Keine richtige Politik im falschen politischen System?

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Creative Commons BY-SA 3.0, von Stephan Röhl

Kann es eine richtige Politik im falschen politischen System geben? Sehr selten jedenfalls gibt es Politiker*innen, wie sie der konservativen Selbstlüge entsprechen: aufrecht, ehrlich, integer, unbestechlich. Hans-Christian Ströbele (+) war einer dieser wenigen. Damit hielt er in der vorherigen Generation noch einige Linksradikale bei der Grünen Partei.

Niemand hat uns hier verraten. Die Integration in den Rahmen einer bestehenden politischen und wirtschaftlichen Herrschaftsordnung ist ein nachvollziehbarer Effekt der Sogkraft der Machtkonzentration. Das lässt sich völlig ohne moralische Kategorien beschreiben – und grundlegend kritisieren. Gerade der Moralismus einiger Anarch@s verweist ja auf ihre Verwobenheit in das politische Denken der bürgerlichen Gesellschaftsform, anstatt diese zu transzendieren…

Erklärungsbedürftig ist also nicht, warum ambitionierte Politiker*innen korrumpiert werden, leere Versprechungen machen und ihre vorgeblichen Ziele fallen lassen. Sondern umgekehrt, warum jemand wie Ströbele dennoch heraus sticht und anders war. Wir hatten es mit einem wahren Idealisten im besten Sinne zu tun. Vielleicht blieb er auch einfach deswegen bei den Grünen um – entgegen der Realität des politischen Betriebs – jene ur-demokratische Bestrebung aufrecht zu erhalten: Dass eine andere Politik möglich wäre. Ob dem so sein kann, werden die Kämpfe im 21. Jahrhundert zeigen…

Kapitalismus – adaptiv statt adipös?

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Der Kapitalismus hat die ungeheure Fähigkeit auch den Widerstand gegen ihn einzubeziehen, zur Ware zu machen und im Sinne der Besitzenden zu vermarkten. So bleibt auch meine Kritik an seinen Sinn-entleerendem Weltbild und der gnadenlosen Brutalität von Ausbeutung, Unterdrückung und ökologischer Zerstörung, die seine Grundlagen als auch Folgen sind, irrelevant bzw. bleibt bedeutungslos, wenn sie lediglich verbal geäußert wird.

Umgekehrt ist es aber nicht so, dass meine Anmerkungen zur Stärkung des Kapitalismus führen würden – dazu hat die Szene-Blase, in der ich mich bewege und die ich ja auch hauptsächlich adressiere wirklich zu wenig Bedeutung. Trotzdem sollten wir uns ernst nehmen. Und vor Augen halten, dass eine anti-kapitalistische Haltung nicht genug ist, sondern durch Perspektiven auf eine libertär-sozialistische Ökonomie erweitert werden muss. Denn auch bei jenen, welche das dominante ökonomische Herrschaftsverhältnis scheiße finden, stellt sich die Frage: Wie sonst wirtschaften? Und das zurecht.

Im Bild sehen wir die Werbung für ein Fitness-Studio-Kette. Sicherlich kein Zufall ist, dass seine Farbwahl ziemlich nah an jener orientiert ist, welche verschiedene Online-Dating-Plattformen verwenden. Und naheliegend ist, dass beides verknüpft gedacht wird – der Wert, welcher einem trainierten, straffen, als gesund geltenden Körper zugeschrieben wird und dem Wert, den einer*einem (potenziellen) Dating-Partner*in verkörpert. In die vermeintlich rein subjektive und gefühlte Anziehungskraft und individuellen Vorliebe mischen sich dabei wie selbstverständlich Kategorien der kapitalistischen Verwertbarkeit des Gegenübers.

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halb außen ganz dabei

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verdächtigt wirkt
wer von halbaußen kommt
wer um die leute weiß
aber nicht mit ihnen befreundet ist
wer die debatten kennt
und ihrer flachheit und verbohrtheit gegenüber skeptisch bleibt

wer ernsthaft an die sache glaubt
kann und darf sich mit der gemeinschaft der suchenden
nicht vollends identifizieren

ohne gewisse distanz zur szene
mit ihren intrigen und machtkämpfen,
ihrer anerkennungssucht und den statusbestrebungen
geht der glaube schnell verloren

doch ist die wahrheit zu bedeutend
als sie einem kreis eingeweihter zu überlassen
die umso eifersüchtiger darüber wachen
je ausgeschlossener und angeekelter
sie sich von der gesellschaft fühlen

ihre dogmen und phrasen
werden fast austauschbar
wenn ideologie vor allem zur integration
des eigenen klüngels verkommt
oder bloß zur rechtfertigung
strategieloser praktiken

