Quasi-faschistische Meta-Politik als Anti-Politik?

Lesedauer: 5 Minuten

Im Folgenden Beitrag wird der von manchen Journalist*innen gelegentlich aufgeworfenen Frage nachgegangen, ob sich der rechte Mob anarchistischen Praktiken und Motiven bedient und es sich damit um eine Anti-Politik im anarchistischen Sinne handeln würde.

Am 09.01. stürmten tausende aufgebrachte Anhänger*innen von Jair Bolsonaro das Kongress-Gebäude in Brasilia. Sein Rivale Lula da Silva, der bereits 2003 bis 2011 Präsident war, hatte den Faschisten im zweiten Wahlgang mit äußerst knappem Vorsprung abgelöst. Bolsonaro – beziehungsweise seinem politischen Netzwerk – war es in den Jahren zuvor wie nur Trump gelungen, ein Bündnis aus Unternehmern, Militärs und Evangelikalen zu schmieden. Insbesondere Letztere waren entscheidend dafür, die Aufmerksamkeit armer Favela-Bewohner*innen vom sozialen Elend auf jenseitige Heilsversprechen zu lenken und damit Stimmen für die Reaktionären generieren. Auch der Wahlkampf verlief äußerst schmutzig, wobei die Polarisierung der Gesellschaft das größte südamerikanische Land zu einem Pulverfass werden ließ. So blockierten etwa unzählige LKW-Fahrer, die Bolsonaro unterstützen, den Verkehr – ein spürbarerer und kostspieligerer Protest als jede Latschdemo, auf der noch so viel Unmut herausgerufen wird…

nachträglich übernommen von: https://unicornriot.ninja/2023/bolsonarist-extremists-attack-brazilian-government-a-week-after-lula-inauguration/

Abgesehen davon, dass die Einsetzung der neuen Regierung in Brasilien am 01.01. geschah, wiederholt der aufgebrachte Mob gewissermaßen den Sturm auf das Kapitol in Washington DC, der zwei Jahre zuvor, am 06.01.2021 stattgefunden hatte. Wer sich erinnert: Irgendwie hatte es die Polizei nicht wirklich geschafft, die wütenden Rechtsradikalen davon abzubringen, in das Regierungsgebäude zu stürmen, dort Einrichtungsgegenstände zu zertrümmern und die heiligen Symbole des Staates zu schänden. Selbiges geschah in Brasilien, nur eben nicht unter blau-rot-weißen Farben, sondern mit grün-gelben.

Wer erinnert sich noch an den seltsamen Q-Anon-Schamenen „Jake Angeli“? Was uns in besseren Zeiten ein lautes Lachen aus dem Hals locken sollte, verbreitet sich via Internet wie Gift in die Rest-Herzen und -Hirne verängstigter und verblödeter politischer Idiot*innen. Und das auch in der BRD. So haben auch wir unsere paranoiden und narzisstischen Propagandist*innen des Wahnsinnes, wie Attila Hildmann und den von ihm mitgetragenen „Sturm auf den Reichstag“ am 29.08.2020 gegen die vermeintliche „Corona-Diktatur“.

Manche Lesende werden sich daraufhin irritiert fragen: Was ist denn da los? Staats-Verachtung, Parlaments-Besudelung, direkte Aktionen – ja haben wir es hierbei etwa Anarchist*innen zu tun? Die Antwort lautet nein. Und gleichzeitig stimmt es, dass die neue Rechte ihre aufgehetzten Ultras zum eigenmächtigen Handeln anstachelt, welches damit nicht mehr als Markenzeichen des Anarchismus schlechthin gelten kann. Selbstbestimmung ist allerdings etwas anderes: Denn das scheinbar kopflose Handeln der Vigilant*innen unterliegt gleichwohl einer gewissen Steuerung der Affekte durch für sie mitverantwortliche Verschwörungsprediger wie Alex Jones oder die zahlreichen bekannten oder anonymen rechte Influencer und Hetzer.

