Toll! Endlich ist der neue Verfassungsschutzbericht des Innenministeriums veröffentlicht worden. Darin finden sich wieder allerlei Märchen, die hauptsächlich fünf Zwecken dienen: 1. zu Bürger*innen zu erschrecken, 2. die gesellschaftliche Linke insgesamt zu diskreditieren, 3. linke Bewegungen zu spalten, 4. „linken“ und „rechten“ Radikalismus gleichzusetzen, 5. die bestehende Herrschaftsordnung, ihre Institutionen und Trägerinnen als angeblich „ideologiefrei“ zu labeln und schließlich 6. die vermeintliche „Arbeit“ dieses obskuren Vereins von Voyeur*innen auf Biegen und Brechen zu rechtfertigen.
All diese Gründe wären schon ausreichend, um auf eine Abschaffung des VS hinzuwirken. Wie ihr wisst kommen aber die bekannten und unbekannten Verstrickungen von VS-Mitarbeiter*innen mit handfesten Faschistinnen hinzu. Über Jahrzehnte flossen so Staatsgelder in neonazistische Gruppen, wurden der NSU finanziert, Akten über Faschos geschreddert, Gewalttaten von Nazis gedeckt. Es gibt nur eine sinnvolle Antwort auf die kruden Machenschaften dieses Ladens und die liegt in seiner Abschaffung.

Linksradikalen Personen kommt bisweilen ein Lachen über die scheinbar naiven Formulierungen, welche dort auftreten. Dies sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der VS-Bericht nicht für die vermeintlichen „Linksextremist*innen“ selbst geschrieben ist, mit denen staatliche Vertreter*innen – oftmals im Unterschied zu Nadelstreifen-Nazis – ja gar nicht reden wollen. Der Bericht stellt nur ein lächerliches Papier zur Rechtfertigung der
Inlandsgeheimdienst-Tätigkeiten dar.
Das eigentliche Wissen des VS umfasst Millionen von Fotos, Kontaktdaten und Adressen von Personen und wird durch Internet-Recherche, verdeckte Ermittlungen und technische Beobachtungen erworben.
Zur Funktion des VS-Berichtes ist folgendes zu sagen:
zu 1.) Der VS-Bericht dient dazu, Bürger*innen aufzuzeigen wie schlimm schlimm linke Ideologien jeglicher Ausrichtung wären. Mit ihm wird ein Bild von als legitim erachteten Bürger*innenbewegungen in Abgrenzung zu den „Linksextremist*innen“ gezeichnet. Die hier aufgemacht Trennung ist der reinste Unsinn, denn er spricht Bürger*innen ab, überhaupt eine systemkritische Haltung entwickeln zu können oder wollen. Gleichzeitig wird behauptet sogenannte „Linksextremist*innen“ würden diese legitimen Bewegungen lediglich unterwandern und instrumentalisieren. Stattdessen besteht jede wirkliche soziale Bewegung immer aus unterschiedlichen Flügeln, die sich wechselseitig respektieren und unterstützen.
zu 2.) Der VS-Bericht dient zur Spaltung der gesellschaftlichen Linken, weil er gemäßigten und reformorientierten Linken Angst vor Beobachtung und medialer Ausgrenzung einjagen soll. Weiterhin sollen diese daran glauben, etwa „Autonome“ würden pauschal „Gewalt“ als Selbstzweck anwenden und jedes vernünftige politische Anliegen diskreditieren. Dieses Bild zu zeichnen gelingt zum Glück nur ziemlich schlecht, da die Realität eine andere ist, als der VS sich imaginiert.
