Echspect Resistance

Lesedauer: < 1 Minute

Wie jeden Montag stellen wir uns auch am 31.05. wieder den schwurbelnden Wutbürger:innen entgegen, die unter dem Deckmantel des Kinderschutzes und der Selbstbestimmung mit ihrem Verhalten unser aller Gesundheit gefährden.
Dieses Mal klettern wieder die Reptiloiden der Antiverschwurbelten Aktion, die bereits im November 2020 Leipzig entschwurbelten, von ihren Felsen, aus den Höhlen und von den Bäumen.
Werft auch Ihr Euch gern in grüne Schale und Schuppen und lasst Euch überraschen – am 31.05.21 ab 18:30 Uhr auf dem Richard-Wagner-Platz

Einige Aspekte von „Beziehungsweise Revolution“

Lesedauer: 3 Minuten

Zugegeben, ich habe schon ausgiebig zu Adamczak gearbeitet. Und teile ihre Positionen zu Zero-Covid und die ganze dahinterstehende pseudo-avantgardistische Symbolpolitik durchaus nicht. Oder nicht mehr? Aber im Lesekreis wollten sie es. Herausgekommen ist noch eine Besprechung, die sich vor allem auf die Abschnitte bezieht, welche wir uns angeschaut haben.

Adamczaks Buch ist in aller Munde und so überrascht es nicht, dass die Wahl im Lese- und Diskussionskreis darauf fiel. Wie zuvor lesen wir aber nicht das ganze Buch, sondern in zwei oder drei Treffen Auszüge daraus.

Die queer-kommunistische Denkerin versucht darin die Russische Revolution 1917 gegen die globalen Umbrüche um 1968 quer zu lesen, um die Frage aufzuwerfen, wie der Revolutionsbegriff aktualisiert und zeitgemäß bestimmt werden kann. Wäre es 1917 weitestgehend um die „Gleichheit“ gegangen, so hätte 1968 die „Freiheit“ im Vordergrund gestanden. Dementsprechend gälte es heute die „Solidarität“ ins Zentrum des Revolutionsbegriffs zu stellen; Solidarität nicht als etwas, was einfach vorausgesetzt oder spontan in revolutionären Auseinandersetzungen gefunden werden könne, sondern als ethischer Wert, der sich in konkreten Beziehungsweisen manifestiere. Statt der gesellschaftlichen Totalitär der „Produktionsweise“ und der subjektivistischen Individualität der „Existenzweisen“, stellten „Beziehungsweisen“ wiederum einen Zwischenraum dar, welcher Makro- und Mikroebene verbinde und mit dem danach gesucht werden könne, Gesellschaft nicht besser zu erklären, sondern sie direkter zu verändern.

Wertvoll an Adamczaks Buch ist zweifellos ihre informierte und dennoch vermittelnde Herangehensweise, mit welcher sie verschiedene emanzipatorische Strömungen ins Gespräch zu bringen versucht. So bedient sie sich bei der marxistischen, poststrukturalistischen, queerfeministischen und Kritischen Theorie, versucht Rätekommunismus, sozialdemokratische Parteien, kommunistischer Avantgarde-Gruppierungen und Anarchist*innen anzusprechen. Es geht dabei um’s Gemeinsame und Ganze, was die Auseinandersetzung miteinander und die gemeinsame Diskussion um geteilte Ziele und gewählte Mittel verlangt.

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Radikale Bildung…

Lesedauer: < 1 Minute

Klar, wenn man sich in manchen Schulen so umschaut, kommt schon die Frage auf, ob hier nicht „radikale“ Bildung angebracht wäre. Bildung, nicht vorrangig im Sinne der Vermittlung von Inhalten und Wis sen, sondern Bildung und Selbstbildung von Menschen zu sozialen Wesen, die sich ihrer Bedürfnisse und Gefühle bewusst werden und sie artikulieren, sich in andere hinein versetzen und kooperieren können, die ein Bewusstsein von sich selbst haben und dementsprechend selbst bestimmen können. Bildung müsste gar nicht „radikal“ sein – Sie müsste überhaupt erst einmal stattfinden. Dann kann sie unter Umständen befähigen, vermitteln, ermächtigen, organisieren. Wie auch immer, diesen Flyer einer anarchistischen Gruppe fand ich sehr schlicht und nett.