Faschisten kopieren, wo sie können und instrumentalisieren, was immer sie unter die Finger kriegen, für ihre Zwecke. Und das nicht erst seit der Ära der von einigen Medien so bezeichneten „Anti-Politiker“ wie Trump und Bolsonaro, die sich selbst als underdogs im politischen Establishment inszenieren, während sie aggressive Protagonisten der besitzenden und herrschenden Klassen sind. Aufgrund der ökologischen Katastrophe, sozialen Verelendung, schwindenden Kapitalverwertung und Gleichheitsforderungen verschiedener Minderheitsgruppen, verliert das um seinen Status bangende Bürgertum im Rechtspopulismus seine Contenance, wie wir weltweit sehen.

So lässt sich also fragen, ob es bei diesen Entwicklungen tatsächlich um eine Anti-Politik von Rechtsaußen handelt, wie ab und zu verschiedene Journalist*innen es formulieren. Immerhin werden unliebsame, aber dennoch zuvor als legitim erachtete, politische Verfahren, Institutionen und Symbole mit Füßen getreten. Demokratischen Politiker*innen wird respektlos begegnet, wenn ihnen nicht direkt mit dem Galgen gedroht wird (eine insbesondere in Sachsen ausgeprägte, verrohte Sitte).

Die Distanzierung geschieht ebenso kognitiv wie emotional. Geglaubt wird an einen bunten Flickenteppich aus allen möglichen Verschwörungsmythen und Stammtischparolen, während wirre Germanen-Sekten und Reichsbürger-Stämme aus dem Boden sprießen, wo man gehofft hat, zumindest ein Quäntchen mehr Geschichtsbewusstsein zu finden. Da ist auch – wie etwa bei Alexander Dugin – die Rede von einer Neugründung der Gesellschaft. Nur eben, dass diese enorm homogen und rassistisch, anti-modern und militaristisch, homophob und queer-feindlich sein soll. Eine klare Ständegesellschaft mit autokratischem Staat für das 21. Jahrhundert erstrebt das Bündnis der Reaktionären.

Doch eine Annahme, hierbei bestünden irgendwie Parallelen zum Anarchismus, kann nur treffen, wer sich nicht mit diesem beschäftigt. Vor allem verbleiben solcherlei Annahmen in einem liberal-demokratischen Verständnis von Politik, welches sich aber als völlig unzulänglich erweist, um gesellschaftliche Entwicklungen in Umbruchszeiten adäquat zu erfassen. Abgesehen von der Adaption anarchistischer Praktiken und Narrative durch Rechtspopulist*innen seit dem sogenannten „Anarcho-Kapitalismus“ bis hin zum verkorksten „National-Anarchismus“, handelt es sich bei Quasi-Faschismus und Anarchismus um grundlegende Gegensätze.

Und in dieser Rolle bezieht sich der Anarchismus selbstredend nicht auf die bestehende parlamentarische Demokratie oder will die bürgerliche Gesellschaft oder den liberalen Kapitalismus verteidigen, sondern die soziale Revolution gegen den Faschismus ins Feld führen. Dies bedeutet eine Kritik an verstaatlichter Politik zu üben und zu praktizieren, während zugleich im Streben nach Autonomie andere Beziehungen und Institutionen aufgebaut werden. Dazu gilt es sich bisweilen notgedrungen auch auf das politische Terrain zu begeben – aber mit aller gebotenen Skepsis ihm gegenüber. Dies ist die anarchistische (Anti-)Politik. Aus rechtspopulistischer Sicht tritt sie für einen „Great Reset“ ein, der allerdings durch organisierte und entschiedene soziale Bewegungen umgesetzt wird, statt das er das geheime Werk vermeintlicher Welteliten wäre.

