Sorel und der Mythos in der Pandemie

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Wer dachte, wir hätten das Zeitalter der Mythen schon lange hinter uns gelassen
wurde die letzten Jahre schwer irritiert
Das mythologische Denken ist so verbreitet, wie lange nicht mehr
und dies fällt erst durch die Zunahme der Häretiker auf

in ihren sehr verschiedenen Ausprägungen
in ihrer Abweichung vom hegemonialen Mythos
sind Reichsbürger, religiöse und politische Fundamentalist*innen und Anarchist*innen auf der gleichen Stufe der Häretiker*innen

in ihrer strukturellen, organisatorischen, ethischen und ideologischen Gesichtspunkten hingegen nicht –

sie alle legitimieren und definieren sich in Abgrenzung zur mythologischen Hegemonie
also zahlreichen Glaubenssätzen in der staatlich-kapitalistischer-patriarchaler Vergesellschaftung
so zu Minderheiten gemachte, oder sich als Minderheit empfindende und imaginierende Menschen

die sich nicht an der bloßen Zahl ihrer Angehörigen festmacht –
sind in einer Position der Rechtfertigung ihrer Überzeugungen, Lebens- und Denkweisen und Gemeinschaften

daher entwickeln sie eine umso ausgeprägtere Mythologie
zur Integration der Gemeinschaft ihrer minderheitlichen Mitglieder
ihr Vergleich mit anderen Gemeinschaften
kann zu Interaktionsmodi wie Kampf und Feindseligkeit bis, über wechselseitige Konkurrenz und Toleranz, hin zu freundschaftlichen, freiheitlichen und solidarischen Kooperationen reichen

Konservative weben den Mythos um Nation, Wohlstand und Familienstruktur, Reaktionäre jenen der gekränkten Nation, des absteigenden Wohlstands, der kalten Sozialbeziehungen
sie adaptieren dabei Stile, Strategien und Denkweisen, wie die Hegemonietheorie der Kommunist*innen
und bauen sie oftmals zu instrumentellen Zwecken in ihr Strategien und – in viel geringerem Maße – in Abwandlung in ihr Weltbild ein
und dies notwendigerweise, weil das sozialistische herrschaftsfeindliche theoretische Denken stärker ist

doch dies Rechten und vor allem die Reaktionäre sind umso stärker darin, Mythen zu schaffen
denn weil sie dies autoritativ und instrumentell tun, haben sie viel weniger Scheu davor,
Menschen auf der mythologischen – also auf der symbolisch-imaginären Ebene – Versprechungen zu machen, Kränkungen anzusprechen und zu führen

immerhin geht es hierbei um die Seele der Menschen –

Dass die imaginär-symbolische Ebene existiert
und eine Tatsache ist, was man davon hält oder nicht,
und wie man also auf dieser Agieren, mit dieser umgehen sollte,
ist was, dass was viele Sozialist*innen stark verlernt haben:
die Dimension ihres utopischen Potenzial

in welcher Größenordnung auch immer es Ausdruck findet

konsequenterweise müsste ein emanzipatorisches Projekt
sich dessen bewusst werden und damit gezielt

und ihren eigenen Ansprüchen und werten nach – umgehen und agieren
Eine Frage ist, wie ein libertärer Sozialismus als gesamtgesellschaftliche Alternative
gedacht werden und sich aus der Lebenswirklichkeit vieler Menschen entwickeln kann
Eine andere, ob oder inwiefern, gerade Anarchist*innen
auf der imaginär-symbolischen Ebene wirksam werden
und zugleich ganz materielle, soziale und ethische alltagweltliche Kämpfe führen können

Was ist ein emanzipatorischer und kollektiver Umgang mit der mythologischen Dimension ausgehend von unserem Lager?
In welchen Erzählungen und auch in welchen ästhetischen Ausdrucksformen
bieten wir suchenden Menschen häretische Sichtweisen, die Einnahme der Perspektive von einem spezifischen, marginalisierten Standpunkt aus, an?
Und wie breit und eng ist diese Perspektive, um in ganz verschiedenen Milieus teilweise adaptiert zu werden?
Das ist das gleiche wie: Wie ist es möglich und gelingt es, die Weltbilder in den verschiedenen Gruppen und Milieus zugleich zu adressieren, aber auch zu vermitteln und zu leiten?

Doch wie dies geschieht, dazu gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten
Wer sich an der Beeinflussung des Webens von Mythologien beteiligt
sollte wissen, worauf sie sich einlässt und bedachtsam damit umgehen!

Andererseits: Wann weben wir keine Mythen in unseren bekannten Lebenswelten?
Wir tun es doch häufig, doch selten bewusst.
Daher könnten wir dies auch sinnvoll gestalten

Doch wird das utopische Sehnen und Sein, reaktionär verkehrt
wenn es instrumentell völlig der Strategie untergeordnet wird
anstatt sein eigenes Potenzial zu entfalten

Dies ist Unterschied, zwischen einer emanzipatorischen Umgangsweise und der Verwendung und Umgangsweise mit dem Mythos, durch George Sorel,
der den Kampf mythologisch als Selbstzweck und dem Endkampf (Generalstreik) vor dem Heil (nach der Apokalypse) propagierte
und dies mit instrumenteller Absicht zur Bedienung eines anderen Zweckes (Radikalisierung des teils befriedeten Klassenkampfes) tut

gleichwohl kommen wir ohne eine gezielte Beschäftigung mit der symbolisch-imaginären Ebene nicht gegen unsere Feinde an
denn der Faschismus
ist aus dem Mythos schlechthin geborgen
und dadurch ein Zombie, der Kristallastionspunkt aller reaktionären Strömungen

der Anarchismus hingegen, darf keine Folkloreveranstaltung sein, kein Szenegeklüngel und keine phrasenhafte Pseudo-Radikalität, von oftmals kurzer Dauer
sondern müsste zur lebendigen, initiativen und militanten Inspirationsquelle
eines libertär-sozialistischen Projekts werden

Wie also gehen wir bereits mit der mythologischen Dimension um?
Wie gehen wir mit unseren Ängsten, Hoffnungen, Glaubensvorstellungen
kollektiv und um das Wissen ihrer Bedingungen und deren Gestaltbarkeit, um?