Vaterlandslose Gesell*innen werden

Lesedauer: 4 Minuten

Beim Spazierengehen zog ich diese dritte Auflage einer Einführung in die Sozialpsychoanalyse aus einem Umsonstregal. Auf welchen Wegen auch immer diese Ausgabe durch Zeit und Raum in meine Umgebung gelangt ist, finde ich sozialpsychologische Herangehensweisen interessant. Weil diese heutzutage kaum verbreitet sind, haben wir es in den Universitäten vorrangig mit auf Individuen verkürzter Psychologie zu tun. In dieser werden weiterhin widerlegte Studien wie das Milgrim-Experiment als Paradigmen in den ersten Semestern gelehrt – wodurch die ideologische Dimension und Funktion der Disziplin offenbar wird.

Ohne fundierte und kritische Sozialpsychologie, fühlen sich auch zahlreiche verschwörungsmythologische Wahn-Bürger*innen bemüßigt, ihre panische Abwehrreflexe gegen progressive Genderverständnisse, Geflüchtete oder Linke zu rechtfertigen. Ob man sich auf Quantenmechaniken oder Psychoanalysen bezieht, ist in diesen welt-verkennenden Kreisen ziemlich egal. Nicht zu Letzt war auch dies einer der Gründe, warum bereits Gustav Le Bons Psychologie der Massen (1895), auf so starkes Interesse beim reaktionär werdenden Bürgertum stieß.

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Chaos, Schmutz und Planlosigkeit bis zur Revolution!

Lesedauer: 2 Minuten

Schon erschreckend, welches Bild bei einigen „Marxist*innen“ offenbar vom Anarchismus besteht und in ihren Kreisen reproduziert wird. Ich meine konkrete die Vorstellungen und Vorurteile, welche eine Studierende letztens äußerte, als wir eine Diskussion über Anarchismus hatten. Aus bestimmten Überlegungen zum Verhältnis von Demokratie und Anarchie wurde ich rasch in die Ecke gedrängt, seine „Gesamtstrategien“ rechtfertigen zu sollen und „den“ Anarchismus insgesamt repräsentieren zu müssen.

Die betreffende Person zeigte sich sichtlich angewidert von den biertrinkenden Punks in „schmutzigen“ Autonomen Zentren, in welchem offenbar Anarchist*innen hauptsächlich anzutreffen wären und die natürlich über keinerlei „Theorie“ verfügen würden. Was es überhaupt für eine aussichtslose Strategie wäre, auf Freiräume zu setzen, fragte sie. Und ich entgegnete, dass es bei Transformationskonzepten nicht darum geht, einen fertigen Plan vorzulegen, sondern grundlegende Überlegungen darüber anzustellen, wie sich Dinge verändern lassen. Dazu beziehen sich die Beteiligten auf bestimmte Grundannahmen und Erfahrungen, also beispielsweise jener, dass es nicht emanzipatorisch sei, den Staat übernehmen zu wollen. Stattdessen sind parallel zu den Herrschaftsverhältnissen bereits jene immanent vorhanden, die Anarchist*innen anstreben.

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alte Radikalität neu entdecken

Lesedauer: 2 Minuten

Es ergab sich das Gespräch mit einem älteren Genossen, der wohl die 60 schon überschritten hatte. Ich war interessiert an der Geschichte des westdeutschen Kontextes, in welchem er aktiv war. Spannend zu hören, dass phasenweise wirklich tausende Jugendliche und junge Erwachsene in den 70er, 80er Jahren auf die Straße gegangen sind, um Räume zu erkämpfen, von denen heute nur noch einige für Bewegungen und einige andere als subkulturelle Orte existieren. Dabei wollten sie nicht vor allem oder hauptsächlich derartige Freiräume, aber dies schien offenbar die konkrete, machbare und verbindende Forderung zu sein, welche für welche „die Bewegung“ eintreten und die sie letztendlich auch erkämpfen konnte.

Das rebellische Gefühl ging weit darüber hinaus. So organisierten Leute in diesen Zeiten ohne jedes Rechtfertigungsbedürfnis „Demos gegen alles“. Das Zusammenkommen in Zeiten ohne social media schien Anlass genug, um der allgemeinen Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Die Flyer der Antiautoritären, Autonomen und Anarchist*innen waren dabei durchaus kreativ gestaltet und erschienen phasenweise mehrmals in der Woche. Ganz anders als die im Blocksatz gesetzten gesetzten, akkuraten Flugblätter in Schreibmaschinenschrift, welche K-Gruppen vor den Fabriktoren verteilten, um die Arbeiter*innenklasse zu agitieren.

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Ruhe

Lesedauer: 3 Minuten

Leider war’s alles zu viel in letzter Zeit. Vermutlich kennen viele diese Gefühl, im Scheitern der eigenen Bestrebungen, ob in der Liebe, im Alltag, dem Tätigkeitsein, der Selbstverwirklichung, im Leben. Dann wird alles anstrengend. Zu anstrengend. Ein weiterer loster Mensch sucht irgendwie nach Bestätigung und Aufmerksamkeit – und rafft doch immer noch nicht, dass ich nie verstanden habe, warum ich Personen einfach nur in ihrer Existenz bestätigen soll. Das müssen sie schon selbst hinbekommen, auch wenn ich mich häufig ebenfalls in diese erbärmliche Bittstellung begeben habe.

