Demokratie zerlegt sich selbst

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Ob bei der zunehmenden Repression gegen den organisierten Antifaschismus zeigt der Reaktion der repressiven Staatsapparate gegen die Letzte Generation, wie der kapitalistische Staat seine eigenen demokratischen Legitimationsgrundlagen zerlegt. [1] Die gute Nachricht ist, dass Menschen, die Verstand und das Herz an der richtigen Stelle haben, spätestens nach der Räumung von Lützerath endlich vom Irrglauben abgerückt sind, das die Partei der Grünen den erforderlichen gesellschaftlichen Umbau durch parlamentarische Politik realisieren würden.

Dem aktuellen Repressionsschlag ging eine monatelange Hetzkampagne voraus, die nicht alleine der bürgerlichen Politik der Letzten Generation gilt. Vielmehr zielt sie auf die Unterdrückung und Ausgrenzung jeglichen Engagements außerhalb des engstirnigen politischen Institutionen-Sets und der in Bezug auf sie legitimierten Verfahren. „Klima-Terrorismus“ ist das Schlagwort der spürbaren Gewalt, welche durch das verrohte Bürgertum und die abgehobenen Politiker*innenkaste ausgeübt wird. Dies wurde nicht zuletzt bei der völlig überzogenen Ingewahrsamnahme dutzender Personen deutlich, die vor knapp zwei Jahren gegen den Ausbau des DHL-Flughafens Leipzig/Halle protestierten [2] [3].

Dass Angehörige der Letzten Generation sich von in ihren Augen „wirklich Kriminellen“ und „Radikalen“ deutlich distanzieren, ist eine nachvollziehbare Reaktion aus Selbstschutz. Sie ist zu kritisieren, weil der Rahmen der gesetzten Legitimität an sich auf Gewalt und Ausgrenzung beruht. In dieser Taktik kommt darüber hinaus aber die Wahrheit zum Ausdruck, dass die Anhänger*innen dieser Retorten-Bewegung tatsächlich aus der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ entstammen. Umso mehr schien es den staatlichen Repressionsorganen geboten zu sein, dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben, bevor sich etwa ein Protest wie Ende März im französischen Saint Soline entzündet [4] [5].

Die Klima-Aktivist*innen empören sich völlig zurecht über das, was ihnen als Bürger*innen widerfährt – bedenkt man, wie systematisch Regierungspolitik zugunsten von Kapitalinteressen und der Konservierung des institutionalisierten Wahnsinns in Hinblick auf die Eindämmung des Klimawandels versagt. Doch sind sie immerhin Rechtssubjekte in diesem System – im Unterschied zu all jenen, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen, an der polnisch-belarussischen Grenze ausharren oder in den Lagern der nordafrikanischen Staaten verrecken, die von europäisch bezahlten Söldnern betrieben werden.

Wo ziviler Ungehorsam in den reichsten Nationalstaaten der Welt auf derartige Ignoranz stößt und unterdrückt wird, gilt es bei aller Kritik an der Naivität und taktischen Engstirnigkeit der Letzten Generation solidarisch mit den Betroffenen zu sein – und auf die damit verbunden auf Anliegen aufmerksam zu machen, die weit darüber hinaus gehen. Das Pseudo-Argument, dass die Protestierenden in China bereits ins Umerziehungslager gesperrt wären und hier ja immerhin viele legale Spielräume ausschöpfen könnten, ist jenes von gebrochenen Sklaven, die sich mit ihren Herrn identifizieren und Glücksgefühle haben, wenn sie nicht geschlagen, sondern gelobt werden.

Klimaschutz ist kein Verbrechen, ebenso wie autonomer Antifaschismus eine schiere Notwendigkeit darstellt, in Zeiten der zunehmenden Verteilungskämpfe zwischen Nationalstaaten und Klassen. Doch die Rechnung wird nicht aufgehen. Für alle Engagierten in sozialen Bewegungen gilt es, aus dem Rahmen der bestehenden Herrschaftsordnung auszubrechen und sich auf die Suche nach den ungeahnten Möglichkeiten der damit gewonnenen Autonomie zu begeben.