Ausflug in den Einrichtungsgroßhandel
Ich hatte die Süßigkeiten nicht gekauft, obwohl sie dreimal an mir vorbei gezogen waren. An der Kasse wäre die letzte Chance – doch ich hatte keinen Bock. Selbst am Glühwein für zwei Euro war ich vorbeigelaufen und nicht mal eine verfickte kleine Lampe wollte ich mitnehmen. Was ist nur los mit mir?, fragte ich mich. Warum kann ich bei IKEA nur überleben, aber verdammt noch mal nicht wie ein normaler Menschen etwas einkaufen? Kein Wunder, dass ich mich falsch in dieser Welt fühle, denn die anderen scheinen es doch auch zu schaffen! Übrigens ist es mir überhaupt erst seit einigen Jahren möglich, durch einen solchen Großhandel zu gehen, ohne ausgeprägte Gewaltphantasien zu entwickeln, welche – wie ich mittlerweile weiß – Reaktionen auf die Gefühle des Gefangenseins und der Fremdbestimmtheit sind. An solchen Orten spitzen sie sich zu. Doch ich übe mich darin, sie ironisch zu wenden, mich selbst weniger ernstzunehmen und meine Sensibilität abzustumpfen.
Womöglich war es auch aus diesem Antrieb heraus, dass ich kapitulierte und schließlich einen Spontankauf tätigte: Sechs kleine Kakteen, jeweils drei in einer Plastikpackung fanden den Weg in unseren Einkaufswagen. Auch wenn sie wenig Wasser brauchen, fühlten sie sich hier sicherlich nicht wohl. Ich mag kleine Dinge, die groß werden oder kleine Dinge, die große Dinge minimieren. Das war schon seit meiner frühen Kindheit so. Vielleicht, weil ich ein kleiner, träumerischer Mensch in einer großen seltsamen Welt bin, die mich auf meine Arbeitskraft, meinen Konsum und meine gesellschaftliche Rolle reduzieren will.

Dass ich mir diese Marotte bewahrt habe, ist sicherlich Ausdruck des Biedermeiertums jener ehemaligen Revolutionär*innen, die nicht wie ihre Genoss*innen in den heißen Zeiten ermordet worden waren. Als Überlebende und durch die Erfahrung der Kerkerhaft gebrochen, zogen sie in die spießige Privatheit und stellten den Gartenzwerg auf. Andere waren nach Amerika gegangen. Doch in welches neue Land sollte ich denn heute auswandern, wo doch alle Welt kapitalistisch überformt ist? Selbst dort ist sie es, wo man sich ihr in spießbürgerlicher Manier fern glaubt, wie in der Enklave Portugal. Und wie sollte man sich woanders niederlassen, ohne den dort lebenden Leuten mit der eigenen Deformiertheit zu begegnen, sie mit den zivilisatorischen Krankheiten anzustecken, welche wir entwickelt haben? Darüber hinaus glaube ich auch nicht an eine ursprüngliche Wildheit, die wieder entdeckt werden könnte, um ein authentisches Leben zu führen. Das sind alles Projektionen gefangener Seelen, ein rebellisches Gefühl, mit dem für sich genommen keine Ausflucht möglich wird. Insofern passten die Kakteen ganz gut als Erbauung für die Trauer über meine Unfähigkeit bei IKEA zurecht zu kommen.
Endlich standen wir an der Kasse an und nahmen keine der kleinen Kuscheltiere als Trost mit. Auch Kassenstehen weckt bei mir Fluchtinstinkte. Doch überstanden wir auch das und konnten uns endlich der ersehnten Belohnung widmen, welche mir als Alibi gedient hatte, um mich diesem Ausflug anzuschließen. Die Hotdogs lagen unmittelbar vor uns. Dabei verhielt ich mich moderat und kaufte nur drei von ihnen. Meine Schwester nahm noch eine Zimtschnecke, doch Kaffee wollten wir nicht. Froh über die Belohnung krümelte ich die Röstzwiebeln auf den Tisch und wunderte mich, dass ich gar keinen Geschmack von Sägespänen im Mund hatte.
Ich sagte: „Ein komischer Laden. Irgendwie fühle ich mich wie in einer Fabrik“. Meine Schwester antwortete: „Ja, das ist ja auch der Sinn der Sache“. Und ich: „Aber ich weiß nicht, ob ich Produkt oder Konsument bin. Und ich kann nicht unterscheiden, welche Entscheidungen ich auf dem Weg durch das Warenhaus selbst gefällt habe und welchen vorgegebenen Mustern ich lediglich gefolgt bin“. Sie: „Um weniger verloren zu gehen, macht man sich vorher einen Plan, was man kaufen will“. Das leuchtete mir ein. Und ich fragte mich, ob ich mir Unterstützung suchen sollte. Jemand, die oder der mit mir einen Konsumplan erstellt, damit ich zielgerichteter durch die Plastikwelt gehen kann. Alles in allem war ich jedenfalls zufrieden über den aufregenden Ausflug. So bald wiederkommen werde ich aber wohl nicht.