Man muss selbstverständlich auch aufpassen, dass man sich nicht dumm liest. Das betrifft insbesondere eine Gesellschaft, die sich auch hinsichtlich des Bücher-Lesens ausdifferenziert bzw. spezialisiert hat. Immer weniger Personen lesen immer mehr Bücher, so scheint es. Dagegen wäre eine gleichere Verteilung, als auch eine Vielfältigkeit und Abwechslung in den Tätigkeiten sehr erstrebenswert. Denn auch indem Einzelne viele Bücher lesen, können sie nicht das Unwissen und die „Meinungen“ derjenigen ausgleichen, die kaum welche lesen – und trotzdem immer Recht zu haben glauben.
Viele Bücher zu zitieren, bedeutet nicht immer, sie auch gelesen zu haben, bzw. sie auch verstanden zu haben. Das ist so ein Akkumulationsproblem in den Sozialwissenschaften. Gelegentlich ist es aber auch legitim, nach bestimmten Ausschnitten zu suchen und daraus Expertise zu ziehen. Wie ich es unter anderem im vorliegenden Fall getan habe und tun musste. Denn blöderweise ist mein Fakten-Gedächtnis äußerst schlecht.

Interessant ist Bourdieus Thematisierung der symbolischen Macht des Staates und seine Überlegung zu einer vor-gesetzlichen doxa. In Anschluss daran wäre Anarchismus nämlich nicht einfach als heterodoxes libertär-sozialistisches Projekt zu verstehen, sondern kritisiert die Form der Setzung und Erzeugung von (symbolischer) Ordnung selbst. Paradox macht ihn aber, dass er sich dazu wiederum auf eine (soziale) doxa jenseits von Staatlichkeit beziehen muss.

Balibars Abhandlung zur Gleichfreiheit ist eine Skizze über die Entstehung des modernen Begriffs der sozialen Freiheit – also ein eminent anarchistisches Thema. Aus der Antinomie zwischen Staatsbürgerschaft und Demokratie schlussfolgert er einen Appell zu „Widerstand Aufstand Ungehorsam“, ähnlich wie Miguel Abensour (2012) es tut. Eine brauchbare radikale Demokratietheorie mit begrüßenswertem normativem Anspruch. Allerdings bleibt mir diese Linie zu bürgerschaftlich-republikanisch…

Und schließlich musste ich dann wieder mal bei Agnoli reinschauen, um mir über sein Politikverständnis Klarheit zu verschaffen. Im Grunde genommen schießt er in Der Staat des Kapitals (1975/1995) über das Ziel hinaus, ist anarchistischer als anarchistisch, würde ich sagen. Seine Kritik der Politik ist ausgeprägt und geht mit einem differenzierten Nachdenken über die relative Autonomie des Staates einher. Allerdings verbleibt er in der reinen Negation, der Vorstellung von gesellschaftlicher „Totalität“ und thematisiert nicht das Vorhandensein von erstrebenswerten Verhältnissen und Institutionen. Den Allzudeutschen mag dies natürlich taugen, aber für die politische Theorie des Anarchismus bräuchte es hier noch Erweiterungen…