Die Befreiung des Schnabeltiers denken

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Als Anarchist*in kann mensch es kaum glauben, was los ist mit diesen Leuten. Weder Vogel noch Säugetier, weder „Fisch noch Fleisch“, wie es in altbackener Redewendung heißt, ist das Schnabeltier. Als Symbol für die Hybridität feiere ich es unbedingt. Es könnte ein gutes Wappentier sein. Aber leider wird der paradoxe Charakter, welchen es symbolisiert, grundlegend missinterpretiert. Klar, ich spreche von Personen, welche sich in den Gruppen von Platypus assoziieren. Auch wenn ich schon zweimal in deren Kreis (mit) gesprochen habe und es wieder tun würde, ist Kritik am Stil dieser Verfallsform der radikalen Linken unbedingt angemessen.

Jawohl, auch wenn ich kein Anhänger eines zielgerichteten Geschichtsverständnisses bin, ist es nicht zu viel gesagt, bei Platypus von einer Degeneration radikal linken Denkens und Handelns zu sprechen. Im eigenen Selbstverständnis sehen sich die Mitglieder dieser krypto-leninistischen und pseudo-Kritisch-theoretischen Gruppierung freilich anders, nämlich als Übergangspunkt, als Entwicklungsschritt hin zu der von ihr fetischisierten erhabenen und handlungsfähigen gesellschaftlichen Linken, welches es in der erträumten Form nie gab und nie geben wird.

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Bei der Begegnung mit den Jünger*innen des Schnabeltiers fällt einem schnell der Habitus der gebrochenen und enttäuschten Romantiker*innen ins Auge. Dahinter verbirgt sich freilich eine sich intellektuell dünkende bürgerliche Subjektivität. Weil sie an ihrer eigenen Langweiligkeit zu ersticken droht, bedient sie sich des radical chic linksradikaler Rhetorik, wobei sie stets nur an der Oberfläche zu den Ereignissen und Erfahrungen von Menschen in realen sozialen Bewegungen gekratzt hat.

Die absurden, selbstbezüglichen Rituale ihrer Veranstaltungen dienen – wenn wir ehrlich sind – primär dreierlei Zwecken: Erstens, der Erwerbung kulturellen Kapitals, dass sich im späteren Arbeitsleben sicherlich auch auf die eine oder andere Weite ökonomisch verwerten lässt. Zweitens, der Bestätigung in der eigenen Ohnmächtigkeit, welche sich daran ergötzt, im Nichtstun zu verharren, wodurch der inhärent konservativen, gebrochenen Romantik wiederum ein Sinn verliehen werden soll. Drittens, der Identifizierung unter Gleichgesinnten, deren Gruppen sich durch die Entwicklung einer arroganten, pseudo-avantgardistischen Überlegenheitsvorstellung integrieren.

Es könnte mir egal sein, was diese Leute tun. Immerhin werde weder ich noch irgendwer anderes sie von ihrem Irrweg abbringen. Leider ist der Stil, welchen sie prägen, für Aktive in sozialen Bewegungen lähmend und negiert zynisch das Leid, welches sehr viele Menschen unter der gegenwärtigen Herrschaftsordnung erfahren. Der vermeintlich philosophisch erhabene Standpunkt offenbart sich damit als ein allzudeutsches Luxusgut, an welchem seine dekadenten Jünger*innen hoffentlich selbst ersticken werden. Marx jedenfalls würde sich bei so viel scholastischem Idealismus im Grab umdrehen. Auch Adorno würde sich erschrocken an die Stirn greifen, wie er so grundlegend missverstanden und zum Maskottchen gemacht werden konnte. Keine Bange, damit schlage ich nicht über die Stränge, sondern schreibe aus Notwehr.

Für jene, die eines Tages begreifen mögen, dass jede Theorie schlecht, faul und hölzern wird, wenn mit ihr jeglicher Bezug zur Lebensrealität von Menschen aufgegeben wird, stehen allerlei Türen in verschiedene Richtungen offen. Vielleicht gelingt es ihnen, ihre eigene geistige Verelendung hinter sich zu lassen und zumindest ein Gespür dafür zu erhalten, was es bedeutet, für eine libertär-sozialistische Gesellschaftsform zu streiten. Dies wäre eine Orientierung, die bei weitem die Praktiken zur Aneignung kulturellen Kapitals, die Feier des abgehobenen und selbstbezüglichen Sektendaseins und damit auch die fatalistische bürgerliche Subjektivität übersteigt.

Wie es anders geht, müssten Anarchist*innen und ihre Verwandten freilich anhand eines eigenen Stils von Theoriearbeit veranschaulichen. Paradoxien zu denken, auszuhalten und mit ihnen ins Handeln zu kommen, wäre ein wesentlicher Aspekt davon. Das Schnabeltier als Symbolwesen ist dafür leider schon verbraucht. Wenngleich es Platypus nur als toten, ausgestopften Fetisch vor sich her trägt, anstatt es lebendig werden zu lassen.