Mit der quasi-faschistischen Meta-Politik dagegen soll ja in keiner Weise Politik als vermachtetes Terrain mit extrem ungleich verteilten Machtressourcen problematisiert, geschweige denn abgeschafft werden. Den konformistischen Rebell*innen geht es vielmehr darum, nach unten zu treten, die eigenen Privilegien mit Gewalt zu verteidigen und Schwächere (ob Migrant*innen, arme oder queere Menschen, Klimaschützer*innen, Feministinnen oder kritische Intellektuelle) gänzlich aus der Politik auszuschließen. Keine institutionell vermittelte, sondern direkte politische Herrschaft ist das Ziel. Mit dem Quasi-Faschismus soll also durch Politik umso mehr Staatlichkeit – als zentralisierendes, autoritäres und hierarchisches Prinzip – in alle gesellschaftlichen Bereiche durchgesetzt werden. Meta-Politik wird daher zwar vom aufgehetzten Fußvolk durchgeprügelt, nicht aber durch die Bewohnenden eines Landes im demokratischen Sinne. Dabei definiert sich das Fußvolk der herrschenden Ordnung – trotz strategisch platzierter Quoten-Schwarzen, -Frauen, -Schwulen – im Wesentlichen nach ethnischer Zugehörigkeit und hegemonialer Untertanenkultur.

Anhänger*innen quasi-faschistischer Meta-Politik zielen daher auf die Ästhetisierung der Politik und ihre Vertiefung in alle gesellschaftliche Bereiche ab. Sie wollen Staatlichkeit total machen, um in ihrer menschlichen Verkommenheit und Entfremdung zumindest einen geringen Anteil an der politischen Herrschaft zu erhalten. Mit anarchistischer Anti-Politik soll der Politik dagegen vor allem etwas entgegengesetzt werden, um diese auf ihr Terrain zu verweisen und in anderen Bereichen gesellschaftliche Transformation anzustrengen: In den Individuen, dem Soziale, der Ökonomie, Gemeinschaften, Kultur, Ethik oder Utopie werden Bezugspunkte gesucht, wie Gesellschaft sonst verändert und gestaltet werden kann. Durch quasi-faschistische Meta-Politik mutiert staatliche Politik dagegen zum grausamen Selbstzweck – und offenbart damit das ihr innewohnende Monster kratós, die nackte Staatsgewalt, welche Souveränität aus sich selbst heraus schöpft. Durchgreifen, durchregieren, durch-reglementieren soll sie, koste es, was es wolle.

Auch wenn Reflexe in diese Richtung verständlich sind, ist es leider keine Lösung, sich darüber erschrocken in kapitalistischen Konsummöglichkeiten, romantischen Subkulturen, intellektueller Schöngeistigkeit oder exzessiver Weltflucht zu verlieren. Vielmehr gilt es, sich aktiv zur Wehr zu setzen und Orientierung für die Möglichkeiten einer libertär-sozialistische Gesellschaftsform zu gewinnen. Aus diesem Grund ist der Anarchismus nicht apolitisch oder unpolitisch, sondern eben (anti-)politisch. Weil sie Positionen beziehen, sind Anarchist*innen in der Lage in Widersprüchen zu handeln.

Quasi-faschistische Meta-Politik als Anti-Politik?

Lesedauer: 5 Minuten

Im Folgenden Beitrag wird der von manchen Journalist*innen gelegentlich aufgeworfenen Frage nachgegangen, ob sich der rechte Mob anarchistischen Praktiken und Motiven bedient und es sich damit um eine Anti-Politik im anarchistischen Sinne handeln würde.

Am 09.01. stürmten tausende aufgebrachte Anhänger*innen von Jair Bolsonaro das Kongress-Gebäude in Brasilia. Sein Rivale Lula da Silva, der bereits 2003 bis 2011 Präsident war, hatte den Faschisten im zweiten Wahlgang mit äußerst knappem Vorsprung abgelöst. Bolsonaro – beziehungsweise seinem politischen Netzwerk – war es in den Jahren zuvor wie nur Trump gelungen, ein Bündnis aus Unternehmern, Militärs und Evangelikalen zu schmieden. Insbesondere Letztere waren entscheidend dafür, die Aufmerksamkeit armer Favela-Bewohner*innen vom sozialen Elend auf jenseitige Heilsversprechen zu lenken und damit Stimmen für die Reaktionären generieren. Auch der Wahlkampf verlief äußerst schmutzig, wobei die Polarisierung der Gesellschaft das größte südamerikanische Land zu einem Pulverfass werden ließ. So blockierten etwa unzählige LKW-Fahrer, die Bolsonaro unterstützen, den Verkehr – ein spürbarerer und kostspieligerer Protest als jede Latschdemo, auf der noch so viel Unmut herausgerufen wird…

nachträglich übernommen von: https://unicornriot.ninja/2023/bolsonarist-extremists-attack-brazilian-government-a-week-after-lula-inauguration/