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Schon zu lange funktionieren die Dinge nicht mehr; Begreife ich meine Lebenssituation nicht, und auch nicht, wie ich in sie gelangt bin. Sich daraus befreien zu können, war früher schwer, weil man sich selbst nicht genug kannte. Heute ist es schwer, weil man sich selbst genug kennt – und daran resigniert. Wenn die Kraft zum rebellieren fehlt, bleibt die Einkehr. Neue Kräfte werden wachsen. Ich freue mich, wenn sie wieder in die Rebellion gegen eine schlichtweg wahnsinnige Herrschaftsordnung münden, welche die Würde des Menschen täglich missachtet und die Lebensgrundlagen der biologischen Existenzen auf diesem Planeten täglich weiter vernichtet. Ich sehne mich nach dem großen Kladderadatsch. Doch weiß ich, das es sich um eine Projektion handelt. Die soziale Revolution ist Alltagssache. Und kann nur so emanzipierend wirken, wie wir uns im Hier und Jetzt organisieren und handeln.

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Quo vadis Anarch@Feminismus?

Lesedauer: 4 Minuten

Meine fünf Cent zu inner-feministischen Auseinandersetzungen

Im Folgenden plädiere ich dafür, in Abgrenzung zu Queerfeminismus, Radikalfeminismus und liberalem Feminismus einen eigenständigen anarch@feministischen Ansatz zu entwickeln. Dieser müsste eine Erneuerung gegenüber früheren derartigen Ansätzen darstellen, da diese nicht am Puls der Zeit sind.

Mir ist bewusst, dass meine Kompetenz, zu diesem Themenfeld zu sprechen begrenzt ist. Zudem bin ich als männlich sozialisierte Person weniger und anders vom Patriarchat betroffen, als Menschen mit anderen Positionierungen. Deswegen sind diese Überlegungen als ein Versuch anzusehen, meine eigenen Gedanken auf diesem Weg zu äußern. Denn ich möchte dem Thema die Bedeutung zukommen lasse, welche sie tatsächlich für umfassende Emanzipation hat.

-> Wenn du eigene Gedanken zum Thema hast oder dich auch aus einer anderen Positionierung heraus dazu äußern möchtest, schreib mir gern und ich veröffentliche deinen Beitrag, wenn er aus anarchistischer Perspektive geschrieben ist.

von. https://en.wikipedia.org/wiki/Queer_anarchism#/media/File:Queer_Anarchist_CSD_Berlin_2020_Gamma_Fixed.jpg
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Erbauliches

Lesedauer: < 1 Minute

Glück ist,
wenn ich sich erniedrigte, ausgebeutete,
unterdrückte Menschen erheben
nicht aus vermeintlicher Notwendigkeit,
sondern um ein gutes, erfülltes, würdevolles Leben
für alle zu erkämpfen

Glück ist,
wenn ich reisen und dies mit einem agitatorischen,
organisatorischem, Bewusstseins-bildenden
Zweck verbinden kann
wenn ich sprechen, schreiben, handeln, sein
und damit Menschen etwas zeigen kann

Glück ist der unkontrollierte Aufbruch
auf der Straße, im Saal, im Betrieb,
das aufbegehren gegen die Institutionen der Herrschaft
das Gleißen in unseren Augen
wenn zerschmettert wird,
was Menschen knechtet;

Glück ist der Bruch, die Situation, Irritation,
Provokation, Rebellion, die Aktion

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Apokalyptische Phantasie als passivierende Faszination

Lesedauer: 4 Minuten

Neulich zappte ich noch mal halb lustlos durch den Film Extinction von 2018, entschied mich entgegen, ihn anzuschauen und glotzte stattdessen um runterzukommen irgendeinen anderen Trash. Muss auch mal sein, aber in ein Feuer zu starren hätte mich vermutlich besser entspannt. In unserer Erlebnisgesellschaft kann Entspannung aber nur durch Aufregung produziert werden und so gelangen wir weder richtig zur Ruhe, noch häufig zur selbstbestimmten Aktivität.

Im Film hat ein Typ, der Ingenieur ist, gruselige Albträume einer kommenden Invasion durch Außerirdische. Alle meinen, er müsse mal zum Kopfdoktor gehen, bis die Aliens dann tatsächlich kommen – Pech gehabt. Glücklicherweise hat der Protagonist durch seine Gabe der Vorhersehung einige Ideen, wie sich das Ganze dann deichseln lässt. Komischerweise stellt sich dann aber heraus, dass die Aliens gar nicht so andersartig wie Menschen, sondern selbst welche sind, während die Erdbewohner*innen selbst ihre künstlichen Seiten entdecken. – Das ist ein relativ interessanter Move im Film.

CC-Lizenz von Jeff-Photo (https://www.flickr.com/photos/jeff38/51377061712/in/photostream/)
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Kneipenabend

Lesedauer: 3 Minuten

Ein wirklicher Kneipengänger war ich nie. Ursprünglich lag es am mangelnden Geld, was ich in Kneipen hätte verprassen können. Stattdessen trafen wir uns früher in der Straße und an alternativen Locations. Nachdem in meinem Leben etliche Biere die Kehle runtergeflossen sind, fand ich mich zuletzt doch immer mal wieder in einer Kneipe wieder. Vielleicht einfach, weil Winter war und ich trotzdem abends raus musste. Vielleicht aus Verzweiflung, vielleicht auch aus Neugier, wer weiß. Was ich auch immer schlecht ertragen habe war der Lautstärkepegel in Kneipen, welcher bekanntermaßen mit dem Alkoholpegel korreliert. Das kann anstrengend sein. Mittlerweile beobachte ich aber mehr und das hilft etwas, den Lärm besser auszuhalten. Wohingegen ich Zigarettenqualm inzwischen nicht mehr gut ab kann. Ich werde alt. Oder jung. Oder anders. Jedenfalls übe ich mich immer noch im Kneipensetting.

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