersprüche. Dies verwundert auch nicht, denn immerhin begeben sie sich in eine hochgradig lebensbedrohliche Situation, die sie selbst geschaffen haben und nur die Androhung von Gewalt aufrechterhalten können.
Dabei sind sie von Sicherheitskräften umzingelt, denen der Tod der Beteiligten wie auch der Geiseln zunehmend legitim erscheint, um die Kontrolle wieder zu erlangen. Dagegen ist die oberste Regel der Gangster, dass keine Geisel sterben darf. Dass sie mit diesem höchsten Grundsatz in der Ausnahmesituation immer wieder in Konflikt kommen, zeigt ihr Ringen um ethische Integrität mit welcher die Kälte der staatlichen Militärmaschine und ihrer Logik kontrastiert werden kann.
Und damit sind die Bankräuber*innen erfolgreicher, als ihnen möglicherweise selbst bewusst ist. Sie bewegen ihre Gegner*innen und sogar Feind*innen zur Mässigung und sogar zum Überlaufen: So wechselt die leitende Ermittlerin Raquel Murillo Fuentes die Fronten und beteiligt sich ab Staffel 3 als „Lissabon“ am zweiten Überfall. Ebenso die Geisel „Mónica Gaztambide“ welche sich als „Stockholm“ anschliesst, um mit ihrem alten Leben zu brechen. Selbst die grausame Polizeichefin Alicia Sierra Montes, welche „Rio“ foltert, lässt schliesslich in der fünften Staffel die Waffen fallen. Von ihren eigenen Leuten verraten, erweisen sich die „Kriminellen“ letztendlich als die rechtschaffeneren Menschen, die sogar ihr vergeben können. Trotzdem sie bewaffnet sind, setzen die Anarchist*innen auf Überzeugung und Verführung, welche neben ihrer Entschlossenheit, ihre eigentlichen Stärken bilden.
Dieses Handeln geschieht aber nicht aus einer rein humanistischen Einstellung, sondern ist Teil der Strategie. Denn als wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des Bankraubs gilt, dass die Bevölkerung mit den Bankräuber*innen sympathisieren muss. Die moderne Robin Hood Geschichte findet offenbar immer noch Anhänger*innen, welche den demokratischen Schutz der Öffentlichkeit ermöglicht. – Einem „Volk“, dass sich sehr wohl für Fragen gesellschaftlicher Gerechtigkeit interessiert und zurecht auch vom Rachebedürfnis gegenüber den privilegierten Klassen geprägt ist, mit dem es einen emanzipatorischen Umgang zu finden gilt.
Hinzu kommt, dass die Gangster in der Öffentlichkeit stets Masken tragen. Statt der berühmten Anonymous-Gesichter ist für Polizei und Bevölkerung das immer gleiche Zerrbild eines Gesichts von Dalí zu sehen. Niemand oder jede*r könnte also die Gangster sein. Was zählt, sind nicht sie als Personen, sondern, wie sie handeln und was sie verkörpern: Mut, Entschlossenheit, Selbstbestimmung, Gerechtigkeitsstreben und Rache. Das Verhältnis der anarchoiden Aktivist*innen zum Volk ist damit keines der Führung und Bevormundung, sondern eines der Inspiration und Ermutigung. So werden die Zuschauenden zu Teilnehmenden, die aufgefordert sind, ihre eigenen Lebensumstände zu verändern und eine kämpferische Haltung einzunehmen.
Die Affinitätsgruppe der Verstossenen und ihre leidenschaftliche Genossenschaftlichkeit
Die Gangster selbst bilden mehr als ein Team. Durch zahlreiche schwerwiegende Konflikte hindurch entwickelt eine Affinitätsgruppe, die stärker noch von Freundschaft, dem gemeinsamen Ziel und der gemeinsam gewählten Zwangslage, von genossenschaftlichen Beziehungen geprägt ist. Dieses Gemeinsame entwickeln die Einzelnen erst durch ihre Auseinandersetzungen. Ihre Klassenhintergrund reicht dabei von Proletariern („Denver“ und „Moskau“), über den Ingenieur „Bogotá“ hin zum Möchtegern-Aristokraten „Berlin“. „Palermo“ und „Helsinki“ sind schwul, „Manila“, die später zum Geschehen dazu kommt, ist eine Transfrau. „Tokio“, eine der Hauptfiguren, die auch die Hintergrunderzählstimme spricht, ist trotz ihrer in Szene gesetzten Attraktivität und Scharfsinnigkeit von tiefen Selbstzweifeln geplagt.