zu 3.) Linke und linksradikale Bewegungen werden klassischerweise anhand der Haltung zur „Gewalt“ gespalten. Dass Institutionen, die strukturell auf Gewalt gründen und sich das Gewaltmonopol aneignen, nicht sinnvollerweise über die Definition dessen entscheiden können, was Gewalt überhaupt ist, hat bereits Walter Benjamin in seinem Aufsatz „Zur Kritik der Gewalt“ (1921) beschrieben. Die Definition von „Gewalt“ (und vielen anderen politischen Kampfbegriffen) ist selbst eine, die nicht neutral geschieht, sondern eine Auseinandersetzung darstellt. Militantes Handeln gehörte seit je her zu allen wirkmächtigen sozialen Bewegungen hinzu, auch wenn die Gründe dafür vielfältig waren und sind. Militanz ist jedoch nicht mit „Gewalt“ gleich zu setzen, sondern bedeutet in erster Linie, eine konfrontative Grundhaltung zur nationalstaatlich-kapitalistischen, patriarchale und Natur-zerstörenden Herrschaftsordnung einzunehmen. Und sich damit bewusst außerhalb dieser zu stellen, um sie radikal in Frage stellen zu können. Vor allem ist jene „Gewalt“ von der im VS-Bericht zu lesen ist, in den seltensten Fällen ansatzweise mit jener von Faschist*innen jeglicher Coleur zu vergleichen, für welche die Vernichtung ihrer Feinde und Andererseiender zum festen Bestandteil ihres Weltbilds gehören.
zu 4.) Erst nach der Ermordnung von Walter Lübke am 1.06.2019, dem Anschlag von Halle am 9.10.2019, dem Anschlag von Hanau am 19.02.2020, als auch der Beobachtung einer zunehmenden Bewaffnung von und Organisierung militaner Nazis, Reichsbürger*innen und anderer Faschist*innen, sowie der gelungenen Bekämpfung des islamistischen Terrors, kommt das deutsche Innenministerium zum erstaunlich Schluss, dass vom Rechtsextremismus inzwischen die größte Gefahr für die innere Sicherheit der BRD ausgehe.
Ja, es gab auch in den letzten Monaten einige Razzien bei Reichsbürger*innen und Neonazis, ein verdeckter Ermittler hob ein sich bildendes militantes Netzwerk aus, den KSK-Soldaten wird (wenn auch nicht direkt vom VS, sondern vom MAD) auf die Finger geschaut. Dennoch besteht die Funktion des VS-Berichtes nach wie vor in der prinzipiellen Gleichsetzung der verschiedenen „extremistischen“ Strömungen.
Das Weltbild von rassistischen, antifeministischen und antisemitischen Menschenfeinden beruht grundlegend auf der Vernichtung ihrer Gegner und verhasster Personengruppen und diese sind bei Gelegenheit auch bereit, zu töten. Dies wird dabei implizit damit gleichgesetzt, dass Menschen sich z.B. in einer anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaft organisieren, auf Antifa-Demos gehen, direkte Aktionen im Zuge von Mietkämpfen machen, Häuser besetzen oder die Kohleförderung blockieren.
5.) Die vielfache Benennung von radikalen Strömungen und Gruppierungen sowohl rechts, links, als auch islamistisch, ausländerkriminell und – jetzt neu: – reichsbürgerlich als „ideologisch“ stellt eine Strategie dar, die Legitimation des mehr oder weniger demokratischen Kapitalismus, als auch den medialen Diskurs in diesem, als angeblich „ideologiefrei“ zu behaupten. Dabei handelt es sich bei vielen Grundannahmen, von denen ein Großteil der Bevölkerung mangels Aufklärung und Selbstreflexionsmöglichkeit ausgehen muss, um wesentlich ideologisch geprägte Vorstellungen.
