Eindrücke von der anarchistischen Buchmesse in Mannheim

Lesedauer: 4 Minuten

Es ist so leicht ein Buch zu veröffentlichen. Und gleichzeitig so schwer, wenn man nicht weiß, wo man damit eigentlich hin und an wen man sich richten will. Es einfach sein lassen mit der akademischen Karriere, weil die ja eh sinnlos und eine Illusion ist? Oder sich die Wege offen halten, in den sauren Apfel beißen, dem entsprechenden Verlag die Kohle in den Rachen werfen? Tja, das sind eben Fragen über Fragen, die mich bewegen. Und einige Anregungen dahingehend habe ich auch von einem integren Verleger im Zwiegespräch erhalten. Denn es ist nun mal nicht so, als wäre alles heile im Anarch@-Wunderland. Das lässt sich leider nicht sagen.

Mehr das Gemeinsame suchen als das Trennende, habe ich mir dennoch vorgenommen. Dass diesmal keine „Insus“ am Start waren macht es das leichter? Ja und nein. Vom Publizieren kommen wir sicherlich allein nicht zur Revolte. Insbesondere, wenn wir uns damit vor allem selbst bespaßen. Und das betrifft wohl genauso jene Gruppe, die eher seriös-trockene Klassiker*innen präsentieren, als den DIY-/Punk-/Szene-Versand, der sich ebenfalls auf sein Klientel bezieht. Beziehen muss. Die Frage, was für Publikationen eine anarchistische Szene braucht, hat z.B. schon Johann Most in einem Beitrag besprochen. Auch er war unzufrieden mit der Gesamtsituation und hatte wie ich super schlaue Vorschläge, wie man alles besser machen könnte. Respektive, was die anderen besser machen sollten. Eine fundierte anarchistische Theoriezeitschrift fehlt zum Beispiel.

Krieg und Frieden. Tja, war nicht so leicht auf der Buchmesse, wo die Graswurzelrevolutionär*innen ihren 50sten Geburtstag gefeiert haben – was ihnen meinerseits herzlich gegönnt sei. Schwierig aber, wenn Personen nicht nachvollziehen können, dass es sich gegen Russland als Manifestation eines globalen Aufstiegs des Faschismus zu wehren und aufzubegehren gilt. Hundert Milliarden für die deutsche Aufrüstung und den damit verbundenen Militarismus der europäischen Gesellschaft hin oder her. Selbstverständlich ist das beschissen und keine unserer Forderung, keine Frage. Aber direkte Hilfe, Unterstützung und eben gerne auch Waffen für unsere Genoss*innen in der Ukraine, die es sich verdammt noch mal nicht ausgesucht haben, gegen das paranoide Putin-Regime kämpfen zu müssen – das muss doch drin sein.

Debatten im entsprechenden Kontext sind jene zwischen verschiedenen ideologisch-weltanschaulichen Überzeugungen. Aber auch solche zwischen Generationen. Und das ist spannend, denn nach wie vor bin ich der Ansicht, es wäre sinnvoll und erforderlich, eine Form zu finden, um die kontroversen Standpunkte im Anarchismus respektvoll und auf Augenhöhe auszudiskutieren. Nicht, damit wir unterm Strich alle einer Meinung sind. Diese Gefahr besteht sicherlich nicht! Sondern, damit wir gemeinsam im Verständigungsprozess weiter kommen und vor allem auch gemeinsame Kämpfe führen können, anstatt uns ins Grabenkämpfen zu verlieren. Alles nicht so einfach, ich weiß. Aber einen Versuch wäre es – auch bei einem nächsten Mal – wert. Zu den plattformistischen Anarcho-Kommunistischenn habe ich mich dann allerdings nicht getraut. Meinerseits fehlte der Anlass. Ihrerseits waren sie halt zu adrett und straight. Obwohl sie’s mehr als alle anderen sind, haben sie glaub ich wenig Verständnis für die lost boys, die zu ihrem freien Fall stehen.

