Wer in die Öffentlichkeit tritt – und sei sie noch so überschaubar, wie in Hinblick auf die Interessent*innen eines Blogs zu anarchistischer „Theorie“ – macht sich greifbar und angreifbar. Die Inszenierung der eigenen Person ist mittels der Exhibition auf den Online-Plattformen mittlerweile selbstverständlich. Fast jede Person hat einen account bei facebook, twitter, Instragram, youtube und Co. – oder betreibt eben einen Blog. Ob als bloßes Hobby oder fachgemäße Visitenkarte – es gibt viele Gründe für die Selbstdarstellung. Die Zeit, wo sich abgesehen von institutionellen Würdenträger*innen nur Künstler*innen inszenierten ist lange vorbei. Sicherlich gibt es auch den gegenläufigen, gewissermaßen konsumkritischen, Trend, sich dieser Tendenz zu verweigern und weiterhin auf direkte Beziehungen zu setzen. Dies verlangt jedoch inzwischen wiederum eine Begründung, eben jene des Protests und der Verweigerung.

Der Blogautor schreibt bereits einleitend, er würde sich nicht anmaßen „den“ Anarchismus zu vertreten. Gut so, denn seine Genoss*innen und Gefährt*innen würden ihn sonst vermutlich gänzlich fallen lassen. Mag sein, dass es tatsächlich seine eigene bescheidende Ansicht zu dieser Thematik ist – mit dem Anspruch, an dieser Stelle anarchistische Theorie betreiben zu wollen, positioniert er sich jedoch dezidiert. Aufgrund der Marginalität von Anarchist*innen, die gezielt an die Öffentlichkeit treten und sich des Ⓐ bedienen, um ihre Ideologie kenntlich zu machen, wird das Bild des gegenwärtigen Anarchismus‘ durch diesen Akt des In-Szene-Setzens in jedem Fall geprägt.
Eben dies bringt einige der Genoss*innen auf, denn sie wittern die Anmaßung, die Selbstdarstellung und den Ausverkauf ihrer Identität und Gedanken. Die Feind*innen des Anarchismus hingegen bekommen Futter, um sich das Maul über diesen zu zerfetzen. Über ein Graffiti an der Wand lässt sich meckern und schimpfen. Anarchistische Schriftstellerei hingegen lädt zum Lästern und zur Psycho-Pathologisierung ein. Beitrag für Beitrag trägt der Autor dazu bei, dass ihm die Faschisten und konservativen oder sozialdemokratischen Hardliner den Schädel vermessen können. Indem er anarchistisches Denken mittels seiner Vorstellung von „anarchistischer Theorie“ erforscht, macht sich der involvierte „Forscher“ selbst zum Gegenstand der Erforschung. Aus dieser Perspektive stehen sich, durch einen Zaun getrennt, zwei Affen gegenüber und beobachten sich fasziniert gegenseitig. Im Zuge ihrer Studien wird für den Außenstehenden offenbar, dass sie sich vor allem selbst beobachten und ihre Existenz zu begreifen trachten. Von dieser ausgeprägten Nabelschau wird nicht völlig zu Unrecht darauf geschlossen, wie sich eine politische Szene um sich selbst kreist, deren Bedeutung sich im Wesentlichen für ihre Angehörigen selbst ergibt.
Gleiches trifft auf das „wilde“ (wirre?) Denken zu, welches der Autor sich hier zu präsentieren nicht scheut. Wie so oft liegen hier Mut und Naivität dicht beieinander. Was bleibt, ist der Eindruck eines permanent an der Welt und sich selbst zweifelnden Subjekts, dass sich krampfhaft weigert, bestimmte Aspekte der Realität anzuerkennen – angefangen bei der Tatsache, dass die bestehende Gesellschaft grundlegend durch Herrschaftsverhältnisse strukturiert ist. Dies schließt interessanterweise ein, dass mit dem Anarchismus die herrschende Realität, schroff als solche benannt wird und somit durchaus eine Kritik an Herrschaftsideologie geübt wird. An ihrer materiellen Existenz ändert dies gleichwohl nichts.
Die Aussage des Bloggers, dass die Dinge (zwischen „Herrschaft“ und „Freiheit“) äußerst komplex wären und an dieser Stelle nur fragmentarisch ausgeführt werden könnten, mag ihm selbst zwar offenkundig sein und zu weiteren Nachforschungen antreiben. Unverständige und feindselige Rezipient*innen werden allerdings sehen, beurteilen und verurteilen, was sie nicht verstehen können und nicht verstehen wollen. Gut, dass hier immerhin nicht der Ansatz vertreten wird, man müsste eine wie auch immer geartete allgemeine Sprache verwenden, um die imaginierte Allgemeinheit zu adressieren. Es geht eigentlich kaum um irgendwelche anderen, sondern ganz zuerst um die Leute der eigenen Strömung.
Bleiben sollte daher die Einsicht, dass hier ein Bild des Anarchismus produziert wird, dessen verselbständigte Wahrnehmung durch andere auch durch die tausendste Erklärung des Autoren nicht relativiert, sondern lediglich verstärkt wird. Ob dieser das so oder anders will, spielt dabei nur an vierter oder fünfter Stelle eine Rolle. Entschieden hat er sich offensichtlich dafür, dies in Kauf zu nehmen. Hoffen wir, dass er dieser Verantwortung gerecht wird, sich nicht völlig lächerlich macht und daran zerbricht.