darauf hinzuweisen
muss misstrauen und abwehrreflexe auslösen

also stellt man sich lieber gleich halb außen
um ganz dabei zu sein

sub-realistic fatalism

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„Is there no alternative to capitalism“, fragte sich der kulturkritische Denker Mark Fisher 2009 im Untertitel seiner weit verbreiteten Flugschrift Capitalist Realism. Der zaghafte Antwortversuch ist so richtig wie unkonkret: Es bräuchte ein neues politisches Subjekt, welches den Staat nicht übernehmen, sondern jenen – entgegen dem fast total Interesse des Kapitals – einem neu zu formierenden Allgemeinwillen unterwerfe. Im Endeffekt geht es damit also um eine Art sozialdemokratisches Projekt für das 21. Jahrhunderts, das mit kommunistischer Sehnsucht gefüttert wird. Dass jenes unrealistisch erscheint, liegt jedoch nicht allein an der Integration herkömmlicher Organisationen in sozialistischer Tradition. Noch liegt es darin begründet, dass es eben doch keine „Hoffnung“ mehr auf Veränderung geben könne. Vielmehr ist das Fisher’sche Transformationsdenken insgesamt als verkürzt zu betrachten.

Zweifellos schreibt der Autor kluge Dinge über die systematische Produktion von Hoffnungslosigkeit durch die Kulturindustrie, vor allem anhand von Filmen illustriert, welche zwar Kapitalismus schonungslos thematisieren, zugleich jedoch mit jeder Perspektive auf ein Außerhalb zynisch brechen. Für Leute, die sich gern mit Sozialpsychologie bzw. psychoanalytisch inspirierter Gesellschaftstheorie beschäftigen ist das kleine Büchlein ebenfalls nett zu lesen. Allerdings sollte der Warnhinweis darauf abgedruckt werden, dass die Lektüre vorhandene Depressionen verstärken könnte. So viel neoliberale, auf die individuellen Konsument*innen heruntergebrochene, Gesundheitsfürsorge sollte schon sein!

Abgesehen davon, dass Fisher Slavoj Žižek in Erwähnungen ziemlich in den Arsch kriecht, was ich an sich schon peinlich finde, scheint sein Gedankengang doch vor allem einer Selbstbearbeitung zu entsprechen. Und dies ist völlig legitim – sollte dann aber transparent gemacht werden. Nachvollziehen kann ich, dass einen die Tätigkeit als Universitäts-Lehrer an einer neoliberalen Uni schier in den Wahnsinn treiben kann, angesichts der unkritischen, zugleich permanent gestressten und gelangweilten Studierenden, die als Produkte eines durchkapitalisierten Systems keine Vorstellung mehr von Widerstand gegen es entwickeln. Was ihnen nicht individuell vorzuwerfen ist, denn psychische Erkrankungen haben nachweislich stark zugenommen in den letzten dreivier Jahrzehnten. Dies zu thematisieren, in die Analyse und Bestrebungen einzubeziehen, muss Aufgabe eines emanzipatorischen Projektes heute sein – auch darin ist Fisher zuzustimmen.

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Einfach mal die Kontrolle aufgeben!

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Mit Zoe Wees wurde ein nettes Produkt der Kulturindustrie geschaffen. Ging das früher nicht, kann ich mir das inzwischen ab und an geben. Sogenannte Trash-Parties, die inzwischen meist von Leuten veranstaltet werden, welche die Ironie dahinter gar nicht verstehen können, weil sie schlichtweg zu jung sind, um die befreiende Erfahrung gemacht zu haben, die eigene subkulturelle Prägung in Frage zu stellen, hasse ich immer noch. Wie auch immer, weil ich ab und an mal dem Pop zuhöre, kann ich auch besser die Nuancen zwischen völlig hohl und irgendwie ganz nett unterscheiden. Und wie auch immer bearbeitet die Stimme von Zoe Wees sein mag – sie klingt einfach ziemlich geil.

Was ich mich dann aber vor allem gefragt habe, was ihr Problem ist. Ich meine, sie singt ja von Problemen, also der Angst, die Kontrolle zu verlieren, weil sie sich dann mit ihren unterdrückten Traumata wieder auseinandersetzen müsste. Klar, dafür sind die Kapazitäten begrenzt. Das geht nur manchmal. Oft braucht man wohl auch Hilfe dafür. Und die restliche Zeit versucht man halt sein Leben irgendwie weiter zu führen trotz der Scheiße, die man erlebt hat – So stelle ich mir das jedenfalls vor, was sie so singt.