Dazu zählt der Glaube an die Ursprünglichkeit des Nationalstaates wie auch der bürgerlichen Kleinfamilie, welche erst seit ca. 200 Jahren in dieser Form existieren und weltweit durchgesetzt wurden. Dazu zählt ebenso die kapitalistische Leistungsideologie, mit der Menschen in ihrer Würde auf einen Geldwert reduziert werden und sie für die Lebenssituationen in denen sie sich befinden, rein individuell verantwortlichen gemacht werden. Ideologie ist der Glaube daran, dass es böse Extremist*innen rechts und links gibt, während eine konstruierte „Mitte“ für den offenen und freien Diskurs stünde – der sich ganz ohne Wirtschaftsinteressen und Machtverhältnisse vollziehen würde.
zu 6.) Die Arbeit des VS ist durch keine vernünftigen demokratischen Gründe zu rechtfertigen. Weder wird die Demokratie durch diese Fanatiker*innen verteidigt, noch ist der VS ein Mittel, welches irgendwie dazu dienen könnte, eine egalitäre, solidarische und freiheitliche Gesellschaft anzustreben. Es handelt sich um einen Staat im Staate, welcher parlamentarisch dadurch „kontrolliert“ wird, dass er jedes Jahr einen bescheuerten Bericht rausbringt – in welchem die Zahlen der organisierten Extremist*innen und ihre Gewalttaten selbstverständlich immer ansteigen.
Als linksextremistische Straftat kann dabei durchaus schon mal eingestuft werden, wenn sich jemand der Festnahme in einer aufgeheizten Demosituation widersetzt. Es gibt zwar ein „Parlamentarisches Kontrollgremium des Bundes“, doch dass die VS-Mitarbeitenden dort voll umfänglich aussagen und ihre Dokumente ungeschwärzt einsehen lassen, ist kaum vorstellbar. Manche Dinge möchte ein Abgeordneter sicherlich auch nicht so genau wissen…
Nun noch einige Bonmots aus dem Bericht:
Sitz der gesamten FAU ist – laut Homepageinfos – Jena. Sie hätte 800 Mitglieder von denen alle Anarchist*innen sind. Alle anderen Anarchist*innen sind aber keine. Entweder sie sind nicht-gewaltbereit (= in der Logik des VS: langweilig) oder Autonome. Hier gilt es zu unterscheiden, denn anders „als Autonome streben Anarchisten daher nicht nur die Schaffung von „Freiräumen“ innerhalb einer gegebenen Staatsform an. Stattdessen sollen Nationalstaaten ebenso überwunden werden wie die darin etablierten Herrschaftsformen – einschließlich der freiheitlichen Demokratie.“ (S. 120)
Man fragt sich durch irgendwie, warum das ein Widerspruch sein soll. Muss ich mich wirklich entscheiden, ob ich selbstverwaltete Räume erkämpfen oder Nationalstaaten abschaffen will?
Da sieht der VS selbst nicht so richtig durch. Das einzige, was bleibt ist die Unterscheidung, ob die*der Linksextremist*in schon zur Gewalt gegriffen hat (oder sich noch in Ausbildung oder bereits im Ruhestand befindet):
„Charakteristisch für die linksextremistische Szene ist ihre ausgeprägte Heterogenität. Diese zeigt sich im Hinblick auf die verschiedenen ideologischen Ausprägungen, den Organisationsgrad, die bevorzugten Aktionsformen sowie das Verhältnis zur Gewalt. Anhand der Einstellung zur Frage, ob Gewalt derzeit ein konkretes, legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele ist, lässt sich die linksextremistische Szene in zwei Lager teilen – in gewaltorientierte und nicht gewaltorientierte Linksextremisten.“ (S. 116)
Die Gewaltbereitschaft der „Linksextremist*innen“ wird vermutlich auch deswegen so vehement betont, weil wir sonst nicht so viel gebacken kriegen. Das hat auch der VS erkannt:
