Wer sich selbst erfahren will, muss sich auch selbst verarbeiten. Die Methode dafür besteht häufig in der Reflexion durch die Spiegelung des eigenen Verhaltens im Ausdruck der Anderen. Jemandem eine Ansage zu machen, wirkt häufig autoritär und ist zurecht verpönt. Eine ehrliche Rückmeldung zu formulieren scheint unter diesen Voraussetzungen aber ebenfalls schwierig – selbst, wenn sie wohlwollend geschieht. (Doch auch allein zur Abgrenzung wäre sie legitim, wenn sie nicht auf Verletzung abzielt.) Wir sollten ernsthaft aufhören, einander erziehen zu wollen. Jemanden irgendwohin ziehen zu wollen (meistens auf die eigene Position oder zumindest eine scheinbar harmlose). Wir sollten gemeinsam unser Bewusstsein bilden; dem Bewusstsein der ums herum stehenden, liegenden, krabbelnden Mitwesen Erweiterungsmöglichkeiten eröffnen.
Soweit passt das alles. Soweit kann ich mich damit gut arrangieren. Ich würde auch soweit gehen zu sagen, das es Aufgabe von Anarchist*innen ist, sich auf bewusstseinsbildende Prozesse einzulassen, sie voranzubringen und sie transparent mit ihren Anliegen zu gestalten. Bewusstseinsbildung geschieht parallel zu und in Organisierung, Aktion, Kommunikation und Strukturarbeit.

Bitte sagt, was ihr wollt, was ihr wünscht, was ihr verlangt, was ihr erwartet. Bitte verhandelt nur so lange, bis ihr die Bedingungen und Grenzen eurer Verhandlungsbereitschaft kennt und sie nicht überschreitet. (Lasst euch darin aber auch mal irritieren und provozieren.) Bitte lasst euch nicht hinters Licht führen und übers Ohr hauen von diesen verständnisvollen Linksliberalen, die euch einlullen und euch sanft eins reindrücken und mitgeben wollen, mit ihren Impulsen. Denn wer mit Impulsen lenkt, herrscht auf die klügste Weise. Wo die social credibility von allen bewertet und nach individueller Subjektivierung genormt wird, ist niemand verantwortlich und die Legitimität der Sanktionierung von Abweichung durch nichts zu kritisieren.
In der Autoindustrie gibt es Impulse und in der Kosmetikbranche, mein Lehrer gab mir Impulse, meine Genoss*innen geben mir Impulse, Verschwörungsmythologen impulsieren nur so vor sich hin, meine Mutter gab mir Impulse, das Ministerium für Liebe gibt mir Impulse, Hermann Hesse lässt Impulse fließen, ein hässlicher Markus Söder setzt Impulse, der Zahnarzt gab mir Impulse, die Chefs in spe wirken schon von Ferne und Zukunft durch ihre Impulse, ein blödsinniger Robert Habeck gibt dauernd Impulse von sich… Müssen wir in Zukunft ein Recht auf Impuls-Schutz erkämpfen?
Nun gut, vielleicht übertreibe ich. Wahrscheinlich lege ich hier wieder Worte auf die Goldwaage. (Da hat wohl jemand den Impuls nicht gespürt!) Aber ich möchte die Formulierung Impulse geben / haben mindestens einen Monat nicht mehr hören. Und dazu gehe ich soweit, denjenigen, die sie verwenden, Gewalt anzudrohen. Das ist keine Lösung, natürlich nicht. Aber vor lauter Impulsen, denen ich unterschwellig ausgesetzt bin wohl der einzige Aufschrei, den ich tun kann. Dabei kann es sein, dass ich meine Impulskontrolle verliere, dass ich impulsiv werde; dass die angestauten Impulse sich unreguliert Bahn brechen und dann… wer weiß, was dann geschieht!
Ich denk mir: Sollen die Betreffenden doch ihre Impulse haben. Aber dafür gibt es doch Kleingärten oder BDSM-Spiele oder Fitnessstudios oder Backpacking-Urlaube oder Selbsthilfegruppen oder was weiß ich. Dorthin können sie ihre Impulse gerne lenken und leiten, wie und wann sie wollen. Aber könnt ihr sie bitte für euch behalten? Ich möchte sie nicht hören. Ich möchte nicht von ihnen wissen. Und am wenigsten möchte ich ihnen ausgesetzt sein oder das du mir deine Impulse gibst. Bitte nicht, ich fände das respektlos. Sie sind mir ehrlich unangenehm. Privatisierende Herrschaftstechnologien mittels Scham sind ein Problem, ja. Aber exhibitionistische Selbstoffenbarung hilft uns nicht bei der Bewusstwerdung.
Sage mir gerne, was dich bewegt, was du dir wünschst, was du erwartest. Wenn ich nicht gedankenverloren vor mich hinstarre oder gedankenvoll an etwas anderes denke, höre ich freundlich zu. Und sage etwas dazu, wenn du möchtest. Aber ich werde nicht sagen: „Ich verstehe dich voll“. Denn das tue ich nicht. Weil ich dich respektiere, dürfen deine Gedanken deine Gedanken bleiben. Deswegen stecke dir bitte deine Impulse in den Arsch.
Zugegeben, ein überraschendes Ende für diese knappe Abhandlung. Beim Schreiben bin ich einfach meinem Impuls gefolgt. Sowas kann dann eben passieren. Sorry not sorry.