Beiträge zum „kulturellen Anarchismus“

Lesedauer: 5 Minuten

zuerst veröffentlicht auf: untergrund-blättle.de

Bild: Oxford Circus Anarchy. / shando. (CC BY-SA 2.0 cropped)

In einem Band von 2019 versammeln die herausgebenden Professor*innen Christine Magerski und David Roberts 15 akademische Aufsätze unter dem Thema der anarchistischen Kulturrebellion.

Hierbei folgen sie der universitären Gepflogenheit vor allem über bestimmte Aspekte zu schreiben und zu urteilen, statt etwa zunächst die Perspektive von Anarchist*innen einzunehmen, die auch heute Kultur produzieren. Sprich in „Kulturrebellen – Studien zur anarchistischen Moderne“ wird leider eine recht grobe Konstruktion „des“ Anarchismus vorgenommen, die an vielen Stellen bei einer näheren Kenntnis des Anarchismus als soziale und politische Bewegung zu wünschen übrig lässt. Dementsprechend wird auch in der Einleitung suggeriert, dass er Anarchismus spätestens nach der Niederschlagung der Spanischen Revolution politisch irrelevant geworden wäre und seine Wiederentdeckung im Zuge der 68er-Bewegung vor allem in der kulturellen Dimension stattgefunden hätte.

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Beiträge zum „kulturellen Anarchismus“

Lesedauer: 5 Minuten

zuerst veröffentlicht auf: untergrund-blättle.de

In einem Band von 2019 versammeln die herausgebenden Professor*innen Christine Magerski und David Roberts 15 akademische Aufsätze unter dem Thema der anarchistischen Kulturrebellion.

Bild: Oxford Circus Anarchy. / shando. (CC BY-SA 2.0 cropped)

Hierbei folgen sie der universitären Gepflogenheit vor allem über bestimmte Aspekte zu schreiben und zu urteilen, statt etwa zunächst die Perspektive von Anarchist*innen einzunehmen, die auch heute Kultur produzieren. Sprich in „Kulturrebellen – Studien zur anarchistischen Moderne“ wird leider eine recht grobe Konstruktion „des“ Anarchismus vorgenommen, die an vielen Stellen bei einer näheren Kenntnis des Anarchismus als soziale und politische Bewegung zu wünschen übrig lässt. Dementsprechend wird auch in der Einleitung suggeriert, dass er Anarchismus spätestens nach der Niederschlagung der Spanischen Revolution politisch irrelevant geworden wäre und seine Wiederentdeckung im Zuge der 68er-Bewegung vor allem in der kulturellen Dimension stattgefunden hätte.

Es ist unbestritten, das die politische Wirkungsmacht des Anarchismus vor allem im deutschsprachigen Raum nach Ende der 1920er Jahre ziemlich gering war. Dies trifft vor allem zu, wenn man fairerweise die radikalen Flügel der Neuen Sozialen Bewegungen, wie etwa der Anti-AKW-Bewegung oder die zweite Welle der Frauenbewegung nicht pauschal als anarchistisch deklariert. Weiterhin stimmt es, dass anarchistische Tendenzen in kultureller Hinsicht fortwährend einen Stand hatten und Anarchist*innen im Kulturbereich ein Refugium fanden und finden.

Problematisch ist die Rahmung von Magerski und Roberts jedoch deswegen, weil sie implizit zu einer Entpolitisierung des Verständnisses von Anarchismus beitragen und damit die falsche Annahme seiner politische Unzulänglichkeit reproduzieren, gerade indem sie im in der kulturellen Dimension eine gewisse Bedeutung zugestehen. Dieser Blickwinkel ist im Grunde genommen analog zu jenem geformt, welcher anarchistische Aktivist*innen infantilisiert, wenn diese konkrete Utopien formulieren, während sie mit ihm gleichzeitig dämonisiert werden, wo Privateigentum nicht respektiert oder sich gegen staatliche Repression zur Wehr gesetzt wird.

Warum finden sich im Sammelband keine Beiträge zur anarchafeministischen Utopie wie sie in den anspruchsvollen Kompositionen und Musikvideos der Künstlerin Björk zum Ausdruck kommen? Warum wird die Punkbewegung nicht diskutiert? Warum nicht die radikale Kritik, welche die Band Pussy Riot in ihren Performances entwickelte – und die gerade deswegen hochgradig politisch wirkte? Wie ist die performative und konfrontative Aktionsform der „Rebel Clown Army“ zu deuten – Ist sie noch Kunst oder schon Politik? Ist sie avantgardistisch oder populär?

