Landauer Workshop im November

Lesedauer: 5 Minuten

Veranstaltungsreihe zu Gustav Landauer im Herbst


Mensch – Geschichte – Revolution

Zur Aktualität des kommunitären Anarchismus Gustav Landauers

ANKÜNDIGUNGSTEXT

Der Schriftsteller und Antipolitiker Gustav Landauer gilt als einer der
wichtigsten Theoretiker des deutschsprachigen Anarchismus. Er wurde vor
150 Jahren geboren, war ein Protagonist der Münchener Räterepublik und
wurde 1919 von konterrevolutionären Freikorps-Soldaten ermordet.

Landauer entwarf und propagierte einen libertären Sozialismus, der nicht
allein Sache des Kopfes oder Klasseninteresses sein, sondern die
Menschen ganzheitlich befreien sollte. Den Marxismus als Parteidoktrin
und die in der Sozialdemokratie vorhandenen Hierarchien lehnte er
vehement ab. Stattdessen knüpfte er in seinem Denken an radikale
Philosophen wie Nietzsche, Mystiker wie Meister Eckart und die jüdische
Überlieferung an. Die Moderne sah er kritisch, wurde darum aber
keineswegs konservativ, sondern dachte sie alternativ weiter. Dazu
entfaltete er auch ein eigenes Geschichtsverständnis und reflektierte
über die Bedeutung von Ästhetik, Menschenbild und Spiritualität für die
Befreiung der Menschen und den Zusammenhalt einer neuen „Gesellschaft
der Gesellschaften“. Demnach fokussierte er sich nicht auf einen
politischen Umsturz, sondern rief dazu auf, mit dem Sozialismus heute zu
beginnen und in auf Freiwilligkeit basierenden Gemeinschaften eine
sozialistische und freiheitliche Kultur, neue Lebensformen und
genossenschaftliche Wirtschaftsformen zu entwickeln.

Mit der Veranstaltungsreihe möchten wir an einen bedeutenden
gesellschaftskritischen Denker erinnern, dessen Erkenntnisse für die
politische Theorie, für die Philosophie und für ein Verständnis von
Sozialismus, Mensch und Revolution weiterhin relevant sind und als
Inspiration dienen können. Zugleich gilt es aber seine Texte auch selbst
kritisch zu lesen und sie im Kontext ihrer Entstehungszeit zu
betrachten.

Sie beinhaltet Vorträge von Paul Stephan, Jonathan Eibisch und Siegbert
Wolf sowie einen angeleiteten Lektüreworkshop zu ausgewählten
Schlüsseltexten zu Landauers Philosophie und politischer Theorie.

VORTRÄGE (jeweils 19 Uhr im Pöge-Haus)

  • Do. 29. 10.: Links–Nietzscheanismus. Eine Einführung.
    Buchvorstellung mit dem Autor Paul Stephan
  • Di. 10. 11.: Für ein neues anarchistisches Bewusstsein!
    Broschüren-Vorstellung und Diskussion mit Jonathan Eibisch
  • Do. 26. 11.: „Ohne Herrschaft – An-archie“ – Gustav Landauers
    kommunitärer Anarchismus.
    Vortrag von Siegbert Wolf mit anschließender Diskussion

Dreiteiliger LEKTÜRE-WORKSHOP (jeweils 11-15 Uhr in der Autodidaktischen
Initiative)

  • Sa. 14.11. Teil 1 – Sozialismus als Beziehung zwischen Menschen im
    Gegensatz zum Staat
  • Sa. 28.11. Teil 2 – Geschichtsphilosophie, Revolutionsverständnis,
    Utopie
  • Sa. 12.12. Teil 3 – Transformation und Neustrukturierung der
    Gesellschaft in Zwischenräumen

WORKSHOPS

Anhand einer Auswahl von Kerntexten sowie zusätzlicher Literatur wollen
wir uns der Theorie von Landauers kommunitärem Anarchismus widmen. Dazu
wird es einen Reader geben, den wir (gegen eine Spende für die
Druckkosten) zur Verfügung stellen. Die Teilnehmer-Plätze sind aufgrund
der Corona-Auflagen begrenzt. Bitte meldet euch zu dem Workshop an per
E-Mail an landauer2020 [at] riseup.net und versucht möglichst alle drei
Teilen wahrzunehmen.

