Demokratie ist formbar

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Wie lässt sich ein gerechtes Verfahren für eine Rätedemokratie einrichten, die weder der Bürokratisierung anheim fällt, noch Partei-mäßige Fraktionierung auf Dauer stellt oder einer Kaste professioneller Politiker*innen-Kaste dient? Woran bemisst sich ein „gerechter“ Zugang zur politischen Verantwortungsübernahme auf Zeit und der imperativen Delegation von Interessen, um ein bestimmtes Gemeinwesen zu organisieren? Welche Ausgleichsmechanismen braucht es, um Minderheiten zu beteiligen und so weit es geht von Mehrheitsentscheiden abzusehen? Wie werden Expert*innen-Gremien eingesetzt, wer bildet sie und welchen Stellenwert haben ihre Beratungsaufgaben?

Derartige Fragen wären spannend im Kontext der Einrichtung der Rätedemokratie in einer libertär-sozialistischen Gesellschaftsformen zu diskutieren. Interessant wäre, dies zumindest in Form eines Planspiels zu erarbeiten. Denn damit stößt man unweigerlich auf das Grundproblem, dass eine stärkere Regelung und Bürokratisierung Eigendynamiken nach sich zieht, welche jene privilegiert, die sich professionell mit derartigen Vorgängen beschäftigen können – für die Politik der „Beruf“ wird.

https://de.wikipedia.org/wiki/Jugend_und_Parlament#/media/Datei:2020-02-13_Deutscher_Bundestag_IMG_3438_by_Stepro.jpg

Dass es gar nicht in Stein gemeiselt ist, wie sich z.B. der Bundestag zusammensetzt, zeigt die aktuelle Debatte über die Wahlrechtsreform. Einige Kreise arbeiten seit Jahren dafür, das Wahlrecht zu vereinfachen, um es transparenter und damit auch demokratischer zu machen. Überhangmandate, Ausgleichsmandate – wer sieht da schon wirklich durch und fühlt den eigenen Wähler*innen-Willen repräsentiert? Andere wehren sich gegen die Wahlrechtsreform und gehen dazu ein höchst seltenes Zweckbündnis ein: Während die CSU um ihre – warum auch immer – angemaßten Privilegien bangt, muss sich die Linkspartei aus schierem Selbsterhaltungsinteresse gegen die Wahlreform stellen. Denn ohne ihre drei Direktmandate wäre sie an der 5%-Hürde gescheitert und damit abgeschnitten von den Goldeseln der öffentlichen Finanzierung.

Zugegebenermaßen hat mich parlamentarische Politik in den letzten zehn Jahren kaum interessiert. Ich war als Jugendlicher mal zu einer Exkursion im Bundestag. Die Security nahm mir dabei eine Mundharmonika ab, aber das Messer, was ich bei mir führte, durfte ich behalten. Das ist mir in Erinnerung geblieben. Während meiner Schulzeit muss ich auch mal im Sächsischen Landtag gewesen sein. Da hatte ich mich schon gefragt, was das eigentlich für eine Demokratie ist, in der Neonazis 10% der Stimmen erhalten. Heute sieht es anders aus. Die alten und neuen Faschisten sind stark geworden und haben sich angepasst. Ich habe auch mal ein Stadt-Jugendparlament beobachtet, dass sich selbst was darin vorgemacht hat, dass seine Vertreter*innen irgendwas zu sagen hätten. Aber das war alles lange her und eigenartig.

Ich nehme die aktuelle Debatte zum Aufhänger dieses Beitrags, um über die albernen Vorwürfe der Parlamentarier*innen aneinander nachzudenken, sie würden jeweils nur ihr eigenes Interesse bedienen. Denn das tun sie doch sonst auch permanent. Das ist doch der Zweck politischer Parteien, der in der parlamentarischen Demokratie zum Selbstzweck wird. Umso mehr wäre es spannend Erfahrungsräume auszuweiten, in denen Entscheidungsfindung, Fraktions-Bildung, Delegation, Beratung usw. anders laufen können. Das wäre ein lohnenswertes Experimentierfeld, dass sich sowohl in sozialen Bewegungen, als auch auf lokaler Ebene als Gegenmacht zum Stadtrat ausprobieren ließe. Ich hätte Lust auf ein Planspiel dazu.