Schon erschreckend, welches Bild bei einigen „Marxist*innen“ offenbar vom Anarchismus besteht und in ihren Kreisen reproduziert wird. Ich meine konkrete die Vorstellungen und Vorurteile, welche eine Studierende letztens äußerte, als wir eine Diskussion über Anarchismus hatten. Aus bestimmten Überlegungen zum Verhältnis von Demokratie und Anarchie wurde ich rasch in die Ecke gedrängt, seine „Gesamtstrategien“ rechtfertigen zu sollen und „den“ Anarchismus insgesamt repräsentieren zu müssen.
Die betreffende Person zeigte sich sichtlich angewidert von den biertrinkenden Punks in „schmutzigen“ Autonomen Zentren, in welchem offenbar Anarchist*innen hauptsächlich anzutreffen wären und die natürlich über keinerlei „Theorie“ verfügen würden. Was es überhaupt für eine aussichtslose Strategie wäre, auf Freiräume zu setzen, fragte sie. Und ich entgegnete, dass es bei Transformationskonzepten nicht darum geht, einen fertigen Plan vorzulegen, sondern grundlegende Überlegungen darüber anzustellen, wie sich Dinge verändern lassen. Dazu beziehen sich die Beteiligten auf bestimmte Grundannahmen und Erfahrungen, also beispielsweise jener, dass es nicht emanzipatorisch sei, den Staat übernehmen zu wollen. Stattdessen sind parallel zu den Herrschaftsverhältnissen bereits jene immanent vorhanden, die Anarchist*innen anstreben.
Sie meinte, sie hätte vorher gedacht, dass Anarchist*innen und „Kommunist*innen“ (also das, was sie darunter verstand) dieselben Zielvorstellungen hätten, dass sie sich darin aber offenbar geirrt hätte. Offenbar irrte sie sich. Denn Anarchist*innen halten es für entscheidend eine Kohärenz zwischen den gewählten Mittel mit ihren Zielen herzustellen, wobei die Ziele auf dem Weg auch noch mal angepasst werden müssen. Mit autoritären Mitteln kann man keine freiere Gesellschaft erkämpfen.
Eine merkwürdige Situation war das. Aus irgendwelchen Gründen sollte ich den Anarchismus theoretisch rechtfertigen und als ich dies tat, war sie dann sauer, dass sie seinen Grundannahmen nicht zustimmte, ohne aufzuzeigen, warum sie es nicht tat oder warum ihre denn richtiger wären. Ich sollte der emotionalen Abneigung dieser Person ihm gegenüber standhalten, wobei sie betonte, doch ganz sachlich zu sein. Sie war es offensichtlich nicht, so vorurteilsbeladen, wie sie sprach und das brachte mich dann etwas auf.
Letztendlich stellte sich heraus, dass sie sich bei der SDAJ engagierte. Mir war nicht klar, dass in diesen Kreisen derartiger Bildungsbedarf besteht und das hier offensichtlich gerade zwei völlig unterschiedliche Welten aufeinander getroffen waren. Gut, ich hatte früher auch meine anti-bürgerliche Siffphase, aber auf jeden Fall an diesem Tag geduscht. Ob ich wieder Knoblauch gegessen hatte, kann ich im Nachhinein nicht mehr wirklich sagen. Möglicherweise rochen meine Klamotten auch noch etwas von der Feuertonne 😉 Abgesehen davon sollte man, wenn man sich mit echten Proletarier*innen gemein machen würde, wohl etwas Abgefucktheit, Gestank und Verwahrlosung aushalten können.
Schlussendlich verließ sie aufgebracht den Raum und rang nach einem theatralischen Abschluss des Schlagabtausches, der sinngemäß lautete: „Phasenweise geht es noch zusammen – bis zur Revolution!“. Ich weiß nicht, ob damit eine Feststellung oder Drohung zum Ausdruck kommen sollte. In jedem Fall schon mal interessant, dass sie tatsächlich an so angestaubte Vorstellungen einer politischen Machtübernahme durch eine avantgardistische kommunistische Kaderpartei glaubte.
Vermutlich kann man solche hochgradig ideologische Gedankengebäude nur in Abgrenzung und in Abwertung von so wahrgenommenen Konkurrent*innen aufrecht erhalten. Vielleicht bin ich auch aus dem Alter raus, wo ich meinen eigenen etwas unterstellen müsste. Eine Kritik lässt sich ja einfach am Autoritarismus und der Unsachlichkeit festmachen, mit welcher sie auftreten. In jedem Fall ärgerlich, wenn Leute sich in inhaltlichen Auseinandersetzungen zur Rechtfertigung ihrer ideologischen Glaubenssätze veranlasst sehen.