steh auf, steh auf, grüne deutsche Jugend, steh auf. Für eine bessere Zukunft bauen wir die Heimat auf.
Wieder einmal haben einige überzeugten Aktivist*innen den Klimawandel zum ersten mal verstanden. Mit zivilem Ungehorsam machen sie nun Politik. Mit spektakuläre Aktionen soll auf ein großes Gesetzespaket hingewirkt werden, um den CO2-Ausstoß zu senken und den Klimawandel in einem überschaubaren Ausmaß zu halten. Dass die Aktiven hierbei reformerisch – also vermeintlich „realistisch“ – denken und anstreben, kleine Erfolge zu erzielen, ist nicht das Problem. Sondern das sie Forderungen an Regierungen formulieren und der Ansicht sind nur durch rasches und umfangreiches Eingreifen des Staates könnte die ökologische Katastrophe ausreichend reguliert werden.
Warum der Staat das aus strukturellen Gründen nicht tut und nicht tun kann, bleibt den Beteiligten in ihrem bürgerlichen Bewusstsein ein Mysterium. Ebenso wenig ist die Rede von Kapitalismus und es bleibt zu vermuten, dass dieser als nicht mehr als ein ungerechte und zerstörerische Produktionsform begriffen wird, deren Eigendynamik, Gesellschaft zu prägen deutlich unterschätzt wird. Wer vom Kapitalismus schweigt, an den Staat appelliert und die Klimakatastrophe nicht als Ausdruck des herrschaftsförmigen gesellschaftlichen Naturverhältnisses begreifen kann, wird auch keine radikalen Antworten hervor bringen können. Das Bewusstsein und die Aktionsformen der „Letzten Generation“ verbleiben also in eingehegtem Rahmen, was in merkwürdigem Kontrast dazu steht, zivilen Ungehorsam als besonders innovativ oder krass darzustellen.

Das Erweckungserlebnis, welches bei XR und ihrem Ableger „letzte Generation“ angesprochen und befördert wird, kann als Faktor von Mobilisierung und Radikalisierung dienen – und insofern prinzipiell sachlich, aber verantwortungsvoll gehandhabt werden. Ebenso ist die Aufforderung zu zivilem Ungehorsam sinnvoll. Es braucht viele Menschen, die bereit sind, aus ihrem Alltag auszubrechen, Grenzen zu überschreiten und dafür Risiken auf sich zu nehmen. Dennoch bleiben die Anhänger*innen der „letzten Generation“ pseudo-anarchistisch. Sie inszenieren Aktivismus als Spektakel. Das Ziel bleibt in Talkshows und von Politiker*innen zu Gesprächen eingeladen zu werden. Das Märtyrertum lässt sich somit schnell in Heldentum ummünzen – was freilich eine sehr alte Erscheinung ist. Aus dem Betroffenheitsgefühl westeuropäischer Wohlstandskinder wird die gefühlte Mission zur Rettung der Welt.
Und das darf sie in gewisser Hinsicht auch sein, denn zweifellos kommen hier Menschen zusammen, die viel verstehen – auch auf eine emotionale Weise – und es deswegen nicht mehr aushalten, nichts zu tun, nur zu reden, die Verantwortung für den erforderlichen gesellschaftlichen Wandel auf andere abzuwälzen. Gut, wenn Menschen so viel verstehen, empfinden und verändern können. Sie erfinden damit bloß das Rad nicht neu. Sondern fallen leider – trotz spektakulärer Inszenierung und professioneller PR-Arbeit – hinter die Erkenntnisse, Erfahrungen und Herrschaftskritik vorheriger Protestbewegungen zurück. Nicht zu Letzt täte ihnen ein anarchistisches Verständnis von sozialer Revolution gut. In diesem werden die multiplen Herrschaftsverhältnisse zusammen gedacht und geht es darum, verschiedene soziale Gruppen zusammen zu bringen, um die Vergesellschaftung von Produktion und öffentlichen Angelegenheiten zu erreichen.
Auf unterschiedliche Weisen hängen wir alle drin, im Todeskult des staatlichen Kapitalismus. Deswegen ist es auch völlig legitim beispielsweise die Infrastruktur des Automobilverkehrs zu blockieren, auch wenn die einzelnen Autofahrer*innen nicht „Schuld“ am Klimawandel sind. Niemand sollte sich mit Kollektivschuld-Behauptungen oder Realitätsverdrängung raus reden dürfen. Weil es sich um weiße Mittelschichtskinder handelt, die über einige Ressourcen verfügen, kriegen die Aktivist*innen der letzten Generation vielleicht mal zwei Tage Knast – und bedanken sich bei der Polizei, dass diese ihren Job macht. Doch auch auf sie werden die üblichen Strategien von Ausgrenzung, Infantilisierung, Romantisierung und Dämonisierung angewendet, wie sie auf alle ansatzweise radikaleren Gruppen in sozialen Bewegungen projeziiert werden…
Kognitiv wissen wir inzwischen, wie vernichtend unsere Lebensweise und Produktionsform ist. Das die meisten darauf nicht angemessen reagieren können, ist psychischen Selbstschutzmechanismen, der herrschenden Ideologie und der modernen Individualisierung geschuldet. Autobahnen zu blockieren, kann eine sinnvolle Aktionsform sein. Vor allem aber dann, wenn sich mit Vehemenz und vielfältigen kreativen Protestformen gegen die Bonzen, Banken und Konzerne gerichtet wird, welche uns zu Tode wirtschaften und auspressen. Wenn die „letzte Generation“ Erfolge einfährt, wird es vielleicht noch eine allerletzte Generation geben, welche begreift, dass die Klimakatastrophe nur mit einer grundlegenden sozial-ökologischen Transformation der Gegenwartsgesellschaft und also mit einem Angriff auf ihre Herrschaftsordnung, abgemildert werden kann. Wie wir dies in unsere eigenen Leben einbauen und welche Praktiken daraus folgen, ist freilich eine offene Frage.