Letztendlich handelt es sich bei allen um Anti-Helden, die zum Teil durchaus problematische Verhaltensweisen an den Tag legen. Was sie vereint ist, dass sie sich als Verstossene fühlen, Ausgrenzungserfahrungen gemacht – aber dagegen strukturell vorgehen und somit um ihre Würde kämpfen wollen.
Dass die Auseinandersetzung darum stets auch in den eigenen Reihen zu führen ist, wird durch zahlreiche Konflikte um Geschlechterrollen verdeutlicht. So ruft „Nairobi“ gegen die mackerige Befehlsgewalt in Staffel 2 beispielsweise das Matriarchat aus und übernimmt die Führung. „Palermo“ lässt sich dies nicht bieten, kann aber seinen patriarchalen Führungsstil nicht langfristig durchsetzen, weil er sich schlichtweg nicht mehr als zeitgemäss erweist.
In jedem Fall sind es gerade die Widersprüche in den Charakteren selbst, welche nicht nur den Stoff für eine fesselnde Erzählung geben, sondern eine intensive Identifikation mit ihnen ermöglichen. Ermächtigung und Handlungsfähigkeit können nur von der Widersprüchlichkeit und Gebrochenheit, aber auch von den Sehnsüchten und Hoffnungen aus gelingen, von welcher wir in der bestehenden Gesellschaftsform geprägt sind.
Wenn von Bezugsgruppen und Gruppendynamiken die Rede ist, bleibt die Leidenschaft selbstverständlich nicht aus. Doch mehr als das: In der Erzählung nimmt die Liebe eine herausragende Stellung ein. Für meinen Geschmack fast übertrieben, wird damit nicht vorrangig ein mediterranes „Temperament“ darstellt. Vielmehr steht der Eros als spürbarstes und intensivstes Zeichen dafür, dass Emotionalität in sozialer Revolte eine wichtige Rolle spielen kann und darf.
Die Begegnung zwischen dem Professor und „Lissabon“/Raquel, zwischen „Tokio“ und „Rio“, zwischen „Denver“ und „Stockholm“; die Spannungen zwischen „Helsinki“ und „Palermo“, von Letzterem und „Berlin“; die Irritation zwischen „Denver“ und „Manila“, sowie wiederum zwischen „Stockholm“ und ihrem früheren Geliebten Arturo, als auch das unerfüllte Begehren des Polizisten Ángel Rubio seiner Kollegin Raquel gegenüber.
Mir persönlich sind die Techtelmechtel und Pärchengeschichten zu viel. Doch völlig überzogen ist die Serie ohnehin an allen Ecken und Enden, insbesondere in den Baller-Szenen. Worum es geht ist: Die Rebellion selbst geschieht aus Leidenschaft, um der Leidenschaft willen. Und zwar, weil mit ihr um das Leben selbst gerungen und gekämpft wird, was sich nur eine erotische Dimension hat, sondern sich durch diese auch am intensivsten erzählen lässt.
Die Anti-Anti-Helden der Gegenseite
Übrigens werden in Haus des Geldes auch die Gegenfiguren zu den Anarchist*innen präsentiert. Zum einen handelt es sich dabei um den Sicherheitschef der Zentralbank César Gandía, der sich als Geisel befreit und sich als faschistischer Einzelgänger entpuppt. Wie auch die in Staffel 5 eingesetzten Söldner um den anführenden Kriegsveteran Sagasta, sind diese Mörder, einsame Wölfe, die sich zwar kameradschaftlich verbrüdern, nicht aber solidarisch verbünden können. Weil sie ebenso entschlossen wie die anarchistischen Gangster ein Ziel verfolgen, sich ausserhalb des Gesetzes bewegen und dabei ihr Leben riskieren, stellen sie den diametralen Gegenpol zu ihnen dar. Doch ist ihr Ziel die pure Zerstörung und angetrieben werden sie nicht vom Wunsch nach Selbst-verändernder Befreiung, sondern von Selbsthass und Unterwerfung.
