Innerhalb unserer kleinen, verschiedenen, verstreuten Kreise bekamen sicherlich einige den kurzen Schlagabtausch mit, den Jens Störfried mit einigen Egoist*innen/Nihilist*innen/Insurrektionalist*innen führte. Wenn nicht in der einen oder anderen Form bereits früher, ging das Ganze vielleicht los mit dem Artikel Endlich neue Tatsachen. Darin wurde recht abwägend der Eindruck beschrieben, welcher die ersten zwei Ausgaben der In der Tat! beim Autoren erzeugte und wurden einige Fragen aufgeworfen. In dieser Zeitung war wiederum – ich glaube in der dritten Ausgabe, die ich leider aufgrund meiner Lebenssituation nicht mehr vorliegen habe – anschließend eine wütende trotzig-angepisste Gegenkritik zu lesen. Als der Aufruf zum Einreichen von Artikeln in die Sonderausgabe der GaiDao zum Pandemischen Ausnahmezustand Ende Juli erschien, hatte sich Leute aus dem genannten Spektrum daran gemacht, eine fake-Ausgabe zu erstellen – zu der ich aktuell leider keine Verlinkung habe, die mir aber vorliegt. Schließlich erschienen die beiden Persiflagen Radikale Linke, ich trinke noch ein Bier mit dir und Mit der Linken sprechen. Diese bezogen sich wiederum auf zwei Texte Radikale Linke, ich trenne mich von dir und Mit der Linken brechen, welche im Juli als Broschüre veröffentlicht wurden.
Schließlich provozierte dies offenbar aktuen Antwortbedarf, der sich auf dem Blog vom Zündlumpen erbrach. Wenn ich schon die Überschriften lese, überkommt mich ein Lachen, aufgrund der Humorlosigkeit dieser entfernten Genoss*innen. Zumindest scheint mir, dass sie mit An einen Waschlappen nicht begreifen, dass Jens ihre Wahrnehmung und das, was sie für Kritik halten, bereits antizipiert. Auch mit Jens Störfried, du alter Pragmatiker zielt der Autor geradezu darauf ab, sich selbst aus einer ernsthaften Auseinandersetzung herauszukatapultieren, wenn er etwa schreibt: „Wozu mich sozial-revolutionär orientieren und formieren und mich dann auch noch ernst nehmen, wenn der Angriff doch meinem individuellen Verlangen und Vergnügen entspricht? Wozu und vor allem welche Verantwortung übernehmen und wem gegenüber?“ und Jens dabei auf völlig abstruser Weise unterstellt, er würde sich „Gedanken um eine neue totalitäre Herrschaft“ machen. Einfach lächerlich. Mit Ratschlägen an die Föderierten, den Bruch mit der Linken betreffend, fühle ich mich dann vollends aus der Zeit gefallen – oder ist der schreibende Eigenbrötler irgendwo hängen geblieben?, ich weiß es nicht. Aus den Zeilen spricht eine große und nicht überwundene Enttäuschung, mit der wir jedoch nichts zu tun haben. Vermutlich würde ich sie selbst sogar teilen. Meine Konsequenzen daraus wären jedoch andere.
Was ich auf jeden Fall nicht nachvollziehen kann, ist, warum beim Text Mit der Linken brechen – welcher offenbar als geeignet empfunden wurde, noch mal als Broschüre herausgebracht zu werden -, nicht dessen ursprünglicher Autor genannt wurde. Sicherlich, es sollte nicht darum gehen, irgendwen zu verehren oder wiederum als Theoretiker*in einer Strömung darzustellen. Stirner bewahre! Wenn der Name des US-amerikanischen individual-anarchistischen Autors Wolfi Landstreicher jedoch kein Sammelpseudonym ist, stammen 4/5 des Textes Mit der Linken brechen, von ihm. Er wurde unter dem Titel Von der Politik zum Leben. Anarchie vom Mühlstein der Linken befreien bereits 2015 übersetzt und veröffentlicht. Sicherlich, wir sollten hier nicht so ein Eigentums-Ding draus machen – Was anderes tun aber zündlumpen, wenn sie den Autoren des Textes nicht benennen, ihn also quasi als ihre Produktion ausgeben? ~ Die Kritik daran bleibt weiterhin bestehen und Jens hat den Anlass genutzt, seine Perspektive dagegen zu setzen. Wenn er dies vorher gewusst hätte, hätte er sich dann aber gleich mit Wolfi Landstreicher auseinander gesetzt – der in seinem Beitrag ja noch etwas Kontext mitliefert – anstatt mit dem billigen Abklatsch von Zündlumpen.
So viel zum Zwischenstand und der Vorgeschichte. Nur, um das erst mal zu rekonstruieren. Mich hat der Schlagabtausch dann doch ziemlich nachdenklich gemacht, doch ich kann im Moment noch nicht greifen, warum genau. Warum sollte ich mir den Kopf zerbrechen, über Leute, die, wenn sie sich argumentativ in der Enge wähnen, mit romantischen Phrasen um sich werfen? Warum sollte ich mich mit Positionen abgeben, die sich auf einem ultra-liberalen Freiheitsverständnis begründen; warum mit Menschen, deren angepisste Reaktionen nicht anders als gekränkte Reflexe bewerten kann? Wie gesagt, zu diesem Zeitpunkt habe ich noch keine wirkliche Antwort darauf. Ich stelle fest, dass es geschieht. Selbstvertsändlich stand hinter den Persiflagen auch eine strategische Absicht. Die richtete sich jedoch nicht primär an die „Insurrektionalist*innen“ selbst, sondern an jene verwirrten, potenziellen Genoss*innen, die sich deren Textproduktion rein ziehen und Antworten suchen, auf den ihnen aufgedrückten Status als bürgerliche Subjekte.
