Kneipenabend

Lesedauer: 3 Minuten

Ein wirklicher Kneipengänger war ich nie. Ursprünglich lag es am mangelnden Geld, was ich in Kneipen hätte verprassen können. Stattdessen trafen wir uns früher in der Straße und an alternativen Locations. Nachdem in meinem Leben etliche Biere die Kehle runtergeflossen sind, fand ich mich zuletzt doch immer mal wieder in einer Kneipe wieder. Vielleicht einfach, weil Winter war und ich trotzdem abends raus musste. Vielleicht aus Verzweiflung, vielleicht auch aus Neugier, wer weiß. Was ich auch immer schlecht ertragen habe war der Lautstärkepegel in Kneipen, welcher bekanntermaßen mit dem Alkoholpegel korreliert. Das kann anstrengend sein. Mittlerweile beobachte ich aber mehr und das hilft etwas, den Lärm besser auszuhalten. Wohingegen ich Zigarettenqualm inzwischen nicht mehr gut ab kann. Ich werde alt. Oder jung. Oder anders. Jedenfalls übe ich mich immer noch im Kneipensetting.

Neulich landete ich völlig ungeplant in einer Kneipe. Ein Spaziergang endete auf relativ abrupte Weise dort und ich dachte, an dieser Station könne ich nicht vorbeiziehen. Warum auch immer. Da es voll war setzten wir uns an den Tisch eines älteren, besoffenen Herren. Nachdem mein Freund gegangen war, begann dieser mir ins Gewissen zu reden. So in die Richtung blabla, irgendwas, wie Frauen sich verhalten, warum ich keine Freundin hätte und so ein Gefasel. Ihm ging es offenbar nicht so gut. Mir ging es auch nicht so gut. Aber deswegen labere ich halt nicht so eine Altherren-Scheiße (jetzt mal völlig unabhängig vom Alter…). Irgendwann kommentierte er, ich hätte ihm ja jetzt schon viel von mir erzählt. Vermutlich ist er es nicht gewohnt, dass fremde Leute mit ihm halbwegs vernünftige und ehrliche Gespräche führen. Als der Typ mir zu lästig wurde, lehnte mich zurück und setzte mich wieder ins Fenster, um weiter beobachten zu können; um meine Rolle als einsamer Wolf, also potenzieller Psychopath, spielen zu können.

Ich war wirklich überrascht, wie viele Leute montags zum Saufen und Labern hierher kommen. Offensichtlich waren auch einige Dates im Gange – ob das den Beteiligten jeweils bewusst bzw. von ihnen geplant war, kann ich nicht einschätzen. Ein süßes Pärchen war super jung und in einem trendigen alternativen Stil gekleidet. Vermutlich waren schon ihre Eltern coole Linke, am Puls der Zeit, mit aller politischen Korrektheit gewaschen. Keine Ahnung, ich habe keinen Zugang zu diesem Milieu und werde es nie haben. Ungefähr im selben Alter kreuzte noch später dann ein Dreiergespann auf. Er: schriller rosa Pulli, breites Grinsen; Sie: Wie das Abziehbild einer Barbiepuppe und blonde, glatte Haare; Er: Der Kumpel von beiden, sicherlich als eine Art Anstandstyp mit am Start und das es nicht zu langweilig wird. Drei US-amerikanische Highschool-Kids auf ihrer Grandtour durch Europa. Viel zu reiche Kinder von Managern, Bankern, Chirurgen oder Anwälten. Auf jeden Fall extrem befremdlich in ihrem Äußeren und ihren Verhaltensweisen, die an Wachspuppen erinnerte.

Ich holte mir noch ein Bier um das besser verarbeiten zu können. Der einsame Muskelprotz hinten rechts an der Wand starrte immer wieder auf sein Handy, überspielte dann wieder seine nervöse Art. Als dunkelhäutiger Mensch in Kartoffelland ist es wahrscheinlich oft nicht so einfach. Dann kamen zwei Freunde vorbei, setzten sich zu ihm. Doch waren sie wohl schon auf dem Heimweg und verließen ihn nach 20 Minuten wieder. Ich ging aufs Klo und nahm den leicht eingerissenen Anarchie-Sticker wahr. So falsch konnte ich nicht sein und dennoch fragte ich mich, was ich hier tue und suche.

Nach und nach löste sich der Freundeskreis linker Hand auf, an der Bar waren drei Zweiergespräche im Gang und alles murmelte sich ein. Mit Schwung betrat ein nerdiger, großer Mann mit Reiserucksack die Kneipe, sichtlich aufgekratzt und/oder auf Drogen. Er setzte sich zu den beiden Freundinnen weit hinten, die sich davon aber nicht irritieren ließen. Möglicherweise war die eine eher irritiert davon, dass ich ihr zuvor bereits Blicke quer durch den Raum zugeworfen hatte – ohne es währenddessen selbst zu realisieren.

Eine Bekannte hatte eine Weile in dieser Kneipe gearbeitet. Und den Job geschmissen, weil er auf die Dauer verdammt anstrengend ist, was ich mir gut vorstellen kann. Eine letzte Runde wurde ausgerufen. So gesellte ich mich zu dem kleinen langhaarigen Mann portugiesischer Herkunft an der Bar. Er hatte schon einiges gesoffen und sich die Schlierigkeit wieder gerade gezogen. Klar, Montagabend beginnt die Woche eben erst. Wir begegneten uns freundlich und verließen die Kneipe gemeinsam. Doch der Späti gegenüber hatte schon geschlossen. Glücklicherweise, muss ich wohl sagen, und eierte zerstreut nach Hause. Ich bewundere die Menschen, die nach so einem Abend morgens wieder um sieben zur Arbeit fahren können. Und ich bedauere sie, dass sie es müssen. Und ich, ich muss mich wiedermal in einer neuen Lebensphase verorten. Das strengt an.