Abgesehen davon, dass die Einsetzung der neuen Regierung in Brasilien am 01.01. geschah, wiederholt der aufgebrachte Mob gewissermaßen den Sturm auf das Kapitol in Washington DC, der zwei Jahre zuvor, am 06.01.2021 stattgefunden hatte. Wer sich erinnert: Irgendwie hatte es die Polizei nicht wirklich geschafft, die wütenden Rechtsradikalen davon abzubringen, in das Regierungsgebäude zu stürmen, dort Einrichtungsgegenstände zu zertrümmern und die heiligen Symbole des Staates zu schänden. Selbiges geschah in Brasilien, nur eben nicht unter blau-rot-weißen Farben, sondern mit grün-gelben.

Wer erinnert sich noch an den seltsamen Q-Anon-Schamenen „Jake Angeli“? Was uns in besseren Zeiten ein lautes Lachen aus dem Hals locken sollte, verbreitet sich via Internet wie Gift in die Rest-Herzen und -Hirne verängstigter und verblödeter politischer Idiot*innen. Und das auch in der BRD. So haben auch wir unsere paranoiden und narzisstischen Propagandist*innen des Wahnsinnes, wie Attila Hildmann und den von ihm mitgetragenen „Sturm auf den Reichstag“ am 29.08.2020 gegen die vermeintliche „Corona-Diktatur“.

„Quasi-faschistische Meta-Politik als Anti-Politik?“ weiterlesen

In Gedanken beim attackierten Professor Nathan Jun…

Lesedauer: 3 Minuten

Seit fast anderthalb Jahren wurde gegen Nathan Jun eine massive Hasskampagne durch Faschisten durchgeführt. Jun ist ein junger Professor für Philosophie an der Midwestern State University in Wichita Falls / Texas mit einer Spezialisierung auf Anarchist Studies.

Die Rassisten und weißen Nationalisten attackierten ihn, weil sich er öffentlich gegen Rassismus, faschistische Ideologie und Polizeigewalt positionierte. Ins Visier der Faschisten geriet er insbesondere, weil er für Black Lives Matter und Antifaschismus eintrat.

Jun erhielt tausende Emails, Briefe und Anrufe mit widerlichsten Beleidigungen und
Todesdrohungen. Er wurde auf der Straße angefeindet und von Fremden nach Hause verfolgt. Sein Uni-Büro wurde verwüstet und mit antisemitischen Parolen besprüht. Schließlich hielt er dieser anhaltenden massiven Hasskampagne nicht mehr stand und musste seine Professoren-Stelle aufgeben.

Der eigentliche Skandal ist dabei, dass er von der Midwestern State University keinerlei Unterstützung und Schutz gegen diese Angriffe auf einen ihrer Angestellten erhielt, sondern diese sie stillschweigend zuließ und duldete.

Es folgt eine Nachricht und ein Protestbrief an seine beschissene Universität

„In Gedanken beim attackierten Professor Nathan Jun…“ weiterlesen

Subversion, Satire und Performanz: Front deutscher Äpfel

Lesedauer: 4 Minuten

Zwischen 2004 und 2013 bestand die „Front deutscher Äpfel“ als performative Aktionsform mit dem Anspruch „Satire als angewandten Punkrock“ unter das Volk zu bringen. Im „Buch zur Bewegung“ (Max Upravitelev (Hrsg), 2014) wurden Gespräche, Aktionen und Debatten über die Verbindung von Politik und Kunst und Satire und Intervention festgehalten. Ziel der FdÄ war, neue und alte Nazis zu diskreditieren, indem Ästhetik und Sprache aus Hitler-Deutschland persifliert wurden. Sie können „gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontativ mit Humor“ (S. 5) begegnen.

