Lose Zusammenhänge

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Lose Zusammenhänge sind häufig anzutreffende anarchistische Organisationsformen. Oder Organisationsversuche, je nach dem, wie mensch das betrachtet. Hierbei unterscheiden sich Szene-Kontexte stark nach der Zahl der entsprechend eingestellten Menschen vor Ort, bereits vorhandenen festeren Strukturen, sowie dem Durchlauf, welche sie haben. Mit anderen Worten: In einer kleinen Stadt kennst du deine Leute. Und mit denen musst du wohl oder übel etwas anfangen. Das hat viele Vorteile, denn ihr lernt euch tiefgehender kennen bzw. kennt euch auch von der Schule und in eurem Privatleben. Das heißt, ihr seid aufeinander eingespielt, wisst, mit wem ihr was starten könnt und braucht euch gegenseitig, seid also wirklich genossenschaftlich verbunden. Der Nachteil: Der Polit-Freundeskreis kann eine gewisse Enge bedeuten, eine Stagnation im Denken und eine Genervtheit von den jeweiligen Marotten der Leute mit sich bringen. Wer das nicht gut aushält, zieht sich irgendwann ins Privatleben zurück oder in eine der bekannten größeren Städte, in denen es links-alternative (oder wie auch immer ihr das nennt) Szenen gibt.

Dort gibt es dann deutlich mehr Angebot an Konzerten, inhaltlichen Veranstaltungen, Demos, Aktionen, alternativen Lebensformen und Menschen, die man kennenlernen kann. So kommen dann die losen Zusammenhänge zu Stande, in denen sich insbesondere Anarch@s wiederfinden, um bestimmte Projekte umzusetzen. So war es in der Vergangenheit, ist es heute und wird es eventuell auch in der Zukunft sein. Lose Zusammenhänge sind meistens solche von Suchenden. Menschen suchen ähnlich gesinnte Personen, eine politische Identität, neue Erfahrungen und nach Selbstwirksamkeit. So weit so okay und sicherlich ein guter Ausgangspunkt, um weiter zu lernen und Erfahrungen in Gruppenprozessen zu machen.

Wer solche Prozesse mehrfach durchgemacht hat, wird allerdings feststellen wie nervig und anstrengend es ist, Projekt-bezogen immer wieder neue Menschen zu versammeln, sich mit diesen auseinander zu setzen und gemeinsam etwas zu organisieren. In losen Zusammenhängen ist häufig enorm unklar, wer für etwas verantwortlich ist. Deswegen trifft mensch sich zu Plena, in denen irgendetwas besprochen und entschieden wird – was dann aber niemand umsetzt, sodass beim nächsten Mal mehr oder weniger das Gleiche geschieht. Ich spreche hier von antiautoritären Gruppen. Und in solchen ist es selbstredend verpönt, wenn jemand die Führung übernimmt. Meiner Ansicht ist das auch völlig zurecht so. Probleme entstehen aber, wenn mensch nicht nur rumhängen und labern, sondern etwas konkretes organisieren will. Denn dafür braucht es einen gemeinsamen Modus der Entscheidungsfindung, Verantwortungsübernahme, einen geteilten Kommunikationsmodus und Verbindlichkeit.

Bedauerlicherweise erlebe ich wieder und wieder, dass es Menschen in losen Zusammenhängen nicht richtig hinbekommen, eine gemeinsame Arbeitsweise zu entwickeln, mit welcher halbwegs zielorientiert und effektiv etwas erreicht werden kann. Der Grund ist nicht, dass sie an sich zu wenig Erfahrung, Fähigkeiten, Motivation oder Überzeugungen hätten. (Denn was sollte schon „zu wenig“ sein?) Er zumindest teilweise in der ungeklärten Vereinbarung über den Grundmodus und die Zielsetzung des losen Zusammenhangs. Sprich, die Gruppe findet nicht zu einer Form der kollektiven und egalitären (also gleichverteilten) Macht, sondern verbleibt in einem Machtvakuum. Verschiedene Personen versuchen dieses mit Vorschlägen, gesteigerter Aktivität oder mit Ansagen zu füllen – und werden darauf hin zurückgewiesen. Nach einigen Versuchen wurschteln im losen Zusammenhang verschiedene Individuen vor sich hin – behindern sich aber dabei noch gegenseitig bei der Umsetzung ihrer Vorstellungen.

Ausgehend davon scheint es dann sogar effektiver und weniger stressig zu sein, wenn eine Kleingruppe von nur zwei oder drei Personen alles organisiert – und lediglich andere Personen oder Gruppen danach fragt, bestimmte Aufgaben zu übernehmen oder Zuarbeiten zu machen. Und tatsächlich ist dies die Schlussfolgerung, welche aktive Anarch@s (leider) aus derartigen Erfahrungen in losen Zusammenhängen ziehen. Andere lassen sich deswegen gar nicht mehr auf lose Zusammenhänge ein, sondern verlassen sich ganz auf ihre Bezugsgruppe von dreivierfünf Personen. Das ist verständlich, wenn man nicht immer aufs Neue mit unbekannten Leuten Gruppenprozesse von Beginn an durchlaufen, sondern diese soziale Energie lieber in die qualitative Weiterentwicklung der eigenen Gruppe stecken möchte. Aber so eine Gruppe muss mensch auch erst mal finden, wenn viele Personen aufgrund sozialer Ängste, Bequemlichkeit oder Sicherheitsbedürfnissen sich ohnehin kaum aus ihrem engen Bekanntenkreise herauswagen.

Ich richte mich keineswegs gegen lose Zusammenhänge. Sie sind wichtig, damit sich Menschen neu zusammenfinden und sich in Gruppenprozessen üben können. Außerdem sollte unter Anarchist*innen ohnehin Kommunikationsmodi und Vertrauen soweit geteilt werden, dass es immer möglich ist, auch mit zuvor unbekannten Genoss*innen zusammen zu arbeiten, wenn diese in der Chain-of-Trust andocken. Je klarer das Projekt umrissen und zeitliche bestimmt ist, welches zwei oder drei Einzelpersonen oder eine einzelne Gruppe vorschlägt, desto einfacher ist es auch, um dieses herum einen losen Zusammenhang zu bilden, der es mit trägt. Wenn durch die Zusammenarbeit in losen Zusammenhängen aber keine neuen längerfristigen Beziehungen entstehen, dass Projekt nur mit größter Anstrengung umgesetzt werden kann und darin entstandenes Erfahrungswissen nicht weitergegeben wird, ist er mir den Zeitaufwand und meine eigene Energie nicht wert.