Verstrickungen

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Seit einiger Zeit habe ich festgestellt, dass ich mich immer stärker in Szene-Streits, Abgrenzungs- und Zugehörigkeitsdebatten verstrickt habe, als mir lieb ist. Es hat etwas gedauert, bis ich verstanden habe, warum das so war und was ich daran problematisch finden. An sich spricht nichts dagegen, Statements zu bringen, wie man sich in Bezug auf bestimmte Themen oder gesellschaftliche Entwicklungen positioniert. Per se ist auch nichts an Begründungen und Ausformulierungen anarchistischer Gedanken einzuwenden, um sie von anderen unterscheidbar zu machen. Und selbstverständlich darf es im Umgang mit der ideologischen Konkurrenz auch mal polemisch zugehen, denn schließlich geht es auch um was.


Aber um was geht es ist, ist die Frage. Und so ist nicht ausgeschlossen, dass ich im Anschreiben gegen die verbohrte Rechthaberei, die dogmatischen Versatzstücke und romantischen Phrasen meiner anarchistischen und sozialistischen Konkurrent*innen, selbst deren schlechte Stile und Umgangsweisen übernehme. Also beispielsweise, indem ich ihnen Grundannahmen oder Absichten unterstelle, welche sie bei genauerer Betrachtung gar nicht haben. Oder indem ich mir vor allem ihre ausformulierten Gedanken anschaue – die ich ja zurecht als verkürzt oder aggressiv kritisieren kann – anstatt meinen Blick darauf zu richten, wie die Betreffenden sich tatsächlich verhalten und wie sie handeln.

Insgesamt steht im Hintergrund meines Bedürfnisses nach Abgrenzung, Klarstellung und Debatte natürlich auch eine gewisse Arroganz. Diese ergibt sich daraus, aus subjektiven Gründen für eine Minderheitsposition einzutreten, die tatsächlich oftmals diffamiert und ausgegrenzt wird. Außerdem ist sie komplex und muss deswegen erklärt werden. Soweit ist das in Ordnung. Zu überprüfen ist darin aber ein etwaiger Führungsanpruch – welchen im Übrigen auch Personen, die offensiv vor sich hertragen „gegen jede Autorität“ zu sein durchaus selbst haben können. Das wäre der antiautoritäre Reflex, der andere auf das eigene Niveau herabzieht und ihnen Führungsgebaren unterstellt, um intrigant selbst die Fäden in der Hand zu halten.

Darüber hinaus wird ein chronisches Äußerungsbedürfnis von vielen als nervig, überfordernd oder indiskret angesehen. Dass kann ich zwar nachvollziehen, ändert aber nichts unmittelbar an meinem Verhalten. Ich finde auch, man sollte die eigenen Filme weiter spulen, denn es kommt darauf an, in welche Richtung sie laufen – was sich wiederum beeinflussen lässt und auch in der Verantwortung der Einzelnen liegt. Schwierig ist allerdings, wenn einige Anarchist*innen aus ihren Überzeugungen ein exklusives Szene-Ding machen wollen, dass nur den von ihnen als „cool“ und integer empfundenen Leuten gehören soll. Dabei handelt es sich quasi um die Privatisierung einer Weltanschauung, um sich selbst ein Zugehörigkeitsmerkmal zu verschaffen, in welchem man sozial anerkannt wird. Solches Verhalten ist fatal. Denn Anarchismus ist für viele da, die von der Freiheit und Gleichheit der Menschen ausgehen, aufbegehren und sich für emanzipatorische Zielsetzungen engagieren wollen.