Dann habe ich auch selber etwas vorgetragen. Ich fand mich recht lustig, aber das auch, um zu überspielen, dass ich erst nicht so Bock hatte und das Ganze schon fast einen Arbeitsatmosphäre angenommen hatte für mich – was es unter Genoss*innen nicht sein sollte, denn blöderweise habe ich so viele lieb, auch wenn ich das schlecht zeigen kann. Und ich damit vermutlich wiederum meine Unsicherheiten überspiele. Ja Mist, viel zum Nachdenken über mich selbst wieder dieser Tage. So ist es halt manchmal. Warten wir nen Sommer, vielleicht wird’s besser. Vielleicht brauche ich nen Job, vielleicht sollte ich publizieren, vielleicht kommt eine Prinzessin oder ein Prinz, mich zu erlösen vom romantischen Jammertal – who knows.

Letztendlich war es toll, mal wieder ein paar Menschen zu begegnen, die ich gefühlt einige Jahre nicht mehr gesehen habe. Toll, toll, toll. Gute Menschen, super Kämpfer*innen auf ihre je eigene Weise. Schade auch von den verschiedenen Konflikten in unterschiedlichen Städten zu hören. Verdammte Axt, die Pandemie-Situation hat es für viele lokale Zusammenhänge echt nicht einfacher gemacht. Und zwar gar nicht mal wegen dem Thema Corona selbst unbedingt, sondern weil die mitlaufenden Aggressionen, die diese Gesellschaft hervorbringt, eskalierten. Bei maximal schlechter Gesellschaftskritik wird das Misstrauen auf die Nächsten projiziert – statt an den objektiv eindeutigeren Verursacher*innen der sozialen Misere, in welche uns das Seuchen-Management gebracht hat.

Schwierig, schwierig, schwierig. Und ich mittendrin. Mitten in den Büchern und so. Hatte gar keinen richtigen Blick dafür. Liegt wohl wiederum an der professionellen Distanz zu den Sachen. Tatsächlich habe ich nur ein Buch erworben. Und zwar von Ulrich Klemm, „Anarchisten als Pädagogen“. Nicht, das uns die Pädagogik retten würde. Vielleicht dachte ich beim Kauf aber daran, dass sie es auch nicht schadet, auf die nachfolgenden Generationen zu setzen. Bis ans Ende des Jahrtausends gebe ich der Menschheit, um weitgehend libertär-sozialistische Verhältnisse zu erkämpfen. Ich denke, das ist eine realistische Einschätzung, für die wir nun leider wiederum nicht auf historische Gesetzmäßigkeiten setzen, sondern im Hier&Jetzt kämpfen müssen.

Nun ja und da waren auch zwei Personen, zu denen ich einen guten Draht hatte, wie ich finde. Ich habe nicht noch mal nachgefragt. Muss ich bei der nächsten Gelegenheit machen. Klar, wir reagieren alle ganz unterschiedlich aufeinander. Aber in meiner offenen Verschlossenheit habe ich doch plötzlich sehr aufgehoben gefühlt, bei unserer Begegnung, bei unserem Gespräch. Lief ich früher von Vortrag zu Vortrag, um fleißig die Inhalte aufzusaugen und sicherlich auch in der Hoffnung auf ein anschließendes Gespräch im kleinen Grüppchen, finde ich mich plötzlich meistens vor der Tür stehend wieder – wartend, bis ich mit jemandem ins Gespräch komme. Mensch, bin ich alt geworden denke ich mir. Aber was sage ich dann wohl in zehn Jahren? Am besten die ähnlichen Kamellen, die mir in Mannheim manchmal durch den Kopf gehen. Ich kann nicht konkret benennen, wieso. Aber der Westen ist halt nicht der Osten.

An die Organisierenden: Versteht nicht mich falsch – ich bedanke mich wirklich ehrlich für eure Arbeit und das ihr das Event stemmt. Die artikulierten Verunsicherungen sind ganz meinerseits und gar nicht an euch gerichtet. In diesem Sinne: Gerne wieder. Vielleicht mal mit ein klein wenig mehr Abwechslung. Aber dazu kann ich ja ebenfalls beitragen.