Auch wenn die Hochzeiten des organisierten „nationalen Obstbestands“ schon wieder etliche Jahre her sind, lohnt es sich, ihn in Erinnerung zu behalten. Eine Frage, welche mich in diesem Zusammenhang beschäftigt, ist, ob sie als Variante anarchistischer (Anti-)Politik zu verstehen ist. Dafür spricht ihre Selbstorganisation und ihre Distanz zur Politik, in welcher Kritik zum Ausdruck kommt, welche weit über jene an Nazis hinaus geht. Aktuell tendiere ich allerdings eher dazu, dies zu verneinen. Immerhin strebte die Apfelfront nicht an, eine Vision mitzugestalten, wie eine andere Gesellschaft aussehen könnte. Zudem ist ihr Ansatz nicht als sozial-revolutionär zu charakterisieren, sondern bleibt im Primat auf Satire dabei, den Feind zu diskreditieren – sich damit aber auch an diesem negativ zu orientieren. Gleichwohl kann der Aktionsform der Front deutscher Äpfel viel abgewonnen werden: Mit ihren performativen Inszenierungen kann sie potenziell selbstbestimmt, ermächtigend, konfrontativ und emanzipatorisch sein. Letzteres nicht zuletzt,weil mit ihr auch die eigenen psychischen Tendenzen des Autoritarismus und der Unterwerfung bearbeitet werden können.

„Subversion, Satire und Performanz: Front deutscher Äpfel“ weiterlesen

Sollte man Faschisten lesen?

Lesedauer: 9 Minuten

zu Alain de Benoist, Kulturrevolution von rechts

Ja okay, zugegeben: Ich habe einen Faschisten gelesen. Warum auch nicht? Wer den Feind besiegen will, muss ihn schließlich kennen. Wer den Feind besiegen will, muss erfassen, aus welcher Gesellschaftsform er hervorgeht, also seine Wurzeln bekämpfen. Es war immer so eine Sache für mich mit den Faschisten: Wie sie sich inszenieren oszilliert meist zwischen Stumpfsinn und theatralischer Lächerlichkeit. Wenn sie den Mund aufmachen, hört man oftmals das geballte Elend, was Deutschland hervorgebracht hat. Weil es Rudimente der gleichen Sprache sind, die sie von sich geben, entsteht instinktiv dann doch etwas wie Fremdscham. Doch, das trifft es eigentlich: Man schämt sich fremd und möglichst fremd, so fremd wie möglich, weil man mit diesen Leuten nichts gemein haben will, nur eben befürchtet, sich vor Leuten, die mit anderen Sprachen aufgewachsen sind, für diese Deutschen rechtfertigen zu müssen. In der Regel ist was sie schreiben endlos schlecht. Daher ja meine Arroganz und Ignoranz den Faschisten gegenüber: Ich kann sie selten Ernst nehmen. Selbstverständlich, ihre Gewaltandrohungen auf verschiedenen Ebenen – die sind ernst zu nehmen, denn sie führen täglich zu Gewalt. In diesem Land. In meiner Umgebung. Aber ernst nehmen auf einer intellektuellen Ebene kann ich sie kaum.

„Sollte man Faschisten lesen?“ weiterlesen

Gegen den faschistischen Terror!

Lesedauer: 4 Minuten

Dieser Kundgebungsaufruf wurde von den Falken Jena verschickt.

Am 9. Oktober 2019, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, bewaffnete sich ein rechter Terrorist mit Schusswaffen und Sprengsätzen, um sich gewaltsam Zutritt in die Synagoge im hallenser Paulusviertel zu verschaffen. Sein erklärtes Ziel war es, einen Massenmord an Jüdinnen zu begehen. Die über 50 Menschen, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Synagoge befanden, versuchten sich mit Möbeln zu verbarrikadieren, um den Täter vom Eindringen abzuhalten. Als die zufällig vorbeikommende 40-jährige Jana L. den Täter auf sein Verhalten ansprach, erschoss er diese kaltblütig. Sie starb noch vor Ort an den Folgen ihrer Verletzungen. Da die Tür der Synagoge nicht nachgab, fuhr der Täter, mit der Absicht möglichst viele Migrantinnen zu ermorden, zu einem naheliegenden Döner-Imbiss. Dort erschoss er den 20-jährigen Kevin S. und verletzt bei seiner anschließenden Flucht zwei weitere Menschen schwer, bevor er endlich von Einsatzkräften festgenommen werden konnte.

