Viele Menschen in meinem Umfeld haben so ihre Schwierigkeit in der Welt. Vermutlich ist das in anderen sozialen Gruppen und Milieus ebenfalls der Fall. Aber ich kann erst mal nur sprechen, von dem, was ich wahrnehme. Auch unter meinen Bekannten in einem weiteren Kreis nehme ich wahr, dass jene, die sich als Anarchist*innen verstehen heftig am struggeln sind. Entweder sie betätigen sich (anti-)politisch – dann geht es ihnen oftmals nicht gut. Oder, sie hängen phasenweise herum und es geht ihnen nicht gut dabei. Oder sie finden eine Art Hobby, bei dem sie ihren Körper, ihre Stimme, ihre Physis und Kreativität spüren können – so was wie malen, jonglieren, singen, kampfsporten eben. Oftmals entfernen sie sich dann aber von der (Anti-)Politik, denn es geht ihnen ja besser. Und/oder sie sind in einer festen Partnerschaft und fangen an, sich dauerhaft einzurichten. Oder/und sie haben eine Lohnarbeit gefunden, die ihnen entspricht, sich sinnvoll anfühlt, in der sie aufgehen. Auch in diesen Fällen ist mit (anti-)politischer Aktivität meistens nicht mehr viel.
Umgekehrt stelle ich mit dem Abstand der Zeit allerdings auch fest, dass die meisten meiner Bekannten mehr oder weniger das Gleiche zu tun scheinen, wie zuvor, auch wenn sich ihre Lebensumstände gewandelt haben mögen. Jemand, der dauernd darauf schimpfte, dass „niemand etwas machen würde, sondern alle nur labern“, ist zwar unter Strom in seinem Job und seiner Freizeit, betätigt sich aber genauso wenig (anti-)politisch, wie vor Jahren. Ein anderer, der sich seiner Komplexe bewusst ist, hat weiterhin eine korrekte Einstellung und Haltung, muss sich aber auf seine festgelegte Alltagsstruktur konzentrieren, um nicht unterzugehen. Und ein weiterer schafft es, seinen Arsch hochzukriegen und mal hier und da zu jobben, weil es ihm damit unterm Strich doch besser geht, als sich permanent die Birne platt zu machen.
Mir fallen noch weitere Beispiele ein, gerade, weil ich letztens erst jemanden kennen gelernt habe, der meinte, eine (anti-)politische Betätigung käme für ihn in den nächsten fünf Jahren nicht in Frage, weil er sich da vor allem um sich selbst kümmern müsste. So viel Selbstsorge ist löblich. Aber ich kenne den Prozess. Am Ende wird er eine Ausbildung abschließen – was ihm ehrlich gegönnt wäre – und zumindest etwas Sicherheit in seinem Leben haben. Daraufhin wird er sich aber ebenso nur im Internet belesen und in Chats verlieren, wie zuvor, statt etwas eigenes mit einer Gruppe anzufangen.
Klar braucht mensch auch mal eine Pause von der (Anti-)Politik. Das ist wichtig, um nicht völlig durchzudrehen und sich absolut zu vernachlässigen. Wir haben gelernt, dass die altruistischen Kaderpersonen, die alles immer hundertzwanzig Prozent machen wollen, erstens völlig verlernen, zu genießen, damit zweitens einsam werden und krachen gehen und also drittens verbittert und autoritär werden. Letzteres, weil sie implizit erwarten, dass sie von anderen für ihr Engagement Anerkennung und Gegenleistungen erhalten – egal, ob diese etwas mit ihren vorherigen Aktivitäten zu tun hatten oder nicht. Und auch schon in früheren Zeiten bestand unter Genoss*innen die Einsicht darin, dass sie jeweils ihren eigenen Lebensverhältnisse im Nahumfeld – es muss ja keine Kleinfamilie sein! – zu klären und zu ordnen haben, um der solidarischen Kampfgemeinschaft nicht individuell zur Last zu fallen. Etwas anderes ist es, wenn jemand akut Hilfe braucht oder offensichtlich unterstützt werden muss, beispielsweise weil seine engsten Angehörigen eingeknastet wurden, Krebs kriegen oder von sexuellen Übergriffen betroffen sind. Das versteht sich aber von selbst.
Was ich mit diesen losen Gedankenfetzen ausdrücken möchte, ist, dass die Bedingungen der Gesellschaftsform, in der wir leben, denkbar ungeeignet sind, um emanzipatorische Kämpfe zu führen, welche sie grundlegend transformieren. Und das liegt vermutlich im Wesen der Sache. Denn jene, die sich nicht einrichten und arrangieren können – und sei es in der Subkultur oder dem Polit-Fetisch – fühlen sich genötigt am Bestand des Bestehenden zu nagen. Weil er an ihnen nagt, sie von innen zerfrisst. Die Welt muss sich ändern, damit wir in ihr Platz haben können! – Was egozentrisch und privilegiert klingt, gilt, wenn wir weiter darüber nachdenken, eigentlich für sehr viele, ja für den Großteil der durch die Herrschaftsordnung leidenden Bevölkerung. Es ist objektiv ein asoziales und zerstörerisches Gesellschaftssystem, in dem wir leben müssen. Um gegen es anzugehen und etwas anderes an seine Stelle zu setzen, brauchen wir Zeit, Kontakte, Ressourcen und Erfahrungen. Letztendlich ist es aber auch eine pure Frage des Willens, ob wir uns einfügen oder ausbrechen wollen. Den sieht man aber Menschen von außen nicht an, hört ihn nicht aus ihrer Rede heraus, sondern spürt man bei ihrem Verhalten.