Warum lesen wir darin weder von den kulturellen Ausdrucksformen der zeitgenössischen feministischen Bewegung Lateinamerikas, die ganz zu weiten Teilen anarchistisch inspiriert ist, noch über die historischen Bildungs- und Kulturvereine der libertär-sozialistischen Bewegung? Auf den Punkt gebracht: Warum wird im Sammelband letztendlich die eigentlich interessante Frage umschifft, worin die produktiven Schnittstellen zwischen anarchistisch beeinflussten kulturellen Formen und ihren politischen Implikationen bestehen? Beziehungsweise warum wird nicht dargestellt, welche kulturellen Erzeugnisse Menschen hervorbringen, die sich politisch-weltanschaulich als Anarchist*innen begreifen? Die Antwort ist vermutlich in der Form akademischer Wissensproduktion, sowie der sozialen Position der Beitragenden zu suchen.

Dabei sind viele Beiträge im Einzelnen durchaus informiert und für sich genommen interessant. Das zeigt sich beispielsweise in den Texten „Anarchismus – Bohème – Avantgarde. Zum Konnex dreier Denkfiguren der Moderne “ (Christine Magerski), „Von der dadaistischen Anti-Kunst zur politischen Aktion. Erwin Piscators Kampf gegen die Repräsentation “ (Franz-Josef Deiters), „Anarchismus als Fluchtpunkt der ’68er Kulturrevolution “ (Ivana Perica) oder „Wie die Utopie zum anarchistischen Roman wurde. Michael Moorcocks Zeitnomaden-Trilogie und die kritische Utopie “ (Peter Seyferth). Was wiederum Beiträge darin zu suchen haben, welche von Friedrich Nietzsche oder Walter Benjamin handeln oder das Verhältnis von Wahnsinn und Kunst besprechen, bleibt unklar.

Ebenso hat sich Daniel Loicks anschliessender Beitrag zu den „Aufgaben einer anarchistischen Sozialtheorie“ eher im Sammelband verirrt, in dem Verhältnis von Kultur und Politik kein Thema ist. Die drei darin formulierten Gedankenanstösse („Von der gegenseitigen Hilfe zur Sym-Poiesis“, „Von der freien Vereinbarung zur Transformative Justice“ und „Vom Anarcho-Kommunismus zu den feministischen Commons“) sind meines Erachtens nach insofern diskussionswürdig, als dass mit ihnen unterstellt wird, dass die erneuerten Verständnisse nicht selbst schon stark anarchistisch inspiriert wären – und insofern nur zur Erneuerung der politischen Theorie des Anarchismus empfohlen werden können, wenn unterstellt wird, dass diese sich seit Kropotkin nicht weiter entwickelt hätte. Dankenswerterweise stellen sie Vorschläge dar, die zum mitdenken und weiterdenken einladen, statt blosse Wiedergaben zu sein.

Doch zeugen auch Loicks Gedanken von einer ungenügenden Kenntnis anarchistischer Tradition. So ist sein Gedanke der „Sym-Poiesis“ schon bei „naturalistischen“ Anarchist*innen wie Elisée Reclus oder Isaasḱ Puente angelegt. „Freie Vereinbarung“ stellt nicht allein den Modus zur Herstellung von „Gerechtigkeit“ dar, wenn Verletzungen geschehen, sondern die Grundlage des bewusst gestalteten sozialen Miteinanders überhaupt. Schliesslich sind „feministische Commons“ in vielerlei Hinsicht eine sinnvolle zeitgemässe theoretische Entwicklung, selbstverständlich auch gegenüber Kropotkins Konzeption. Über die Tatsache, dass Anarchismus für die Abschaffung des Kapitalismus, der Klassengesellschaft und des Privateigentums steht, sollte Loick seine Leser*innen aber nicht hinweg täuschen. Interessanterweise begeht er mit seinen Empfehlungen den gleichen Fehler wie in seinem Einführungswerk (2017), wo er auf verkürzte Weise im Anarchismus ein liberales und ein soziales Freiheitsverständnis miteinander konkurrieren sieht und den Anarchist*innen dann einen neuartigen, „ästhetischen“ Freiheitsbegriff empfiehlt – welchen jedoch bereits Bakunin 1871 entwickelte. So zeigt sich bei Loick par pro toto (auch wenn er darin deutlich besser als viele andere ist), dass spekulative akademische Interpretationen gegenwärtig wenig zur Aktualisierung der politischen Theorie des Anarchismus beitragen. Den Unterschied würde eine umfassendere Kenntnis anarchistischer Theorie und Tradition, den sympathisierenden Kontakt zu anarchistisch inspirierten Personen (nicht nur in Gedanken und Worten, sondern in Taten und ihrem Leben), sowie die Bereitschaft, entgegen dem langweiligen akademischen Betrieb, Position zu beziehen, machen.

