Ein Teaser zu Camus‘ „Mensch in der Revolte“

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Passend zum Auftakt unseres neuen Lese- und Diskussionskreises lohnt sich (wieder mal?) ein Blick in den ersten Textauszug, den wir uns dafür vorgenommen haben. Es handelt sich um „Der Mensch in der Revolte“ (1951) des französischen Schriftstellers, existenzialistischen Philosophen und engagierten Intellektuellen Albert Camus.

Recht bekannt ist das Buch, aufgrund seines provokativen Anfangs, den wir zu diskutieren begonnen haben. „Das Absurde und der Mord“ und „Der Mensch in der Revolte“ lauten die beiden ersten Abschnitte und versprechen schon einige Spannung zwischen Tod und Leben, zwischen Erniedrigung und Protest der Menschenwürde, zwischen Resignation und Aufbegehren, zwischen Vereinzelung und Wiedergewinnung der Kollektivität.

Camus tiefgreifende Überlegungen stehen unter des Eindruck des ungeheuren Schreckens des Zweiten Weltkrieges, in welchem Menschenleben zerstampft wurden. Dass Menschen für das Massaker des Krieges und den Holocaust verantwortlich zu machen sind, mag zwar das berechtigte Bedürfnis nach Gerechtigkeit der Überlebenden bedienen, bringt die Ermordeten jedoch nicht ins Leben und die Welt nicht wieder ein einen (vermeintlich) heilen und geordneten Zustand zurück. Der Nihilismus erscheint in diesem Zusammenhang weniger als philosophische Spekulation, sondern als pure Tatsache, angesichts der willkürlichen, nein: gezielten, Vernichtung menschlichen Lebens. Auch hinsichtlich des menschengemachten Klimawandels, der tödlichen europäischen Grenzpolitik oder ausbeuterischer Lohnarbeit wird er heute systematisch als Folgeerscheinung der bestehenden Herrschaftsordnung produziert.

Statt diesen Umstand jedoch moralisch aufgeladen zu verurteilen und nach göttlicher, staatlicher und humanistischer „Gerechtigkeit“ zu schreien (möglichst noch in Erklärung einer „Kollektivschuld“, die faktisch eine Nicht-Schuld von Einzelnen ist), wagt Camus dem Schrecken ins Auge zu blicken: Mord und Selbstmord seien prinzipiell vernünftige und auch emotional nachvollziehbare Handlungen: „In der Zeit der Ideologien muss man sich mit dem Mord auseinandersetzen. Wenn der Mord Vernunftgründe hat, leben unsere Zeit und wir selbst in ihrer Konsequenz. Wenn er keine hat, leben wir im Irrsinn, und es gibt keinen andern Ausweg, als daraus einen neuen Schluss zu ziehen und sich abzuwenden“ (S. 15).

Diese Überlegung führt Camus zur Thematisierung des Begriffs des Absurden. Eine Frage in Anschluss daran könnte beispielsweise lauten: Wie ist es möglich, in einer Gesellschaftsform, die grundlegend auf Zerstörung und täglicher Gewalt beruht ohne Sinn zu überleben – oder gar zu neuem Leben zurück zu finden? Den (durch die kapitalistische Produktionsweise und Konsumgesellschaft verursachten) Nihilismus unserer Zeit weitergedacht, wird im Nachspüren über die Konsequenz von Mord und Selbstmord jedoch eines deutlich: Tatsächlich regen sich innere Widerstände gegen diese Taten.

Dem Absurden ist daher ein Widerspruch eingeschrieben: Erst in der (philosophischen) Verneinung aller Werte und allen Sinnes, machen wir die verstörende Erfahrung, dem nackten Leben selbst zu begegnen: „Es ist ein Widerspruch seinem Inhalt nach, denn es schließt Werturteile aus und will dennoch das Leben aufrechterhalten, wo doch Leben an sich schon ein Werturteil ist. Atmen heißt urteilen“ (S. 19). Diese Einsicht ist es, die zur Revolte in ihren vielfältigen Formen führen muss, im metaphysischen Denken, in der Geschichte und in der Kunst. Die Revolte als „Bewegung des Lebens“ (S. 393) geht vom Bedürfnis seines Selbsterhaltes und somit auch seiner Erfüllung aus. Dies führt Camus schließlich „Jenseits des Nihilismus“ – aber das ist eine andere Rezension…