Vielleicht werde ich immer wieder mal Materialien zur Veranschaulichung bestimmter Aspekte und Denkfiguren anarchistischer Theorie hochladen. Dabei gilt für alle derartigen Schaubilder, dass sie keine Wahrheiten selbst verkörpern, sondern vor allem dazu dienen, das Erfassen komplizierter Themen zu unterstützen.

An dieser Stelle geht es um die mögliche Differenzierung des Anarchismus als „Ethik“, „Organisationsweise“ und „Theorie“. Daniel Loick schlägt diese begriffliche Unterscheidung vor, zuvor aber auch schon David Graeber und dieser hat sie auch nur übernommen. Mit scheint plausibel zu sein, dass Anarchismus als alle drei zugleich betrachtet werden kann. Je nach dem, worauf wir den Schwerpunkt legen, werden bestimmte Aspekte betont, beispielsweise die Suche nach einem gelingenden , solidarischen Leben, die horizontale, föderalistische und autonome Organisierung von sozialen Gruppen und Bewegungen oder ein bestimmtes Set an theoretischen Grundannahmen. Die drei Aspekte lassen sich dabei jedoch nicht wirklich trennen, sondern gehen immer ineinander über.
Wenn wir davon ausgehen, dass es einen Zusammenhang zwischen den drei Aspekten von Ethik, Organisierung und Theorie im Anarchismus gibt, können Grundgedanken in ihnen aufeinander bezogen werden. Tatsächlich geht es Anarchist*innen oftmals darum diesen Zusammenhang in ihren Praktiken immer wieder herzustellen. Die „Kohärenz“ der Ebenen ist nicht einfach gegeben, sondern aktiv durch gemeinsame Diskussion, Reflexion und Entscheidungen zu gestalten. Ausgangspunkt ist meiner Ansicht nach die anarchistische Ethik. Die anarchistischen Organisationsprinzipien dienen gerade dazu, bestimmte ethische Vorstellungen konkret umzusetzen. In den Erfahrungen mit den Bestrebungen ein egalitäres, solidarisches, individuelles etc. Leben zu gewährleisten und dazu horizontale, föderale und freiwillige Strukturen aufzubauen und zu verwirklichen, entsteht auch der Bedarf, diese besser zu begreifen. Deswegen kommt die Theorie ins Spiel…

Wichtig hierbei ist, dass die Ebenen der ethischen Werte, Organisationsprinzipien und theoretischen Grundsätze vertikal und horizontal verknüpft sind. D.h. Gleichheit, Individualität (= soziale Freiheit), Gemeinschaft (= Solidarität), Selbstbestimmung und Vielfalt gehören auf der ethischen Ebene unbedingt zusammen. Sie können nicht getrennt voneinander verwirklicht werden. Wird Vielfalt durch dezentrale Organisationsstrukturen verwirklicht, so werden auch Theorien entwickelt, die Pluralität denkbar machen. Im anarchistischen Sinne ist diese etwas anderes als der liberale Multikulturalismus oder die Separation in sich homogener Gemeinschaften.
Dezentralität und Autonomie führen übrigens nicht dazu, dass alle kleinen und großen communities völlig beliebig machen können, was sie wollen. Wenn sie sich Diktatoren wählen oder an einem Punkt entscheiden, Kinder zu schlagen, widerspricht dies klar den ethischen Grundprinzipien des Anarchismus, denn Gleichheit der Würde und die Selbstbestimmung von Menschen werden untergraben. Aushandlungsprozesse dazu, inwiefern bestimmte Werte verbreitet werden können (ohne deswegen gleich „universell“ gültig sein zu müssen ) oder Konflikte zwischen verschiedenen Formen der Organisierung von Kommunen, gibt es genauso in der bestehenden Gesellschaft.
Ich habe schon geschrieben, dass es sich hierbei lediglich um ein Schema zur Veranschaulichung handelt. Selbstverständlich denke ich, dass es Sinn ergibt. Dennoch gehen die verschiedenen Aspekte nicht genau ineinander auf. So geht der Föderalismus als dem Wert der Gemeinschaft hervor, aber auch aus jenem der Vielfalt. Die Annahme der sozialen Singularität (= das komplizierte Denken von gesellschaftlichen Individuen, die zugleich Einzelne, als auch Produkte der Gemeinschaft sind), wirkt auf die Werte von Individualität/soziale Freiheit zurück, ebenso aber auch auf jenen der Gleichheit…
Dies sind nur einige Beispiele. Alles Weitere zu diesem Thema erläutere ich in den Broschüren zur anarchistischen Theorie, Organisierung und Ethik.