Allgemein sind verschiedene Beiträge zu begrüssen, welche sich anarchistischen Themen, Praktiken und Gegenständen widmen und sie dabei nicht völlig verkennen. Dies trifft grundsätzlich auch auf den Sammelband von Magerski und Roberts zu. Perspektiven, die ich persönlich wirklich für relevant halte, weil sie nicht nur ein besseres Verständnisses der Kultur in der Moderne ermöglichten, sondern zu ihrer selbstorganisierten und selbstbestimmten Mitgestaltung einladen, kommen darin jedoch leider nur sehr wenige vor. Möglicherweise gibt darüber jedoch auch ein Konzert in einem alternativen Zentrum mehr Aufschluss, als die Lektüre eines Buches.

Umgekehrt hingegen gälte es den eminent (anti)politischen, rebellischen Gehalt kultureller Praktiken in anarchistisch beeinflussten Szenen, wieder zu entdecken und im Sinne einer Gegen-Kultur neu zu beleben. Denn all zu oft haben sie sich verselbständigt und sind zu Selbstzwecken verkommen – eben weil sie immer wieder als blosse Subkultur statt im selben Zuge als (Anti)Politik dargestellt und verstanden werden.

Jonathan Eibisch

Christine Magerski / David Roberts (Hrsg.): Kulturrebellen – Studien zur anarchistischen Moderne. Springer VS; 1. Edition 2019. 322 Seiten. ca. SFr. 45.00 ISBN 3658222743

Globaler Anarchafeminismus: He-Yin Zhen und Emma Goldman

Lesedauer: < 1 Minute

Unter dem Titel Globaler Anarchafeminismus zu Beginn des Jahrhunderts. Werke und Wirken von He-Yin Zhen und Emma Goldman im Vergleich hat sich Josefine Rein mit dem Anarchafeminismus an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert beschäftigt. Sie zeigt anschaulich auf, wie in anarchafeministischen Positionen Kritik an Kapitalismus, Staat und Patriachat zusammen gedacht wurde und somit ein Gegenwicht zu nur-linken oder liberalen emanzipatorischen Positionen bildeten. Trotz der verschiedenen geografisch-kulturellen Kontexte von Goldman und He-Yin wird deutlich, wie ähnlich ihre Schlussfolgerungen sind. Abgesehen von bestehenden internationalen Vernetzungen liegt dies nicht zuletzt daran, dass anarchafeministische Perspektiven offenbar einige Wahrheit beinhalten, welche denkende Menschen an verschiedenen Orten gleichzeitig entdecken können. Das Thema wurde zwar schon einige Male behandelt. Josefine Reins Darstellung ist aber dahingehend gut und beachtenswert, dass sie den Anarchafeminismus mit einer aktuellen informierten Herangehensweise untersucht, den Gegenstand also nicht historisch konserviert, sondern seine Aktualität herausstellt. Vielen Dank für das zur Verfügung stellen!

Gai Dao #114 erschienen

Lesedauer: < 1 Minute

Bei der Gai Dao hat sich wieder mal einiges verändert. Als anarchistisches Zeitschriftenprojekt finde ich sie weiterhin spannend, sehe aber auch, dass ich meine Zeit darin hatte. Es braucht ebenfalls eine dezidierte anarchistische Theoriezeitschrift, die gleichzeitig verständlich, bewegungsnah und unverschroben ist…

Anarchistisch ums Ganze

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Eva von Redeckers Revolutionäre Protestphilosophie

veröffentlicht in den „Libertären Buchseiten“ der Graswurzelrevolution #459

Buchbesprechung

Eva von Redecker: Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen, Fischer-Verlag, Frankfurt/M. 2020, 320 Seiten, 23 Euro, ISBN 978-3-10-397048-7