Auf der anderen Seite spielt Arturo Román, den Chefs der Gelddruckerei durch alle Staffeln hindurch eine kontinuierliche Rolle. Seine Charakterzüge werden als derart übertrieben abstossend gezeichnet, dass den Zuschauenden zurecht ein Spiegel vor Augen gehalten wird. Im Grunde genommen ist er weniger Geisel der Bankräuber*innen, sondern jene der entwürdigenden Gesellschaftsform. Anstatt ansatzweise gegen sie aufzubegehren, trägt er sie um seines eigenen Vorteils willen mit und inszeniert sich dazu als Opfer. Schliesslich schreckt er nach dem Überleben des ersten Überfalls Ende der zweiten Staffel noch nicht einmal davor zurück, das Erlebte zu verkaufen, indem er ein Buch darüber schreibt und sich als narzisstischer Coach betätigt. Von seinem egoistischen, verschlagenen, überzogen opportunistischen und verantwortungslosen Verhalten, soll das Publikum zurecht angewidert sein.
Der Angriff auf den staatlichen Kapitalismus
Der letzte Punkt, der Haus des Geldes zu einer anarchistischen Erzählung macht, betrifft die Ziele des Raubes: Notendruckerei und Nationalbank. Beides sind zentrale Steuerungsinstitutionen des staatlichen Kapitalismus. Das heisst, hierbei wird auf die Verschränkung von Staat und Kapitalismus als Facetten einer spezifischen Herrschaftsordnung hingewiesen, die anzugreifen aus vielerlei Gründen legitim ist. Mit dem Widerstand gegen sie werden keine einzelnen Personen geschädigt – im Gegenteil dieser ganz im Sinne – bzw. auch im Klasseninteresse – des Grossteils der Bevölkerung, welche durch Rezension, Inflation, Arbeitszwang, Mieterhöhung und Austeritätspolitik gebeutelt ist.
Was dort an Geld gedruckt und an Gold geschmolzen wird, ist öffentliches Eigentum, dass von den Produzierenden enteignet wurde. Und wenn man – in Anbetracht der nationalen Goldreserven – an die Kolonialgeschichte denkt handelt es sich dabei nicht allein um europäischen Reichtum, sondern um gestohlene Güter und weltweite Ausbeutung. Daher erscheint ihr Raub nur in erster Linie als Akt individueller Rebellion und Kriminalität.
Tatsächlich verstehen zahlreiche Menschen, dass mit dieser Aneignung gesellschaftliche Gerechtigkeit wiederhergestellt werden soll. Die randständigen anarchoiden Gestalten wollen mit dem Raub ihren ausweglosen Lagen entfliegen. Sie setzen lieber ihre eigenen Leben auf’s Spiel, um ein neues Leben in Würde zu beginnen, statt sich in das alte als Opfer hinein zu fügen. Doch im Zuge dessen – und während sie sich in Aktion, aufeinander bezogen, selbst verändern – fällt ihr individuelles Freiheitsstreben mit gesamtgesellschaftlicher Befreiung zusammen. Diese Aufregung kann kein linkes Parteiprogramm der Welt bieten.
Ähnlich wie die nationalen Goldreserven letztendlich eine Illusion von finanzökonomischer Sicherheit bieten (worauf der allerletzte Teil des umfassenden Planes in den letzten beiden Folgen von Staffel 5 baut), hat auch Freiheit keine essentielle Grundlage. Auch wenn Lebensgestaltung nach Massstab der Selbstentfaltung und Selbstbestimmung auf materiellen Grundlagen beruht – die es deswegen allen zur Verfügung zu stellen gilt – beinhaltet Freiheit im anarchistischen Sinne stets auch, ein Wagnis einzugehen und sie sich zu nehmen.
Deswegen bietet der Professor in der Szene, die über Leben und Tod der umzingelten Gangster entscheidet, dem Einsatzleiter Tamayo einen Win-win-Deal an: Der Staat erhält seinen Goldschatz und damit die Illusion zurück, auf welchen sich seine Macht gründet. Im Gegenzug wird der Traum und die Sehnsucht genährt, dass es etwas ganz anderes, ein Leben in Freiheit, geben könnte. Daher bleiben sie Räuber*innen, statt Politiker*innen zu werden.