Mein Umkehrschluss daraus, immer möglichst transparent und offen mit anarchistischen Gedanken etc. umzugehen und mich ja nicht in eine wie auch immer gearteten Szene-Zugehörigkeit einzufügen, führt dann aber auch nicht immer zu sinnvollen Ergebnissen. Er bleibt dann verinnerlichter Reflex, wenn ich tatsächlich zu etwas gehöre und dazu auch stehen sollte. Die eigene soziale Idiotie darf nicht dazu herhalten, wichtige inhaltliche, ideologische und strategische Auseinandersetzungen durch bissige und trotzige Rundumschläge zu verunmöglichen. Es ist eben nicht so, dass keines der anderen Kinder mit mir spielen möchte. Ich produziere diese Position und Wahrnehmung selbst auch mit.

Wie sich leider auch in der anarchistischen Szene gut beobachten lässt, trifft der eigene Frust und Unmut häufig vor allem jene Personenkreise, die einem eigentlich nahestehen. Oder von denen man sogar in einem positiven Sinne abhängig ist. Es handelt sich um ein Gerangel um Anerkennung und Aufmerksamkeit. Dies hört auch im sogenannten Erwachsenendasein nie auf, was auch okay ist, weil Menschen nun mal soziale Tiere sind. Soweit, so nachvollziehbar. Ich kann guten Gewissens so transparent damit umgehen, weil ich derartige Affekte dauernd in Debatte beobachte und gelten sie als noch so „seriös“. Schreiben ist immer auch Beruhigung, Ablenkung, Selbstvergewisserung, Kanalisierung. Gerade auch diese Zeilen sind es. Aber diese inneren Bewegungen gilt es eben zu reflektieren, um Aussagen treffen zu können, welche über-individuell und inter-subjektiv sind, statt auf dem Level von „was ich noch mitteilen wollte“ zu verbleiben.

Letztendlich nehme ich mir vor, einmal mehr darüber nachzudenken, wie ich schreibe, was ich schreibe und ob ich dass dann auch in jedem Fall öffentlich machen muss. Es ist ja so: Ein guter, fundierter und überarbeiteter Text, dessen Struktur und Absicht klar ist, ist besser und bringt meinem Anliegen mehr, als fünf dahin geklatschte Redeschwälle. Einfacher gesagt, als getan, aber weniger, langsamer und gradliniger denken wäre eine Übung wert. Ich weiß nicht, ob ich dazu in in Kloster oder eine Einsiedelei gehen müsste. Es ist ja gerade die Einsamkeit, das Missverstehen, aus welchem das Äußerungsbedürfnis entspringt. Das kleinstbürgerliche Subjekt kreist wieder einmal um sich selbst, im Modus écrit automatique. Ein Versuch, der seine Grenzen hat. Und erfahrungsgemäß später zu Scham und Reue führen kann…

Wie auch immer. Adressieren will ich mit meinen angriffslustigen Texten eigentlich die Verursachenden von Leid, Gewalt und Zerstörung. Nicht jene, denen ich mich – trotz aller Kritik, die ich haben mag – verbunden fühle. Die Herrschenden sollen meinen Zorn auf sich ziehen – und mit ihm kann ich auch Inhalte und Stile verknüpfen, welche mit mir Sympathisierenden inspirieren und motivieren können. Ermutigen und bestärken möchte ich jene, mit denen ich mich Verbunden fühle. Wir sind so wenige. Wir sind so viele. Dass die ganze Show – der Blog, meine Veranstaltungen, vielleicht mein halbes Leben – trotzdem eine Szene-Geschichte bleiben wird – nun ja, geschenkt.

Immer mal über den Rand der eigenen Bubble kann mensch gehen, Verbindungen knüpfen, sich nicht, nie, niemals über-identifizieren. Sich verdammt noch mal selbst nicht immer so ernst nehmen. Und gerade deswegen absolut ernst nehmen und zur eigenen Egozentrik stehen; die eigene Postion verstehen; die eigene Aufgabe sehen; den eigenen Weg gehen. Was als verschlungen, wirr und durcheinander erscheint, beinhaltet auf lange Sicht, mit etwas Abstand betrachtet, deutlich stringenter und kohärenter als es im fetischisierten Hier und Jetzt erscheint. סלע