„Gegen den faschistischen Terror!“ weiterlesen

Kommune der Faschisten

Lesedauer: 4 Minuten

Kersten Knipp: Die Kommune der Faschisten. Gabriele D’Annunzio, die Republik von Fiume und die Extreme des 20. Jahrhunderts

zuerst veröffentlicht auf: kritisch-lesen.de unter dem Titel „Kein faschistisches Paris“

Jonathan Eibisch // Oktober 2019

Wie in seiner zuvor erschienen zeitgeschichtlichen Studie „Im Taumel. 1918 – ein europäisches Schicksalsjahr“ gelingt es Kersten Knipp auf anschauliche Weise von der historisch-politischen Ausnahmeerscheinung, der zwischen 1919 und 1920 bestehenden Republik von Fiume, wie angekündigt, die Extreme des 20. Jahrhunderts zu beleuchten. In neun Kapiteln verknüpft Knipp die spannende Lebensgeschichte des exzentrischen Dichters Gabriele D’Annunzio, mit den Wirren der stark umkämpften forcierten Nationalstaatenbildung Italiens, dessen permanentes Legitimationsdefizit die Entstehung und schließlich den Aufstieg des historischen Faschismus begünstigte.

Im Stil einer literarischen Collage gelingt es Knipp dabei, der Leserin geschichtswissenschaftliche Studien und zahlreiche Zeitzeugnisse auf nachvollziehbare und kurzweilige Weise zu präsentieren. Dabei überrascht er mit einer Vielzahl an literarischen Einschüben, durch welche das Lebensgefühl der Jahrhundertwende, von der Dekadenz des Fin de Siècle bis zur – von den italienischen Nationalisten empfundenen – Kränkung eines „verstümmelten Siegs“ nach dem Ersten Weltkrieg, in die heutige Zeit gespiegelt wird. Immer wieder sucht Knipp aktuellere Bezugspunkte, indem er etwa die sexuellen, psychedelischen und musikalischen Exzesse der Aufständischen der kroatisch-italienischen Adriastadt – dem heutigen Rijeka – mit der Hippiebewegung der 1968er Jahre parallelisiert.

Insbesondere in seinem Schlusskapitel zum „demagogischen Erbe“, geht Knipp auf den heute vorhandenen Rechtspopulismus, die postdemokratische Ära Berlusconi und das von Beppe Grillo gegründete Movimento 5 Stelle ein. Der nationalistische, mit dem Futurismus sympathisierende, bekennende Kriegsbefürworter D’Annunzio ist zugleich ein selbstdarstellerischer und wankelmütiger Literat. Knipp stellt ihn als Vorläufer und Prototypen eines skrupellosen pseudo-faschistischen Anti-Politikers vor, der Gefühlsregungen über jede sachliche politische Überlegung und Abwägung stellt. Ausführlich zeichnet Knipp nach, wie der kühl berechnende Egozentriker die Schwingungen seiner Zeit gezielt aufnimmt, um in der kapitalistischen Massengesellschaft einen bis ins Extreme gesteigerten bürgerlichen Individualismus zu kultivieren, der sich zaghaft entwickelnden Demokratie mit Verachtung zu begegnen und im Technologiezeitalter hautnah bei der Etablierung des Flugzeugs mit zu fiebern – und bald darauf bei den ersten Formen des Luftkriegs.

Spannend liest sich die Gemengelage verschiedenster miteinander ringender politischer Strömungen und Weltanschauungen etwa von Syndikalismus, radikalem Sozialismus über das liberale Lager, den erzkonservativen Katholizismus bis hin zum Faschismus, welche das Setting abgeben, in welchem D’Annunzio und seine Zeitgenossen sich bewegen.

