Gedanken zur Anti-Hegemonietheorie

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Zum Beitrag vom 4.11., der anti-hegemonialen Hegemonietheorie von Richard Day schickte mir Traks Guérin einige weitere Überlegungen. Darin geht es im hauptsächlich darum, die Hegemonietheorie als analytisches Werkzeug zu retten. Jens Kastner schrieb an einer Stelle („Begegnung feindlicher Brüder“), es gälte die theoretische und politische Dimension dieser (und sicher auch anderer) Theorien auseinander zu halten. Aus einer bestimmten Analyse folgt eben nicht zwangsläufig eine bestimmte Handlungsstrategie, sondern können verschiedene Schlüsse gezogen werden. Dahingehend würde ich ebenfalls sagen, dass die Hegenomietheorie viel dazu beitragen kann, ein fundiertes Verständnis von politisches Prozessen zu entwickeln. Antonio Gramsci selbst trat dabei im Unterschied zu Anarchist*innen zweifellos dafür ein, dass Ziel der Gewinnung von Hegemonie auch die Übernahme der Staatsmacht durch die kommunistische Partei sein sollte, welche dafür in den sozialen Bewegungen führend werden müsste. Insgesamt liegen Traks Guérins und meine Ansichten dazu nicht weit auseinander. Sie laufen darauf hinaus, zu thematisieren, wie auch mit anarchistischen Bestrebungen eine Selbstermächtigung von verschiedenen ausgebeuteten und unterdrückten Gruppen gelingen und diese sich in ein gemeinsames Projekt auf Augenhöhe assoziieren können.

Replik zur Anti-Hegemonietheorie

Fangen wir von vorne an: Die erste These ist, das nach der Hegemonietheorie
kommunistische Parteien über den Weg der Hegemonie (= „Zustimmung +
Zwang“) die Staatsmacht übernehmen sollen. Das mag die leninistische
interpretation sein, ist jedoch explizit nicht, was die Perspektive für Gramsci
ist. In den Gefängnisheften versucht Gramsci die gesellschaftlichen
Kräfteverhältnisse der 1920er Jahr in Italien theoretisch aufzuarbeiten und
Perspektiven für eine Revolution aufzuzeigen. Das Konzept der Hegemonie
dient dazu, zu beschreiben wieso eine Revolution bisher nicht erfolgreich war.
Mit Hegemonie bezeichnet Gramsci den Zusammenhang von Klasse und Staat,
als Konzept wie Führung und Herrschaft in der Moderne funktioniert. Dabei
fungieren Konsens (nicht gleichzusetzen mit Zustimmung!) und Zwang als zwei
zentrale Mechanismen, welche eine Hegemonie, oder die Herrschaft einer
Partei/Fraktion/Klasse, aufrechterhalten.

Konsens bezieht sich auf jene Gruppen, welche Aktiv sich für eine gewisse
„Führung“ aussprechen (zum Beispiel ein FDP-Neoliberalismus), all jene,
welche über Kompromisse und Versprechen diese Führung mittragen (in der
BRD häufig die SPD), aber auch alle, welche nichts dagegen tun. Zustimmung
unterteilt sich dabei nochmal in den aktiven Konsens, also die aktive
Zustimmung, welche in Krisenzeiten schnell mal abnimmt, und den passiven
Konsens (entspricht der: „Wir können eh nichts ändern“ Mentalität). Solange
der passive Konsens in einer Gesellschaft existiert, ist ein Systemwechsel nicht
wahrscheinlich. Der Zwang bezeichnet verschiedene, gewaltvolle, Mittel.
Polizei und Justiz dürften offensichtliche Beispiele sein, aber martialische
Parteiverbände (wie die SA, oder die Proud Boys) und ähnliche Erscheinungen
dürfen getrost dazu zählen. Wenn der Konsens bröselt, braucht es mehr
Zwang für den Herrschaftserhalt und wenn der Konsens stabil ist weniger.

