Die Umkehr

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Als ich heute aufwachte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Lange genug hatte ich in romantischen Illusionen, nerdigen Hirngespinsten und hippieskten Traumwelten gelebt! Nun aber geht mir endlich auf, was ich die ganze Zeit über verdrängt hatte, was wie ein Wurm von innen an meinen Werten, Idealen und Grundsätzen nagte und sie zerfressen hatte. Was heißt zerfressen!? Ein heilsamer Wunderwurm war es doch, der mich freinagte, damit ich endlich die Wirklichkeit erkennen konnte! So zerbrach der ganze Idealismus und das war schmerzhaft, doch in seiner Grausamkeit befreiend.

Ja, frei bin ich nun von dem Wahn der Anarchie. Frei von den jugendlichen Flausen, dass eine Gesellschaft ohne Herrschaft möglich wäre. Frei von der nur verschleierten Selbsttäuschung, dass der Mensch eigentlich gut sei. Frei von den abstrakten, utopischen Entwürfen, einer harmonischen Ordnung, in welcher alle Ausgebeuteten, Unterdrückten und Entfremdeten Anteil haben könnten. In der auch ich Anteil haben könnte und nicht weiter auf der Suche sein müsste; Diesen blöden Sisyphos-Stein immer wieder den Berg der Realität hinauf rollend – als hätte ich das nicht tausend und tausend mal getan, nur um zu sehen, wie es kurz vor dem Gipfel vorbei an mir hinab saust.

Diese elendige Träumerei der bedrängten Kreatur, dieser krampfhafte Drang, etwas anderes zu schaffen, irgendwie rebellieren zu wollen, wahrscheinlich einfach nur beachtet werden zu wollen.

Doch ich will gutmütig sein, nicht im Alten hängen, sondern nach vorne schauen. Jahre meines Lebens bringe ich nun schon damit zu, mich mit Anarchismus zu beschäftigen und den Leuten was vom Pferd zu erzählen. Dass dies Priester, Schreibknechte, Moderator*innen und viele Akademacker es ebenso tun, ist ja keine Legitimation, noch nicht einmal eine gute Ausrede dafür, es ihnen nachzuahmen! Umkehr ist möglich. Besser jetzt die Kurve kriegen, wo ich mich noch distanzieren kann von den Wirrnissen, die ich produziert habe. Da liegt noch Leben vor mir, was es nicht als der verschrobene Anarcho-Onkel zu verbringen gilt, den alle aufgrund seiner Gestörtheit belächeln und bemitleiden! Besser jetzt der wahren Wirklichkeit gewahr werden, als auf dem Sterbebett zu liegen und kurz vor Zapfenstreich zu erkennen, dass alles umsonst und sinnlos und verkehrt war. Mensch, wir sind doch keinem Schicksal ausgeliefert, in das wir uns unerbittlich fügen müssen. Wenn dich die Anarchie eins gelehrt hat, dann wohl das!

Es zwingt dich doch niemand zufrieden mit dir oder der Welt zu sein. Davon ist doch gar nicht die Rede. Was aber soll dann diese Veränderungswut, fast so schlimm wie der reformerische Drang nach „Verbesserungen“, vielleicht aufrichtiger, aber sicherlich mit größeren Enttäuschungen verbunden? Lass es sein! Oder wenn du es nicht ganz sein lassen kannst, dann sei eben die Veränderung in der Welt, die du dir wünschst. Aber geh nicht allen anderen damit auf die Nerven!

Das Leben ist ein Laden, aus dem du rausholen musst, was du rausholen kannst, wenn du am Ende nicht als Volltrottel dastehen willst. Ach so, du lehnst den Warenfetisch ab, beziehungsweise bist zu kaputt, um ihn zu verinnerlichen? Na wenn es gar nicht geht, dann versuche es eben mal mit Genuss – oder willst du nur ein Linker sein?

Nun schlecht, nun gut. Dann schwöre ich der Anarchie hiermit also ab, ein für alle mal. Hinfort… (nun, so einfach ist es nicht) … Hinfort mit dir Gespenst, du Geist, du Sparren! Doch auf die gnädige Weise (denn Gnade ist modern) – Wir hatten eine gute Zeit. Doch jetzt ist’s Zeit zu gehen.

Selbstredend beende ich dann ab morgen auch die Tätigkeit an diesem Blog. Das könnte ein Anfang sein…