Auch wenn ich das nachvollziehen kann, kommt bei mir dennoch die Frage auf, ob das immer der richtige Weg ist. Ja, sie .will die Kontrolle nicht aufgeben, weil dann… Das ist verständlich und wie gesagt, vielleicht oft auch notwendig. Was aber wäre, wenn sie die Kontrolle aufgeben würde, wenn sie es regelrecht anstreben würde, los zu lassen, sich einzulassen auf die Konfrontation, auf das Wagnis? Neben ihrer persönlichen Befindlichkeit artikuliert die Sängerin somit ein Lebensgefühl, welches viele haben in einer rasend schnellen, an allen Enden kriselnden Gesellschaftsform, in welcher die eigenen Aussichten auf eine lebenswerte Zukunft durch Kapitalverteilung, Lohnarbeitsverhältnis, der Erosion des Sozialen, ökologischer Zerstörung usw. äußerst bescheiden aussehen – Wenn denn nicht emanzipatorische soziale Bewegungen etwas anderes erkämpfen und aufbauen werden. Um sich jedoch in Bewegung zu setzen und zu einer sozial-revolutionären Haltung zu gelangen, bedeutet dies, die Kontrolle aufzugeben. Erst durch diese Erfahrung nämlich wird echte Selbstbestimmung möglich.

Vorschlag zu einem Tagungsprogramm

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Theorie-Diskussionen verändern nicht die Welt, das ist klar. Alle anderen Praktiken aber auch nicht unbedingt. Die Frage ist, wie wir die Dinge tun. Also auch, wie Theorie generiert wird, von wem, wozu sie taugt, an wen sie sich richtet usw.. Hier ein Vorschlag zu einer Tagung, welche so vermutlich nicht zu Stande kommen wird. Er entstand im Rahmen einer Diskussion, deren Beteiligte sich aber in eine andere Richtung entscheiden werden. Zugegeben, das Programm ist sportlich. Das schließt ja nicht aus, dass am Rande noch anderes geschieht 😉

TAGUNG „ANARCHISMUS & TRANSFORMATION“

FREITAG

17-18 Uhr: Input zu anarchistischen Transformationsansätzen. Soziale Revolution, mutualistische Selbstorganisation, Revolte, Subversion, politischer Ungehorsam

18-20 Uhr: Eingangspodium: anarchistische Transformationsstrategien

21 Uhr: Zusammenkommen, Kneipe, Lesung etc.


SAMSTAG

10-11:30 Uhr: Staat -> Föderation dezentraler autonomer Kommunen
und: Kapitalismus -> dezentraler Sozialismus

12-13 Uhr: dazu jeweils Workshop & Diskussion

13-14 Uhr: Pause

14-15:30 Uhr: Patriarchat -> egalitäres Geschlechterverhältnis
und: weiße Vorherrschaft -> egalitäres Miteinander

16-17 Uhr: dazu jeweils Workshop & Diskussion

17-18:30 Uhr: anthropozentrische Naturbeherrschung -> konviviales
gesell. Naturverhältnis

20 Konzert etc.


SONNTAG

10-12 Uhr: Rekapitulation und Reflexion in kleinen Gruppen

12-13 Uhr: Pause

13-14 Uhr kurze Podiumsdiskussion

14-15 Uhr gemeinsame Abschlussdiskussion

zwei sein

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zwei sein können, ohne zu verschmelzen

widersprüchlich sein, wie die gemachte welt,

in der wir uns wiederfinden

gegensätze bilden, ohne sie aufzulösen zu können

und das dazwischen suchen:

gestaltete beziehungen, zwischenräume,

direkte aktionen, soziale revolutionen

multilineare geschichten, hybride subjekte,

präfiguratives handeln, reflektierte aktion,

abreißend aufbauend

auf umwegen zum ziel

„Grundlegendes“ ergänzt

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Da nicht unbedingt für alle Lesenden klar ist, wofür Anarchismus steht, möchte ich auf diesem Blog einen Versuch zur Definition wagen. Dieser ist nicht einfach willkürlich gesetzt, sondern Ergebnis einer langjährigen praktischen und theoretischen Beschäftigung damit. Gleichzeitig möchte ich betonen, dass es sich um eine bestimmte Variante handelt, Anarchismus zu verstehen und zu denken. Dies ist also ein Vorschlag, mit dem auch eine Positionierung einhergeht.

„An dieser Stelle gibt es einen Überblick über meine grundlegenden Vorstellungen und Herangehensweisen.

Sie stammen nicht aus einem Lehrbuch, sondern ich habe sie in jahrelanger Beschäftigung mit Anarchismus, der Begegnung und den Gesprächen mit bestimmten Menschen entwickelt.

Deswegen sind diese Stichpunkte nicht an sich richtig, sondern stammen aus subjektiver Erfahrung.

Sie sind darüber hinaus ein Vorschlag, um ein zeitgemäßes anarchistisches Projekt zu beschreiben. Selbstverständlich glaube ich, dass auch vieles an ihnen sinnvoll und stimmig ist. Möglicherweise werde ich die aufgeführten Punkte in Zukunft trotzdem wieder verändern und/oder ergänzen.

Welche Gedanken hast du selbst zu den Grundlagen des Anarchismus? Wie interpretierst du Anarchismus und wie positionierst du dich in ihm? Und was wünschst du dir für die Stärkung und Weiterentwicklung des Anarchismus?“