Der Einzige und seine skills

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Da ich leicht zu beeindrucken bin, war ich über die Jahre immer wieder fasziniert davon, welche ausgeprägten Fähigkeiten sich Menschen in meiner Umgebung angeeignet hatten. Verständlicherweise fühlte ich mich oft auch eingeschüchtert davon, dass sie kochen, sich vegan ernähren, Autos, Maschinen, Fahrräder reparieren, nähen, flicken, sprühen, programmieren, installieren, ansprechende Musik auflegen und Instrumente spielen, Drogen vernünftig konsumieren,ihre Geschlechtsidentität hinterfragen, Geräte verschlüsseln, klauen, segeln, Bauwägen ausbauen, Jobs an Land ziehen, Vertrauen und Sicherheit ausstrahlen konnten. Mag sein das dieser Eindruck eher einer Projektion meinerseits entsprach. – Denn warum sich überhaupt ausgiebig mit anderen beschäftigen, anstatt auf das eigene Leben und die eigenen Fähigkeiten zu schauen?

Dennoch bin ich immer wieder Leuten begegnet, welche einen ausgeprägten Anspruch an sich hatten, die Dinge selbst zu tun. Und dieser Anspruch führte dann dazu, sich sehr viele Fähigkeiten anzueignen. Meiner Ansicht nach stecken dahinter die Unzufriedenheit mit einer Welt, die einer als unpassend und unbehaglich erscheint, wie auch ein unerfülltes Bedürfnis nach Sicherheit, welches in einer Angst vor jeglicher Abhängigkeit mündet. „Autonomie“ wird damit häufig auf die individuelle Selbstbestimmung und das Selbstmachen reduziert. Freiheit bleibt damit oftmals eine Freiheit „von“ der Blödheit, Abhängigkeit, Unzulänglichkeit, Unzuverlässigkeit oder sogar Bosheit anderer.

Auch ich kenne solche Gedanken, habe gelegentlich sehr feste Vorstellungen und es fällt mir als ausgewiesener Eigenbrötler schwer, gut zu kooperieren. Trotzdem habe ich nie die Besessenheit entwickelt, alle Dinge selber machen zu müssen – es gibt schon genug, was ich als Individuum tun, sein und leisten soll in dieser Gesellschaftsform. Nein, ich denke und zelebriere auch, dass wir alle voneinander abhängig sind. Und dies ist offensichtlich eine andere Herangehensweise als jene der Selbstmach-Menschen – mit der ich auch schon so mancher Person zur Last gefallen bin.

Ich finde es sehr gut, wenn Menschen sich Fähigkeiten aneignen und die Dinge in die eigenen Hände nehmen. Denn wie sonst sollte eine erstrebenswerte Gesellschaftsform funktionieren, wenn nicht durch die Selbstständigkeit von Menschen, die gern tätig sind, weil sie sich als selbstwirksam erfahren können? Wie sollten wir außerdem eine libertär-sozialistische Gesellschaft erreichen, wenn nicht durch die vielen Spezialfähigkeiten, welche sich Anarchist*innen aneignen?

An dieser Stelle gelange ich aber zum Anlass, dieser Reflexion: Seltsamerweise scheinen es häufig gerade die Menschen mit den ausgeprägten Fähigkeiten zu sein, welche diese kaum in gemeinsame Projekte außerhalb ihres eigenen Umfeldes einbringen wollen. An den Orten, an sie selbst leben, helfen sie gern anderen. Aber ihre Fähigkeiten für abstraktere Ziele anzuwenden – wie etwa den langfristigen Aufbau einer Nachbarschaftsorganisation oder (anti-)politischen Gruppe -, dass scheint ihnen schwer zu fallen, ja sinnlos zu erscheinen.

Vielleicht sind die Rückmeldungen zu gering, vielleicht erfährt man sich so zu wenig als selbstwirksam. Das kann gut sein. Anarchistische Aktivitäten sollten etwas mit den Fähigkeiten und Bestrebungen und der Einzelnen zu tun haben. Dementsprechend gilt es Gruppen so zu gestalten, dass sie dies ermöglichen. Darüber hinaus sollten sich alle Einzelnen aber fragen: Wofür möchte ich diese oder jene Fähigkeiten wirklich erwerben? Was verspreche ich mir davon? Kann ich auch darauf vertrauen, dass andere ähnlich gute Fähigkeiten haben oder entwickeln können? Wie kann ich das, was ich gut kann, in eine soziale Bewegung einbringen, um die Gesellschaft insgesamt zu verändern?