„Es reicht eben nicht, einmal im Jahr nach Plauen zu fahren und gegen Nazis zu demonstrieren!“ – so sagten die Stalinist*innen von der KO. Komisch, eigentlich kenne ich diese Aussage eher aus dem Kontext autonomer Antifa. Denn da ist allen klar, dass Antifaschismus weit mehr ist, als die sogenannte Feuerwehrpolitik. Die Aussage der aus der Zeit gefallenen rot-roten Ultra-Orthodoxen hat einen wahren Kern: Antifaschistischer Kampf kann nur sinnvoll gedacht werden und gelingen, wenn er in das Engagement für eine andere Gesellschaft eingebettet und daran orientiert wird. Dies ist deswegen der Fall, weil Faschismus eben nicht irgendwo vom Rand kommt, sondern in der „Mitte der Gesellschaft“ entsteht. So wie sozialistische Tendenzen gibt es auch eine faschistische Tendenz in dieser Gesellschaft.

Gerade dies war und ist jedoch das Argument engagierter Antifaschist*innen. In der Regel kämpfen sie nicht gegen die „bösen Nazis“, sondern gegen die Strukturen und gesellschaftlichen Verhältnisse, aus denen sie hervorgehen und die sie dulden oder sogar fördern. So beispielsweise Verfassungsschutz, kontinuierliche Diskursverschiebungen im politschen Establishment, auch bereits vor und unabhängig von der AfD, ebenso wie preäkäre soziale Situationen durch den Abbau von Sozialleistungen und die Schleifung von Abfederungsmechanismen der kapitalistischen Verelendnung in Konkurrenz. Dies kann sehr verschiedene Formen annehmen. Ebenso wurde bereits Schnittpunkte zwischen antifaschistischer und Klimabewegung gesucht und Verbindungen verknüpft. Sprich: In aller Regel sind Antifaschist*innen vielfältig aktiv, in Zusammenhängen organisiert, informiert und reflektiert. Es gibt auch Leute, die „nur“ auf Demos gehen. Demonstrationen sind ein wichtiges Mittel, um eine Macht auf der Straße zu sein, damit für bestimmte Positionen einzutreten, Menschen zu motivieren, zu bestärken und eventuell auch ein breites Statement zu liefern, was die Medien aufgreifen können. Daneben gibt es jedoch viele andere Mittel, deren sich Antifaschist*innen auch bedienen. Dass Menschen den Raum der Demo nutzen, um sich zu politisieren und ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer politischen Weltanschauung zu generieren ist völlig verständlich und legitim. Derartige Identitätsbildung hört auch nicht zwangsläufig ab einem bestimmten Punkt auf. Identität wird jedoch dort problematisch, wenn sie zum Selbstzweck wird und unreflektiert, oberflächlich reproduziert wird. Wenn gesagt wird „Ich wurde so geboren“. Das war und ist der Fall. Dass dies jedoch generell so wäre und viele Demogänger*innen es bei diesen sein lassen würde, scheint mir jedoch keineswegs der Fall zu sein.
Weshalb also die bloße Unterstellung der KO-Leute, bei vielen würde sich ihr Antifaschismus in einer einjährigen, ritualisierten Demo erschöpfen? In dieser Behauptung – als rhetorische Figur – steckt einiges mehr. Hinter der Falschdarstellung einer angeblich verkürzten, mono-thematischen, symbolischen Praxis steht ein an dieser Stelle (noch) unausgesprochener Führungsanspruch einer Gruppierung, welche konkurrierende Ansätze diskreditiert um selbst den einzig wahren Weg vorzugeben, welchen sie glauben, per se gepachtet zu haben. Von einem „Klärungsprozess“ wird da gesprochen und sich in schizophrenem Doppeldenk eingebildet, treffende Analysen zu erarbeiten, um perspektivisch einen „kommunistischen“ Umschwung zu initiieren. Dessen Ergebnisse allerdings stehen schon im Vorhinein fest. Es sind die immer gleichen grundlegend autoritären Argumente einer selbstherrlichen, fanatischen Avantgardepolitik. Diese wird – auch vor sich selbst – damit verschleiert, dass an eine Organisierung des „Proletariats“ appelliert wird. Die meisten, die auf diese Weise sprechen, gehören jener Schicht im engeren Sinne jedoch ebenso wenig an, wie vorrangig jene Leute der akademischen Linken, welche sie dadurch agitieren wollen. Die Stalinist*innen gehen eben nicht vor die Werkstore, weil sie wissen, wie lächerlich sie darstehen würden. Ihre Ansatz einer Organisierung der Nachbarschaft hingegen, ist nichts anderes, als das, was Basislinke seit langer Zeit – in einem oft recht begrenzten Rahmen – betreiben – mit dem Unterschied, dass sie nicht offen auftreten und rechtschaffen zu ihren eigentlichen Positionen stehen, sondern instrumentell agieren.