„Der einem niedrigen Organisationsgrad innewohnende Mangel an Verbindlichkeit und Kontinuität erschwert jedoch das Initiieren eines effektiven und nachhaltigen revolutionären Aktes.“ (S. 118)
Deswegen haben ein paar von ihnen mal nachgedacht, wie sie mehr werden und die legitimen Bürger*innenbewegungen unterwandern können:
„Postautonome entwickeln diese strategischen Überlegungen weiter und rücken die Vernetzung mit nicht extremistischen Gruppen und Akteuren ins Zentrum ihres politischen Handelns.“ (S. 119)
Doch dies sollte nicht über ihre eigentliches Anliegen hinwegtäuschen: Gewalt als Selbstzweck. Wenn sich die*der Linksextremist*in nicht beherrschen kann, findet sie*er immer wieder mutigen Zuspruch und Verständnis:
„Die weit überwiegende Mehrheit der dogmatischen Linksextremisten ist als nicht gewaltorientiert einzustufen. Dennoch wird auch in diesem Spektrum die aktionsorientierte Zusammenarbeit mit gewaltorientierten Linksextremisten zunehmend befürwortet.“ (S. 123)
Das sieht man ja auch immer wieder, zum Beispiel in diesem besonders schweren Fall:
„In der Nacht zum 1. Januar 2020 griffen etwa 20 Autonome im Leipziger Stadtteil Connewitz die Polizei massiv mit Steinen und Pyrotechnik an. Ein Polizeibeamter wurde dabei gezielt mit Schlägen und Tritten gegen den Kopf angegriffen und so schwer verletzt, dass er operiert werden musste.“ (S. 133)
Egal, ob es viele der Anwesenden die Situation genau andersherum beschreiben, nämlich von einem ziemlich brachialen Überfall der Bullen auf eine relativ lässig herumstehende Menge berichten, die lediglich einen kleinen karnevalesken Einkaufswagen bewunderte… Egal, ob der betroffene Cop, einfach nur eine kleine Naht am Ohrläppchen brauchte. Dem VS ist es einfach egal, was dort und in vielen Fällen tatsächlich passiert. Durch ihren Bericht wird es Wahrheit. Ohne die Gewalt, welche die Polizei provoziert, hätte sie kaum Gründe gegen Linke vorzugehen.
Eines der wichtigsten Aktionsfelder ist und bleibt selbstverständlich der Antifaschismus. Das gilt auch, wenn jetzt Alibi-mäßig der AfD-„Flügel“ und Teile der „Jungen Alternative“ als „Verdachtsfälle“ eingestuft werden. Im Antifaschismus sind Logos wichtig, lesen wir im
Bericht: „Da es sich bei der „Antifa“ nicht um eine verbotene verfassungswidrige „Organisation“ handelt, ist auch das Verwenden des „Antifa“-Symbols nicht strafbar im Sinne des § 86a Strafgesetzbuch. Dennoch findet es insbesondere im gewaltorientierten Linksextremismus breite Verwendung.“ (S. 120)
Ja, leider kann der VS „die“ Antifa (noch) nicht verbieten lassen, wie es AfDler*innen hierzulande und Trump gerade in den USA fordern. Die Frage stellt sich allerdings: Warum verwenden Linksextremist*innen denn das Antifa-Logo. Es ist doch gar nicht strafbar! Warum sollten sie ein Symbol verwenden, was nicht strafbar ist, das ist doch dann gar nicht extremistisch??? Das „Dennoch“ dieses Satzes ist eine üble logische Fehlkonstruktion, welche zwar auf bescheidene Denken der Mitarbeitenden dieser „Behörde“ verweist, umso mehr jedoch deren ideologische Verbohrtheit aufdeckt: Am liebsten würde sie nämlich allen identifizierten „Extremist*innen“ einen Stempel auf die Stirn drücken, damit jede*r sehen kann, wo die Feinde der freien und offenen Gesellschaft (d.h. ihrer rechtsnationalen Geheimgesellschaft) herumlaufen.
So viel dazu. Um im Bericht aufzutauchen reicht es nun aber nicht zu fordern, dass die Linkspartei den VS auf parlamentarischen Wege das Wasser abgraben solle. Es müsste schon die Aufforderung ausgesprochen werden, dass Menschen dies in ihre eigenen Hände nehmen müssen…