Ist die Rede von Revolution heute nicht vollkommen aus der Zeit gefallen? Dies ist eine erste Frage, die sich mir stellt, wenn ich den Titel Revolution für das Leben der Philosophin Eva von Redecker in die Hände nehme. Die Antwort, welche die Autorin in ihrem Buch formuliert, ist in eindeutiges Nein. Auf der Suche nach einem Begriff für die Sehnsucht danach, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse radikal, umfassend und langfristig verändert werden können, erscheint es in den letzten Jahren immer sinnvoller auch wieder von Revolution zu sprechen. Zu allen Zeiten argumentierten Fürsprecher*innen der sozialen Revolution, dass sich die gesellschaftlichen Widersprüche zuspitzen würden und Auseinandersetzungen unvermeidlich seien. Jedoch bestehe auch die Möglichkeit, sie in eine emanzipatorische Richtung zu drängen. Dennoch nähren die massiven sozialen Verwerfungen gerade heute und weltweit eben jene Sehnsucht, beziehungsweise führen zur bloßen Notwendigkeit, dass die Gesellschaft grundlegend anders werden kann und soll. Die Corona-Pandemie wirkt auch für Eva von Redecker als Katalysator, um eine solidarische Perspektive auf die Transformation der gesamten Gesellschaft zu entwerfen.

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Tag der Befreiung vom Faschismus

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Mal abgesehen davon, dass ich diesen Formulierungen á la „Wir sind alle XYZ“ oder „Alle nach ABC kommen!“ beziehungsweise auch „Irgendwas bleibt rot!“ tatsächlich ziemlich bescheuert finde, weil sie zwar ein diffuses Wir-Gefühl erzeugen, darüber hinaus meistens aber auch nicht mehr bezwecken, lohnt es sich morgen wieder mal auf die Straßen zu gehen. In Erinnerung an die Befreiung vom nationalsozialistischen Faschismus, die ja gewissermaßen ein anhaltender Prozess ist. Gleiches ließe sich über die unabgeschlossene Entnazifizierung staatlicher Behörden sagen…

https://www.wirsindallelinx.com

Anarchistisch ums Ganze

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Eva von Redeckers Revolutionäre Protestphilosophie

Buchbesprechung

Eva von Redecker: Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen, Fischer-Verlag, Frankfurt/M. 2020, 320 Seiten, 23 Euro, ISBN 978-3-10-397048-7

Ist die Rede von Revolution heute nicht vollkommen aus der Zeit gefallen? Dies ist eine erste Frage, die sich mir stellt, wenn ich den Titel Revolution für das Leben der Philosophin Eva von Redecker in die Hände nehme. Die Antwort, welche die Autorin in ihrem Buch formuliert, ist in eindeutiges Nein. Auf der Suche nach einem Begriff für die Sehnsucht danach, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse radikal, umfassend und langfristig verändert werden können, erscheint es in den letzten Jahren immer sinnvoller auch wieder von Revolution zu sprechen. Zu allen Zeiten argumentierten Fürsprecher*innen der sozialen Revolution, dass sich die gesellschaftlichen Widersprüche zuspitzen würden und Auseinandersetzungen unvermeidlich seien. Jedoch bestehe auch die Möglichkeit, sie in eine emanzipatorische Richtung zu drängen. Dennoch nähren die massiven sozialen Verwerfungen gerade heute und weltweit eben jene Sehnsucht, beziehungsweise führen zur bloßen Notwendigkeit, dass die Gesellschaft grundlegend anders werden kann und soll. Die Corona-Pandemie wirkt auch für Eva von Redecker als Katalysator, um eine solidarische Perspektive auf die Transformation der gesamten Gesellschaft zu entwerfen.

„Wie kann eine Revolution heute aussehen?“, könnte die zweite Frage lauten. Die Autorin spricht hierbei bewusst von einer „Revolution für das Leben“, weil sie davon ausgeht, dass die kapitalistische Herrschaft eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform ist, die sozialen Tod produziert und zur Folge hat. Und dies gelte nicht erst oder vor allem zum heutigen Zeitpunkt, an welchem dem der Karren bereits an die Wand gefahren zu sein scheint, sondern seit Jahrzehnten und aus einer zugrundeliegenden Logik heraus. Hierbei nimmt sie eine aus Marx‘ frühe Schriften abgeleitete strukturelle Sichtweise ein und fordert uns mit Hannah Arendt auf, aktiv zu werden und ins Handeln zu kommen. Inspiriert unter anderem vom Gustav Landauer entfaltet Eva von Redecker das Verständnis eines prozesshaften, aber tiefschürfenden Wandels. Radikale Veränderungen finden nach diesem Verständnis dezentral in unterschiedlichen Zwischenräumen statt, in denen alternative Formen von Beziehungen, Produktion und Selbstorganisation entwickelt und verwirklicht werden. Die „Sachherrschaft“ des Kapitalismus soll so durch die „Weltwahrung“ schwinden und gebrochen werden. Dabei gehe es auch darum, die „Gezeiten“ von natürlichen Kreisläufen wieder wahrzunehmen. Maßgeblich mit Blick auf die Tatsache des Klimawandels entwickelt von Redecker ihren Revolutionsbegriff aus der ökologischen Dimension weiter – wie es vor Jahrzehnten bereits Murray Bookchin (siehe Artikel in GWR 455) tat.