Auch wenn es ein leidiges Thema ist, kommt man hierbei um den DDR-Bezug nicht drum herum. Für die KO war die homogene und autoritäre DDR-Gesellschaft „ihr“ Staat, abgesehen davon, dass sie ihnen eben nicht stalinistisch genug war. Es war nicht alles schlecht im Staatssozialismus, wie auch nicht alles schlecht im Kapitalismus ist. Doch beide Systeme haben sich überlebt und sind durch eine sozial-revolutionäre Bewegung mit der Perspektive auf eine libertär-sozialistische Gesellschaft hin, zu überwinden. Hierbei geht es um die Kenntnis der Geschichte, um ein historisches Bewusstsein. Gleichzeitig geschieht die historische Beschäftigung niemals neutral. Die grundlegende Frage ist lautet: Ist eine Gesellschaft wie sie unter dem DDR-Regime bestand prinzipiell erstrebenswert oder nicht? Dies lässt sich meiner Ansicht nach nur mit einem klaren Nein beantworten. Das Kuba beispielsweise ein umfassende Grundheitsversorgung und Bildung der Bevölkerung verwirklicht, dass kommunistische Regime immer gegen kapitalistische Konkurrenz und reaktionäre Tendenzen kämpfen mussten und vergleichbare Argumente, stimmt wohl. Daraus wird jedoch mitnichten begründet, weswegen es so einen historisch verfehlte Sackgasse wie die DDR geben musste, bzw. warum eine Gesellschaftstransformation heute in diese Richtung erstrebenswert sein sollte.
Die KO kritisiert in ihrem Grundsatzpapier den XX. Parteitag der KPdSU, auf welchem die Entstalinisierung des „sowejetischen“ Staatskapitalismus beschlossen wurde. Dies impliziert ein Bekenntnis zum Stalinismus, einem Regime einer paranoiden und besessenen Kaste, welches die russische Arbeiter- und Bauernbewegungen zerschlagen hatte und für die Inhaftierung, Verschleppung und Ermordnung von Millionen von Menschen verantwortlich ist. Diese Position ist aus emanzipatorischer Perspektive unhaltbar und für ein gemeinsames sozial-revolutionäres Projekt schlichtweg unzulässig. Sie ist armselig. Darüber eine Diskussion zu führen, erscheint mir grundsätzlich sinnlos bzw. nur aus Studiengründen interessant, wenn man sich etwa mit Geschichtsverfälschung und Manipulation auseinandersetzen will. Es ist sinnlos, Zusammenarbeit zu suchen, wo schlichtweg keine gemeinsame Basis besteht.
Vielmehr gilt es davon auszugehen, dass die meisten politisch aktiven Leute durchaus Vorstellungen von ihrer Praxis und Visionen für eine grundlegende Gesellschaftstransformation haben. Hierbei besteht eine große Reichhaltigkeit. Tatsächlich haben Leute in undogmatischen Basisgruppen viel mehr Ahnung von den Widersprüchen beispielsweise in Hinblick auf Antirassismus, feministische Themen, Klimagerechtigkeit oder Arbeitskämpfe, als irgendwelche dahergelaufenen Kader-Kommis, welche sich hinstellen und meinen, anderen die Welt erklären zu müssen. Sicherlich braucht es hierbei Bewusstseinsbildung. Irgendein Aktionismus um seiner selbst Willen ist nicht zielführend und unterstützenswert. Und immer wieder verfangen sich Leute in der Suche nach Anerkennung, Geltung und Gemeinschaft in identitären Selbstfindungsprozessen mit denen sie permanent um sich selbst kreisen. So etwas jahrelang zu beobachten führt zu starken Kopfschmerzen. Doch darin besteht nicht das gesamte Lager oder ein Großteil derjenigen, welche sich für einen libertären Sozialismus einsetzen, viel ihrer Lebenszeit verwenden, teilweise auf Absicherungen verzichten oder sich direkt für ihr Engagement angreifbar machen. Auszugehen ist davon, dass es die tausend kleinen Schritte sind, die kontinuierliche, meist nervenaufreibende und unspektakuläre Basisarbeit, welche einen wesentlichen Unterschied ums Ganze macht – nicht der dogmatische, oktroyierte, durchzuführende Plan irgendwelcher Kader-Clowns.
Fragen nach Hegemonie und Führung, nach der Schaffung politischer Bündnisse, einer Basisverankerung und Bewusstseinsbildung, nach dem Umgang mit politischen Konkurrent*innen und Feind*innen, sind auch für ein libertär-sozialistischen Projekt zu stellen und schrittweise zu beantworten. Undogmatische Linke machen es sich durchaus zu einfach, in reflexhaften Anti-Bewegungen zu verharren, teilweise Ein-Themen-Politiken zu verfolgen und über diffuse, diskontinuierliche und exklusive Organisationsstrukturen nicht hinaus zu gelangen. Um dies anzugehen braucht es jedoch längst keine Stalinist*innen, welche – als wiederholter Treppenwitz der Geschichte – Ausdruck der Herausforderungen einer emanzipatorischen Linken ist, bei denen zielführende Lösungsversuche noch ausstehen. Allerdings hat sich hierbei in den letzten Jahren meiner Wahrnehmung nach schon sehr viel verändert. Die Verbindung der Themen und Kampffelder wird viel stärker betrieben, es gibt eine neue Beschäftigung mit „Basisarbeit“ und aufgrund der Zuspitzung gesellschaftlicher Widersprüche wird auch der Druck stärker, sich für eine grundlegende Alternative einzusetzen bzw. sich an dieser auszurichten. Es würde völlig ausreichend sein, wenn mehr Menschen sich kontinuierlich, verbindlich, bewusst und leidenschaftlich für den libertären Sozialismus einbringen.