14.11. Teil 1 – Sozialismus als Beziehung zwischen Menschen im Gegensatz
zum Staat

Landauer ist der Ansicht, dass es, damit es zur Revolution kommen kann,
es sich bereits heute sozialistisch zu orientieren und zu organisieren
gilt. In seinem Aufruf zum Sozialismus von 1911 formuliert er diesen
Appell, entfaltet Kerngedanken seines Menschenbildes und umreißt sein
Projekt des kommunitären Sozialismus. Wie lassen sich neue Formen von
Gemeinschaftlichkeit und Individualität denken und praktisch leben?

28.11. Teil 2 – Geschichtsphilosophie, Revolutionsverständnis, Utopie

Die Revolution (1907) ist für Landauer eine Phase des Übergangs, in
welcher die sozialistische Gesellschaft bereits vorweg genommen wird.
Dies hat stark mit seiner Geschichtsphilosophie zu tun, die nicht von
einer Totalität, sondern von unterschiedlichen gesellschaftlichen
Verhältnissen ausgeht, welche parallel zueinander vorhanden sind. Unter
Utopie versteht er keinen fernen Traum, sondern die Tendenz nicht
realisierter Vorstellungen und Konzepte, welche zu allen Zeiten unter
den dominierenden Herrschaftsverhältnissen mitläuft.

12.12. Teil 3 – Transformation und Neustrukturierung der Gesellschaft in
Zwischenräumen

Als Anarchist beteiligte sich Landauer nicht an den politischen
Herrschaftsinstitutionen. Gleichzeitig er äußerte sich zu zahlreichen
politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Fragen seiner Zeit.
Diese paradoxe Rolle bezeichnete er als Antipolitik. In verschiedenen
Beiträgen zum Sozialistischen Bund oder zum Sozialistischen Beginnen
will er mit jenen, die nach alternativen sozialistischen Lebensformen
suchen Durch Absonderung [von der Mehrheitsgesellschaft] zur
Gemeinschaft gelangen und Siedlungen gründen.

VORTRÄGE

10.: Links–Nietzscheanismus. Eine Einführung. Buchvorstellung mit
dem Autor Paul Stephan

Das Buch Links–Nietzscheanismus. Eine Einführung erschien in diesem Jahr
im Schmetterling-Verlag. In der zweibändigen Studie stellt der in
Leipzig lebende Nietzsche-Forscher sowohl wichtige für eine linke
Politik spannende Aspekte von Nietzsches Denken vor (Bd. 1) als auch
seine politische Rezeptionsgeschichte (Bd. 2). Leitend ist dabei stets
die Frage: Was können wir heute für unsere konkrete politische Praxis
von Nietzsche bzw. seinen linken Interpret*innen lernen? Welche Aspekte
sprechen sie an, die in anderen Theorieansätzen wie dem Marxismus oder
einer eher moralischen, von Kant inspirierten Herangehensweise verloren
gehen?

Paul Stephan stellt an diesem Abend einige wichtige Thesen seines Buches
zur Diskussion. Den roten Faden soll dabei das Konzept der radikalen
Gesellschaftstransformation ausgehend von kulturellen ‚kollektiven
Mikrorevolutionen‘ bilden in Form von ‚alternativen Räumen‘, in denen
ein anderes Leben schon im Hier und Jetzt praktiziert werden soll. Die
Idee widerspricht bspw. Konzepten, die sich die radikale Transformation
als einmaligen politischen Umsturz vorstellen oder als das Ergebnis
einer massenhaften individuellen Verhaltensänderung auf Basis
moralischer Besserung oder theoretischer Einsicht. Die Geschichte dieser
Idee reicht bis zu den urchristlichen Agape-Gemeinschaften zurück, doch
lässt sich auch bei Nietzsche selbst auffinden. Auffällig viele
Nietzscheaner*innen griffen dieses Konzept auf – nicht nur in der
Theorie, sondern auch in der Praxis, beispielsweise Gustav Landauer,
Georges Bataille, Michel Foucault oder in jüngerer Zeit die kurdische
Emanzipationsbewegung. Angesichts des drohenden ökonomischen und
ökologischen Kollaps des kapitalistischen Weltsystems könnte dieses
Konzept in der nahen Zukunft eine neue Aktualität erhalten.