Doch wie sollen wir heute revolutionär werden und wer führt die Revolution durch? Gelungen an Revolution für das Leben ist insbesondere, dass die Autorin keine schöngeistigen Luftschlösser baut. Sie pflegt kein romantisiertes Verständnis von Revolution, das uns für den Alltagsgebrauch nicht mehr als etwas Erbauung bieten kann. Vielmehr orientiert sie sich an den großen zeitgenössischen emanzipatorischen, sozialen Bewegungen der letzten Jahre: dem Antirassismus von Black Lives Matter, dem Feminismus von Ni una menos und der Klimagerechtigkeitsbewegung. Dies ist ihr hoch anzurechnen und für eine philosophische Betrachtung keineswegs selbstverständlich, denn es gelingt von Redecker auf überzeugende Weise, die Perspektive zu wechseln und sich von diesen Bewegungen in einem positiven Sinne mitreißen zu lassen. Dabei vergisst sie nicht, dass wir nach wie vor in einer Klassengesellschaft leben und eine sozial-revolutionäre Perspektive auch zwangsläufig die Frage nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel aufwerfen muss.

Revolution für das Leben ist in drei Teile gegliedert. In den ersten vier Kapiteln (unter den Überschriften „beherrschen“, „verwerten“, „erschöpfen“ und „zerstören“) wird eine zeitdiagnostische Bestandsaufnahme gewagt und eine Sprache gefunden, um dem vielfach zerstörerischen Zustand der Gegenwartsgesellschaft realistisch zu beschreiben und ihn konfrontieren zu können. Im fünften Kapitel wird der aktualisierte Revolutionsbegriff umrissen, der mit Walter Benjamin insbesondere eine Herangehensweise des Stoppens und Aussteigens beinhaltet. Die Revolution ist hierbei nicht als Lokomotive, sondern als Notbremse der Geschichte zu verstehen. Im sechsten bis neunten Kapitel („retten“, „re-generieren“, „teilen“ und „pflegen“) wird veranschaulicht, welche Ansatzpunkte und Überzeugungen in den genannten sozialen Bewegungen bereits bestehen, die sich auf deren Selbstverständnisse und Organisationsformen auswirken. Neben Ausbeutung und Unterdrückung betont Eva von Redecker die Dimension der Entfremdung, der sie die Vorstellung einer „Wiederweltnahme“ (statt der Aneignung) entgegensetzt.

Da die gesamte Denkweise in ihren wesentlichen Grundgedanken einen spürbar anarchistischen Ton aufweist, wäre es schön gewesen, die Autorin hätte diesen noch stärker herausgestellt. Weil sie ihr Verständnis auch aus den Anschauungen der sozialen Bewegungen gewinnt, damit jedoch unweigerlich auch an Grenzen stößt, wird deutlich, dass jene sich ebenfalls stärker ihrer selbst bewusst werden müssten, um zielgerichteter vorangehen zu können.

Eine gewisse Leerstelle bildet die Frage, wie mit den Konfrontationen umgegangen werden kann, in die sozial-revolutionäre Bewegungen unweigerlich hineingezogen werden. Auch dahingehend hält von Redecker es offensichtlich mit Landauer, demzufolge wir mit dem Sozialismus beginnen, etwas für ihn tun müssen, um ihn zu ermöglichen. Statt den Fokus auf den scheinbar allmächtigen Gegner zu legen, gelte es somit eher, dass sich Aktivist*innen auf sich besinnen, von sich ausgehend handeln und Neues schaffen. Dies ist die realistische Hoffnung, die wir haben können.

Jonathan Eibisch