Mit dieser Analyse lassen sich Bedingungen einer revolutionären Organisierung
aufstellen, mit dem Ziel überhaupt das Potenzial zu haben diese Hegemonie
zu durchbrechen. Dies wird gerne als Gegenhegemonie bezeichnet (Ein Begriff
der ganz am Ende der Rezension erst erscheint). Für die kommunistische
Bewegung, so lässt sich Gramsci interpretieren, ist es notwendig ein
Gegenhegemoniales Projekt zu werden, d.h. unter Berücksichtigung was eine
Hegemonie ist, diese auf allen Ebenen anzugreifen, in den Institutionen des
Staates, in der Zivilgesellschaft, in der Produktion und gegen Polizei, Militär
und Sicherheitsfirmen. Nur über den langwierigen Aufbau eines gemeinsamen
Projekts, der gesamtgesellschaftlich eine Alternative darstellt, kann die aktive
Zustimmung zu dieser Alternative in der Gesellschaft steigen, die Hegemonie
zum Einstürzen gebracht werden und schließlich durch die Überwindung ihrer
Zwangsmethoden zerbrochen werden. Um erfolgreich zu sein, und nicht durch
Reformen, Einbindung und Repression zu scheitern, muss dabei immer ein
antoganistisches Verhältnis zur Hegemonie als ganzes existieren.

In dem Moment in dem ein gegenhegemoniales Projekt gewinnt, übernimmt es
logischerweise die Herrschaft (es hat nun den Konsens hinter sich, und erst
mal die stärkeren Zwangsmittel). Das bedeutet für Gramsci, dass das
Interessenbündnis dahinter nun sich an der Lösung aktueller gesellschaftlicher
Probleme macht, den diese sind der Antrieb für solche vorhaben
beziehungsweise der Faktor, welche Zustimmung überhaupt generieren.
Logischerweise entsteht aber auch immer gegen die neue Herrschaft
Widerstand, und evtl. ein gegenhegemoniales Projekt.

Die Theorie dient dazu, zu zeigen wie Herrschaftswechsel als Systemwechsel
in modernen Gesellschaften funktionieren, um die eigene Strategie
anzupassen. Für Gramsci war also klar, das eine (revolutionäre) Linke
Bewegung, mit dem Ziel die kapitalistische Produktionsweise mit einer
kommunistischen Assoziation freier Menschen zu ersetzen, auf die Suche
machen muss nach Verbündeten, darauf setzen muss die breite Masse der
Gesellschaft zu überzeugen, sich auch im Kulturbereich ausbreiten muss,
immer im klaren Antagonismus sich positionieren muss und auch sich
entsprechend wappnen muss dem Militär und der Polizei erfolgreich
entgegenzutreten um sich gegen die dauerhaft anpassende kapitalistische
Hegemonie irgendwann durchzusetzen.

Es stimmt also, wie in der Rezension steht, das eine hegemoniale Orientierung
nur das bestehende Projekt stützt, aber das ist eben nicht, was die
Schlussfolgerung der Theorie ist. Die Hegemonietheorie soll eben jene
Einbindungsmechanismen offenlegen, welche so häufig Sozialist*innen zu
Mitträgern kapitalistischer Projekte machen konnten. Ob es möglich ist als
staatliche gefasste Partei oder liberale Bewegung gegenhegemonial zu
werden? Garantiert nicht von sich aus. Ob sie Verbündete in solch einem
Projekt sein könnten? Garantiert, unter entsprechenden Voraussetzungen.

Tatsächlich entsteht bei Erfolg, eine linke Hegemonie. Ob diese jedoch
staatlich gefasst ist, oder den staat durch eine andere Organisierungsform
ersetzt, ist offen. So könnte auf eine monarchisch-kapitalistische Hegemonie
eine demokratisch-kapitalistische Folgen, die wiederum durch eine anarcho-
kommunistische ersetzt wird im Laufe der Jahre (genau das haben wir Anfang
des 20 Jahrhunderts in Spanien gesehen). Praktisch hat sich historisch die
kapitalistische Häufig wieder durchgesetzt, und solche Projekte mit Zwang
beendet.