Doch dies ist nun mal nur eine Ebene. Eine andere betrifft das pure Interesse an der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Positionen und Strömungen im Anarchismus, weil es meiner Beschäftigung entspricht und ich fasziniert bin, wie sich gewisse Grundfragen – etwa, was die „Linke“ oder ein für Anarchist*innen adäquates Verhältnis zu ihr ist, wann eine Ordnung als freiwillig und wann als zwanghaft zu gelten hat usw. – über einzwei Jahrhunderte hinziehen. Ich weiß nicht, wohin uns die Auseinandersetzungen bringen werden. Aber ich glaube daran, dass es trotz all der Reproduktion von konträren Standpunkten – insbesondere, wenn diese vor allem Identitäten bestätigen und verteidigen sollen – gewisse Weiterentwicklungen geben kann. Dies ist ein Projekt, weil eine theoretische Erneuerung für den Anarchismus erforderlich ist, damit er sich neu aufstellen kann. (Damit meine ich nicht vorrangig bereits vorhandene Gruppierungen oder deren Hüllen.)
Die dritte Ebene ist dagegen eine schwer zu fassende, die ich an dieser Stelle auch nicht unnötig ausbreiten werde, denn sie betrifft mich als Person. Ich lasse mich zwar immer wieder von Stimmungen fortreißen, gerade deswegen ist es mit dem Persönlichen schwierig, denn verletzbar bin ich genug. Das will ich auch sein und bleiben können, aber die Welt macht mich wie alle, die im Widerspruch leben, eben stumpf und hart. Und vielleicht ist es das, wo ich meine, eine andere Weise des Umgangs mit meinen Verletzungen und Enttäuschungen gefunden zu haben, als jene „Insurrektionalist*innen“, mit denen der Streit stattfand. Dazu finde ich es legitim, dass mir hierbei nicht zuerst um die vermeintliche „Praxis“ geht (die immer als bestimmte vorausgesetzt wird, wenn Menschen behaupten, es müsse jetzt um sie gehen), sondern um die Herangehensweise an die Dinge.
Ich gebe zu, ja, es fällt mir unheimlich schwer zu Leben ohne zu warten und andere zu konfrontieren. Das ist kein falsches Harmoniebedürfnis, sondern eine Müdigkeit und ein Pragmatismus, den ich mir angeeignet habe, um in dieser Herrschaftsordnung und all dem, was sie produziert, zu überleben. Vielleicht tat und tue ich es auch oftmals, den Dingen direkt zu begegnen – und bin deswegen erschöpft, brauche Sicherheiten. Es gibt Sicherheiten. Wir stellen sie im solidarischen Miteinander her und in Gegnerschaft zur Herrschaftsordnung der Besitzenden und Mächtigen, denen wir sie entreißen müssen. Herzustellende Sicherheiten sind auch Ausgangsbasen für die Wirkmächtigkeit unserer Kämpfe. Wer meint, sie nur in sich selbst finden können, spricht aus privilegierter Perspektive, denn sie*er hat sie bereits erfahren, selbst wenn alles verloren und aufgegeben schien. ~ Aber vielleicht gibt es doch keine für mich. Vielleicht sollte ich die Außenseiterrolle, in der ich mich ein Leben lang befinde (bzw., die ich vor allem selbst als solche wahrzunehmen gelernt habe), auch einfach annehmen, feiern, ja, wirklich zelebrieren, anstatt mir etwas auf meine Langweiligkeit und Mittelmäßigkeit einzubilden? Doch ich bin eben kein Narzisst, kein Exzentriker und kein Egoist. Ich habe die komplementären Probleme.
Nun ja, so viel als abstraktes Gedankenkreisen zu dieser Thematik. Andere oder ich werden sicherlich darauf zurück kommen. Im Moment wird Jens aber keinen dritten Beitrag mit dem Titel Radikale Linke, ich will ein Kind mit dir! schreiben. Vermutlich wird die Auseinandersetzung auch in seine sonstige theoretische Beschäftigung münden. Beispielsweise führte ihn die Assoziation einer stählernen Kälte, die er in vielen Texten der „Insurrektionalist*innen“ empfindet, zur These, dass es sich hierbei im Grunde genommen (strukturell) um eine Art invertierten Futurismus handelt… Im November wird er jedoch erst mal in die diametral andere Richtung provozieren. Nein, nicht provozieren, sondern nur sachlich richtig stellen. Als unkommentierter Gedankenanstoß zum verfassten Beitrag lasse ich Zo d’Axa sprechen:
Weder eine Partei noch einer Gruppe zugehörig. Außerhalb. Wir gehen – als Individuum, ohne den rettenden und blind machenden Glauben. Unser Ekel vor der Gesellschaft bringt keine unabänderlichen Überzeugungen hervor. Wir kämpfen aus Freude am Kampf und ohne den Traum einer besseren Zukunft zu träumen. Was geht uns das Morgen an, das erst in einigen Jahrhunderten sei wird? Was gehen uns die Großneffen an! AUSSERHALB aller Gesetze, aller Regeln und Theorien – sogar der anarchistischen -, vom jetzigen Augenblick an, sofort, wollen wir uns unseren Gefühlen des Mitleids und des Zorns, unserer Wut und unseren Instinkten hingeben – mit dem Stolz, wir selbst zu sein.
– Le’Endehors, Nr. 34, 27.12.1891; zititiert aus: Zo d’Axa, Leben ohne zu warten. Von Mazas nach Jerusalem, Hamburg 1984