Mit dem Ausbleiben militärischer und internationaler politischer Erfolge, einer durch den Krieg traumatisierten Jugend, der Mobilisierung unterschiedlichster Mythen, der Instabilität des italienischen Regimes, wie auch den bahnbrechenden technologischen Neuerungen, erklärt Knipp die nationalistische Projektion, mit welcher eine Gruppe Freischärler die Kleinstadt Fiume in die italienische Nation eingliedern und annektieren wollten. Gabriele D’Annunzio sei derjenige, welcher diesen kollektiven Wahn kanalisiert, die Richtung weist und mit seiner Sprache der Illusion kurzzeitig zur Wirklichkeit verhilft. Dieses Vorhaben kann als Protest gegen die Realität internationaler Politik und der Machtverhältnisse in dieser verstanden werden, wie sie 1919 in Paris neu verhandelt worden waren. Nicht zu Letzt wird dabei um die Interpretation des Wilson’schen Diktums eines „Selbstbestimmungsrechtes der Völker“ gerungen. Mit deutlichen Tendenzen zum Faschismus, handelte es sich bei diesem seltenen Spektakel in Fiume dennoch um einen Vorläufer desselben, vermischt mit sozialistischen, anarchistischen, liberal-demokratischen, in jedem Fall: anti-katholischen Aspekten. So wird beispielsweise die Kaperung von Schiffen mit antiimperialistischen Argumenten gerechtfertigt, als die Versorgung des Freistaats schon in absehbar Zeit im Zusammenbruch begriffen ist.

Kritisch anzumerken ist dahingehend, dass Knipp das eigentliche Ende dieses Experiments gar nicht beleuchtet. Als schwierig erachtet werden muss, dass er Passagen in denen von ungezügelter Erotik die Rede ist, unreflektiert mit der Anwesenheit von Frauen gleichsetzt, welche in dieser Lesart jedoch lediglich als bloßes Beiwerk zum Handeln egozentrischer Männer degradiert werden. Wenngleich dies der Wahrnehmung der nationalistischen Protagonisten durchaus entspricht, wäre es an Knipp gewesen, diese Darstellung zu durchbrechen, anstatt sie (vermutlich ungewollt) zu reproduzieren. In Hinblick auf den Nationalismus und die Kriegstreiberei gelingt es ihm immerhin auch, dessen instrumentelle Einführung und bewusste Förderung darzustellen und zu problematisieren. So interessant die zeitgeschichtliche Darstellung insgesamt ist, scheint der Titel des Buches nur teilweise treffend gewählt: Um die Episode der Republik Fiume selbst geht es schließlich lediglich nur in einem Kapitel explizit und wie Knipp selbst darstellt handelt es sich bei ihr nicht um ein rein faschistische Angelegenheit.

Wenn die Absicht darin bestehen sollte, diese mit der Bedeutung der Pariser Kommune von 1871 für die sozialistische Bewegung zu analogisieren, hinkt der Vergleich meines Erachtens nach in mehrfacher Hinsicht. Immerhin wurde Paris nicht von aufständischen Elitetruppen besetzt, sondern tatsächlich von großen Teilen der Bevölkerung selbst verwaltet, wobei reguläre Nationalgardisten zu dieser überliefen. Zwar spielten beide Ereignisse in von Krieg bedingten Umbruchsituationen, doch ist die Kommune von Paris nicht als Protest gegen die sich verändernden internationalen Machtverhältnisse zu betrachten, sondern als einer gegen autoritäre und zentralisierte Staatlichkeit selbst. In diesem Sinne stellte die Pariser Kommune im Unterschied zu Fiume auch weder einen Verhandlungsgegenstand internationaler Politik dar, noch diente sie zur Stärkung der Nation. Im Gegenteil war sie vielmehr ein – im weiten Sinne sozialistisches – Aufbegehren gegen die erzwungene Nationalstaatlichkeit. Was die Bereiche der Kultur und Lebensgestaltung angeht, wurden in beiden – tendenziell autonomen – Verwaltungsgebilden Frauen zumindest formell gleichgestellt. Im Fall der Pariser Kommune kommt darin tatsächlich ein Vorbild für die Weiterentwicklung des Sozialismus zum Ausdruck. Die Republik Fiume war damit allerdings keines für den Faschismus, welcher bekanntlich ganz im Gegenteil jegliche emanzipatorische Errungenschaften abschaffte. Am ehesten waren – wie Knipp fortwährend betont – der Führerkult, die Manipulation der Masse, die Entfaltung teils hanebüchener Mythologien und die übertriebene Ästhetisierung des Politischen die Wegweiser für den späteren Faschismus und wurden von diesem offenbar auch direkt aufgegriffen.

