„We are all victims of the plastic world“ (Teil 1)

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Ausflug in den Einrichtungsgroßhandel

Ein spontaner Besuch bei meiner Schwester in einer anderen Stadt endete mit einem Ausflug bei IKEA. Sie wollte etwas Bestimmtes besorgen, ich hatte Zeit und wollte die Hotdogs essen. Wir hatten ihr kleines Kind zu betreuen. Also begaben wir uns auf die Reise durch die Kunstwelt des schwedischen Möbelherstellers. Es ist sicherlich über 10 Jahre her, dass ich bei IKEA war und ich kann mich auch nicht erinnern, während dieser Zeit ein Möbelstück gekauft zu haben. Ein hervorragendes Sofa hatte ich vor nicht all zu langer Zeit im Sozialkaufhaus erworben, ein Regal und einen Aktenschrank aus früheren WGs übernommen, während mein Schreibtisch seit meinem 14. oder 16. Lebensjahr auf eigenartige Weise alle Umzüge überlebt hat, welche ich in meinem Wahnsinn bewältigen musste.

Aus dem Auto heraus konnten wir gut das große blaue Schild mit den gelben Buchstaben sehen und fuhren in das Parkhaus hinein. Schöner Abgasgeruch, dachte ich, und freute mich. Wir quasselten mit dem Kleinen, kamen auf unserem Weg zum Eingang an einem Plakat mit Hotdogs vorbei und nahmen uns einen Einkaufswagen. Dann fuhren wir mit dem Lift in die erste Etage und betraten die Traumwelt des bescheidenen Glückes für Angehörige der Massengesellschaft.

Gleich am Eingang kommentierte ich, dass ich nicht wusste, dass es hier auch Süßigkeiten gibt. Meine Schwester, die einen anderen Lebensstil pflegt, lächelte und antwortete wissend: „Wenn du beim dritten Mal daran vorbeikommst, wirst du sie einpacken“. Nicht ohne Grund waren wir Montagvormittag hierher gegangen. Denn darin sind wir beide uns gleich: Menschenmassen mögen wir nicht, sie stressen uns. Dafür war dann doch erstaunlich viel los im Einrichtungsgroßhandel. Als hilfreich in diesem Zusammenhang erweisen sich Pfeile auf dem Boden und sonstige Hinweise, die einen – manchmal sanft, manchmal grob – durch die aufeinanderfolgenden Abteilungen der Ausstellung kleinbürgerlicher Rückzugsräume leiten.

eigene Aufnahme

Mein Neffe war verständlicherweise völlig überfordert. IKEA aus der Sicht eines Kleinkindes ist noch mal eine ganz andere Liga. In jeder Küche spielten wir Händewaschen, wobei der Kleine anschließend seine Schnoddernase an einem Handtuch abrieb. Gut, das war nicht geplant, lieber schnell weiter. Wir versteckten uns hinter Aufbauwänden und lachten dabei. Wir rannten kurze Strecken durch die Gänge und kampelten uns.

Warum waren hier überall Zimmer, aber ohne Türen? Warum waren alle Betten gemacht, aber wirkte es, als wenn gar niemand darin schlief? Wo waren die Leute, die hier wohnten, beziehungsweise, warum liefen sie als kontinuierlicher Strom an diesen kleinen Räumen vorbei? Stoppte der Menschenfluss vielleicht abends? Würden dann alle in ihre kleinen Schachteln gehen, um sich auszuruhen, zu kochen, fernzusehen, sich zu waschen, zu zocken oder zu arbeiten? Angewidert ging ich an mehreren Bildern vorbei, auf denen hetero-monogame Zweierpärchen abgebildet waren, die einen direkt in Hochzeitskleidung. Die Standardisierung wird einem hier auf allen Ebenen reingepresst, leider. Ich wandte mich ab und betrachtete Fake-Bücher von schwedischen Fake-Autoren in Fake-Bücherregalen – natürlich auch nur ein Serviervorschlag. Die Inhalte sind auswechselbar, aber möglichst nichtssagend.

Dann überraschte mich meine Schwester wieder mit einer Vorahnung und sagte zu dem Kleinen: „Achtung, gleich wirst du ausrasten“. Daraufhin betraten wir die Abteilung mit den Kinderzimmereinrichtungen. Zielgerichtet watschelte der Zwerg voran und stellte sich an eine Kinderküche aus nordländischen Holz. Sie hatte sogar zwei Knöpfe, mit denen man ein Lampe unter den Herdplatten anschalten und sie rot leuchten lassen konnte. Hier gab es auch allerlei anderes, was der Kleine schon gut kannte. Doch nur verhältnismäßig kurz hielten wir uns bei der Holzspielbahn auf. Zu dieser gab auch ein Bilderbuch, welches später wiederum als Konsumhinweis in den Bücherregalen zu finden war. „Toll, das hier an alle gedacht ist!“, dachte ich mir. Doch insgeheim merkte ich deutlich meine Abwehrreflexe und schämte mich dafür, ein so besonderes schwerer Fall von Konsument zu sein. Also spielten und staunten wir etwas und liefen weiter, wobei wir einer Dame vor die Füße stolperten.