Schlechte Laune, Selbstzweifel, Unzufriedenheit – ja, das können Folgen davon sein, wenn mensch eine saftige Kritik erhalten hat. Was wiederum jene, die sie vortragen nicht unbedingt angeht, weil sie für die Gefühle, die die Kritisierte zu bewältigen hat, nichts können. Würden wir alle in der Musterwelt der kurdischen Autonomiebewegung leben, sollten wir uns über die Kritik von Genoss*innen vermutlich noch freuen, sie als Geschenk annehmen, ja, darum bitten. Davon sind wir weit entfernt. Weit entfernt davon, uns gegenseitig ehrlich, ernst und wertschätzend sagen zu können, was es uns schwer macht miteinander zu sein.
Oftmals sprechen wir auch nicht aus und zeigen zu wenig, was wir aneinander toll und beeindruckend finden. Wenn ich von „wir“ schreibe, meine ich dabei einen diffusen Durchschnitt, den ich wahrnehme und sicherlich nicht empirisch belegen werde. Darunter fallen auch Personen, die Kritik gut üben und annehmen können. Aber auch solche, die entweder vor allem Kritik üben. Oder, die sie häufig auf sich ziehen, weil sie sich selbstzweifelnde Opfer anbieten, an welchem problematische Gruppendynamiken ausgetragen werden.
Doch selbst wenn Letzteres der Fall ist, bleibt auch die Kritik an der Einzelperson berechtigt, wenn sie zutrifft. Das macht solche Angelegenheiten sehr schwierig und undurchsichtig. Denn statt problematische Gruppendynamiken zu durchdringen und aufzudröseln, scheint es immer einfacher, sich einen unbequemen Genossen zu suchen, der verhaltensauffällig ist, weil er soziale Codes nicht beherrscht. In dem Moment, wo gesagt wird, das nicht gelästert werden soll, wurde schon viel gelästert. Übrigens können die Punkte, welche die Kritisierenden vortragen, genauso auf sie selbst zutreffen. Wenn es beispielsweise um die Frage geht, wer sich wie mit eigenen Vorstellungen durchsetzen würde und nicht kompromissbereit wäre. Kritik üben ist, ist somit für die Kritisierenden teilweise auch eine Funktion zur psychischen Entlastung, gelegentlich eine Projektion ihrer eigenen Widersprüche und Schwierigkeiten.
Doch auch wenn das so ist, ändert dies nichts an der vorgetragenen Kritik, wenn diese berechtigt und begründet ist und auf eine faire Weise vorgetragen wird. In diesem Zusammenhang kann kritisiert werden tatsächlich eine befreiende Wirkung auf die kritisierte Person haben. Endlich reden Menschen so weit es ihnen möglich ist, ehrlich mit ihr. Sie ist angehalten zuzuhören statt mit Abwehrreflexen zu reagieren, eigene Anschuldigungen vorzubringen, Ausflüchte oder Erklärungen zu suchen. Doch in ihrem Zuhören wird sie ernst genommen und erhält die Möglichkeit, ihr Verhalten zu verändern. Dabei geht es nicht darum, bessere Menschen zu werden. – Mein Gott, wir sind keine heuchelnden Christ*innen! – Sondern darum, überhaupt und am besten gut miteinander sein und tätig sein zu können.
Gut wäre, besser wäre, wenn wir uns gegenseitig sagen können, was uns stört und wir aneinander schwierig finden. Ja, das kann den Beigeschmack moralischer Überlegenheit haben, gerade wenn es um Diskriminierung, Awareness und Positionierungen geht. Den Moralismus wiederum werden wir ebenfalls nur mit der schrittweisen Überwindung des bürgerlichen Subjektes los, welches sich durch Abgrenzung, Aufspaltung, Eigentum und Selbstbezüglichkeit konstituiert. Dafür braucht es andere gesellschaftliche Verhältnisse. Aber auch das ändert nichts daran, dass wir ebenfalls an uns selbst arbeiten müssen, um miteinander sein und tätig sein zu können. Es bleibt schwierig mit dem Kritik üben und annehmen. Da kann es einem schon mal schwer werden. Schwerer allerdings ist es, wenn wir nur seichte Kumpels, distanzierte Genoss*innen, entfernte Bekannte bleiben, die dann doch nur als Masse oder Eigenbrötler*innen agieren können, statt nach Affinitäten Gefährt*innen werden zu wollen.