Dennoch gelingt es dem Autoren überzeugend, gerade die Vermischung verschiedenster ideologischer, mythologischer, politischer Aspekte und Lebensstile in einer Phase der allgemeinen Verunsicherung, der Orientierungslosigkeit und des Umbruchs darzustellen. Der Wert des Buches liegt demnach nicht in der Entdeckung neuer geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern darin, dass er einen Teil italienischer Geschichte lebendig beschreibt und andeutet, welche Lehren aus ihr gezogen werden könnten.

Anarchismus und Antifaschismus – ein diskussionswürdiges Verhältnis?

Lesedauer: 6 Minuten

von Friedrich / Juni 2018

Anarchist*innen sind auch Antifaschist*innen, das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Das Verhältnis ist dabei wechselseitiger Art: Anarchismus ist der antiautoritäre und herrschaftsfeindliche Gegenpol zur totalitären Gesellschaftsordnung, welche Faschist*innen (und damit sind weite Teile der AfD eindeutig einzuschließen) anstreben. Umgekehrt bekommen Menschen, die antifaschistisch aktiv sind und darunter mehr als bürgerliche Latschdemos und Luftballonhalten verstehen (auch wenn Letzteres in Jena mittlerweile ebenfalls verboten wurde), es relativ schnell mit den staatlichen Repressionsbehörden zu tun – sei es, indem sie direkt von den Bullen auf die Fresse bekommen oder mit der Androhung strafrechtlicher Verfolgung und Überwachung durch die Geheimdienste leben müssen. Dementsprechend stellt sich bei einer konsequenten Haltung gegenüber Faschismus, die vielen gut tun würde, relativ schnell die Frage, in welchem Gesellschaftssystem wir eigentlich leben, welches erst Nazis hervorbringt, dann auch noch schützt und sich schließlich sogar politisch von ihnen treiben lässt (insofern diese von sich selbst sagen, dass sie keine Nazis wären).

„Anarchismus und Antifaschismus – ein diskussionswürdiges Verhältnis?“ weiterlesen

Unter Neurechten – ein bedrückendes Essay

Lesedauer: 10 Minuten

zuerst veröffentlicht in: Gai Dao #79 / Juli 2017

von Simone

In der literarischen Verarbeitungen der eigenen Vergangenheit stellt der Autor seine Erfahrungen mit einem Kreis der faschistischen „Neuen Rechten“ in Chemnitz dar. Diese bildeten 2002 eine Schülerburschenschaft, gründeten die neurechte Zeitung „Blaue Narzisse“ und gewannen später großen Einfluss als faschistische Intellektuelle, unter anderem auf den völkischen Flügel der AfD unter Björn Höcke sowie die Identitäre Bewegung. Um die Erneuerung des Faschismus zu verstehen, sind Orte und Zeiten zu begreifen, in denen er sich unter einem anti-emanzipatorischen Willen organisiert. Wenn wir uns als ihre grundlegenden Feinde positionieren wollen, gilt es auch die Faschos zu ernst zu nehmen…

Lebensphasenabschnittsumbruchsbedingt komme ich derzeit nicht umhin, über meine eigene Entwicklung und Vergangenes nachzudenken. Reflektierte Menschen sind geschichtliche Wesen, verstehen sich also in ihrem Gewordensein und in den Herausforderungen, die sich für sie im Leben und in ihrer Zeit stellen. Weil sich Zeiten, Räume und Verhältnisse im Wandel befinden, gilt es dauerhaft zu rekapitulieren, was Vergangenes war und wie es zu deuten sei, um vernünftiges Handeln im Hier und Jetzt anzustoßen. Was sich geändert hat sind die politischen Landschaften in den Krisen der neoliberalen globalisierten Herrschaftsordnung in den letzten Jahren. Die autoritäre, antiliberale und antidemokratische Alternative mit ihren neofaschistischen Elementen zeichnet sich klar am Horizont ab und ficht die alte Hegemonie an.

„Unter Neurechten – ein bedrückendes Essay“ weiterlesen