10.11.: Für ein neues anarchistisches Bewusstsein!
Broschüren-Vorstellung und Diskussion mit Jonathan Eibisch

Anhand von vier seiner aktuellen Texte stellt Jonathan Eibisch
anarchistische Grundgedanken dar, interpretiert sie und entwickelt sie
weiter. Dabei geht es um die ganz großen Fragen: Wie können Vielfalt
ermöglicht und gleichzeitig Gemeinsames durch konstruktive und
solidarische Auseinsetzungen entwickelt werden? Wie lässt sich eine
autonome anarchistische Theoriebildung ermöglichen? Welche
anarchistischen Organisationsansätze gibt es und wie ergänzen sie sich?
Wie beschreibt die anarchistische Ethik ein gelingendes, reiches,
schönes und erfülltes Leben und motiviert dazu, geteilte Verantwortung
zu verwirklichen.

Der Autor promoviert zur politischen Theorie des Anarchismus, verlässt
mit diesen Texten jedoch bewusst den akademischen Raum.


26.11.: „Ohne Herrschaft – An-archie“ – Gustav Landauers kommunitärer
Anarchismus. Vortrag von Siegbert Wolf mit anschließender Diskussion

Erinnert werden soll – anlässlich von dessen 150. Geburtstag – an den
Anarchisten und Initiator zahlreicher libertärer Projekte Gustav
Landauer (1870-1919), dessen Leben maßgeblich von den Werten der
Freiheit und sozialen Gerechtigkeit bestimmt war.

Als Literaturkritiker, Übersetzer, Roman- und Novellenautor,
Vortragsredner und Essayist, als libertärer Sozialist und jüdischer
Kulturphilosoph, genoss Gustav Landauer hohes Ansehen. Er agierte als
Anti-Politiker, Sprach- und Kulturkritiker sowie Initiator zahlreicher
libertärer Projekte. Er legte als erster eine umfangreiche Übersetzung
der mittelhochdeutschen Predigten des Mystikers Meister Eckhart vor
(1903) und wirkte mit am Hauptwerk Beiträge zu einer Kritik der Sprache
(1901/02) seines langjährigen Freundes, des Sprachphilosophen und
Theaterkritikers Fritz Mauthner (1849-1923). Aus dieser Kooperation
entstand die Schrift Skepsis und Mystik (1903), die zusammen mit der
geschichtsphilosophischen Monographie Die Revolution (1907) und dem
programmatischen Aufruf zum Sozialismus (1911) für das Verständnis von
Landauers Denken und Handeln grundlegend ist.

Was ihn vor allem antrieb, betraf die Unzufriedenheit mit der
autoritären wilhelminischen Gesellschaft und die Suche nach einer
menschlichen Gemeinschaft freier und gleichberechtigter Menschen in
einer dezentralen und föderal vernetzten Welt. Auf sämtlichen
Betätigungsfeldern wird diese Sehnsucht nach einem selbstbestimmten,
frei vereinbarten Miteinander deutlich: Sowohl in dem von ihm 1908
gegründeten Sozialistischen Bund als auch in seiner Rezeption der Dramen
Shakespeares sowie der Französischen Revolution von 1789, in seinen
zahlreichen Vorträgen zur Literaturgeschichte ebenso wie etwa in seiner
Sprachkritik oder in seinem Engagement für eine Regeneration des
Judentums, seinem Antimilitarismus und seiner Mitwirkung an den
revolutionären Ereignissen 1918/19.

Seine ausformulierte Konzeption eines libertären und föderativen
Sozialismus – Stichwort: kommunitärer Anarchismus –, zielt auf eine
herrschaftsfreie Gesellschaft gleichberechtigter und
selbstverantwortlicher Menschen in einer dezentral und föderal
vernetzten Welt. Das exemplarische Beginnen hier und heute ist dabei für
Landauer zentral, um zu einer wirklich freien und gleichberechtigten
Gesellschaft zu gelangen: „Verhältnisse sind das Verhalten der Menschen;
und die Bedingung der Anarchie ist für mich die Überzeugung, dass jeder
Mensch die Möglichkeit in sich trägt, sein Verhalten zu ändern, solange
er lebt.“

Während der Revolution von 1918/19 engagierte sich Gustav Landauer von
München aus für eine freiheitliche Umgestaltung der Gesellschaft.
Unablässig warb er für ein föderatives und dezentrales Rätesystem.
Während der ersten bayerischen Räterepublik im April 1919 agierte er als
„Volksbeauftragter für Volksaufklärung“. Anfang Mai 1919 wurde er im
Zuge der Niederschlagung der Revolution brutal ermordet.