Schlussfolgerungen
Kritisch lässt sich selbstverständlich einwenden, dass in Haus des Geldes letztendlich sogar das Bedürfnis nach Rebellion kommerziell ausgeschlachtet und verkitscht idealisiert wird. Auch von der brutalen, viral gegangenen, südkoreanischen Produktion „Squid Games“ wird behauptet sie sei Kapitalismus-kritisch. Ob die „Kritik“ hier wie dort wirklich auf die gesellschaftlichen Grundlagen zielt oder nur ihre Oberflächenerscheinungen betrifft, ist jedoch durchaus zu hinterfragen. Dabei verstehen die Zuschauenden, dass das Verschanzen in einer staatlichen Notendruckerei oder einer Nationalbank für sie aus verschiedenen Gründen absolut undurchführbar ist.
Doch das ist gar nicht der Punkt, sondern jener, inwiefern die fantastische Erzählung den Zuschauenden Möglichkeiten zur Reflexion (z.B. über ihre Klassenposition), eine Artikulation ihrer Gefühle (z.B. Klassenhass) und Ansatzpunkte zur Veränderung ihres eigenen Handelns (z.B. die Versammlung in Affinitätsgruppen) bietet. Darüber wären weitere Diskussion zu führen.
Die Romantisierung des Raubes und der Delinquenz generell gibt den Rahmen für guten Erzählstoff ab. Dieser ist für die allermeisten Personen, die sich von diesem Genre begeistern lassen, aber nicht deswegen faszinierend, weil sie selbst Räuber*innen werden wollen würden. Ähnlich wie in Krimis kaum wirklich Polizeiarbeit abgebildet wird, lässt sich aus Haus des Geldes kein Handwerkszeug ableiten, dass für Raubzüge gleich welcher Art wirklich von Nutzen wäre. Für den überwiegenden Teil der Kriminellen ist ihr Gewerbe wohl ein äusserst prekäre Erwerbsmöglichkeit, verbunden mit einem hohen Mass an Abhängigkeit und Berufsrisiken.
Eine wichtige Funktion erfüllt die Romantik dann, wenn sie Sehnsüchte anspricht – und damit bewusst macht –, die in uns als Verdrängtes eingeschrieben sind. Zum Beispiel solche nach aufregenden Abenteuern mit einer Gang, nach der Flucht vor der Lohnarbeit bei gleichzeitiger materieller Absicherung oder dem Angriff auf einen übermächtigen Gegner, um unsere Würde wieder zu erlangen. Problematisch ist die Romantik, wenn sie bei lediglich bei der fantastischen Projektion verbleibt, der wir uns kurzzeitig hingeben, um uns dann wieder ohnmächtig zu fühlen und unsere Träume als „utopisch“ abzustempeln. Auch dies sind Aspekte, die sich diskutieren, nicht aber messen lassen.
Schliesslich zeichnet Haus des Geldes noch einen wesentlicher Aspekt aus, der zeitgenössischen linksradikalen und insbesondere anarchistischen Szenen weitgehend fehlt. Und zwar das strategische Handeln, wie es im ausgefuchsten Plan des Professors zum Ausdruck kommt. Nur manche der Aktivist*innen wissen um die Details der Strategie mit ihren verschiedenen Operationen, die eventuell in bestimmten Fällen durchzuführen sind, um auf das grosse Ziel hin zu arbeiten.
Darauf zu vertrauen, dass es einen grösseren und hochgradig komplizierten Plan gibt, ermöglicht es den Beteiligten erst, trotz ihrer Unterschiedlichkeit und Konflikte als Team zu agieren und die Motivation aufzubringen, enorme Belastungen auszuhalten und in Extremsituationen nicht durchzudrehen. Spontaneität und Planung sind dabei keineswegs Gegensätze, sondern bedingen einander sogar. Um strategisch zu denken und zu handeln, braucht es allerdings keine super schlauen, sozial wunderlichen und genialen „Professoren“ im Hintergrund. Völlig genügen würde es, wenn denkende und reflektierte Menschen mit einiger Erfahrung ihr Selbstbild als „kritische Intellektuelle“ endlich aufgeben und sich als Teil einer kämpfenden Bewegung verstehen würden.