Und worauf stellt du deine Sache?

Lesedauer: 10 Minuten

Zum 210. Geburtsjahr von Johann Caspar Schmidt alias Max Stirner

zuerst veröffentlicht in: Gai Dao #67 / Juli 2016

von Jens Störfried

Die nur so halb runde Zahl an Jahren möchte ich zum Anlass nehmen, einige Gedanken zu äußern, die mich beim Lesen von Max Stirner inspiriert haben. Genauer genommen war es nicht nur Stirner alleine und für sich, sondern auch seine Interpretation durch Saul Newman[1], die ich für die Entwicklung aktueller anarchistischer Theorien sehr wichtig finde. Jawohl, anarchistische Theorien![2] In diesem Beitrag soll es jedoch nicht darum gehen, den Lebensweg Stirners nachzuzeichnen, seine Rezeptionsgeschichte darzustellen oder seinen Einfluss zu bestimmen. Wer sich dafür interessiert, wird an verschiedenen Stellen fündig.[3] Hier ist also auch nicht der Platz für Einführung in die Gedanken Stirners, sondern es handelt sich um einige Gedanken zu ihm…

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Pokémon Go Home

Lesedauer: 6 Minuten

Eine sarkastische Kolumne über die Verwirrungen durch Pokémon Go

zuerst veröffentlicht in: Gai Dao #69 / Sept. 2016

von Imgart Edelweiß, der beleidigten Anarchakonservativen

(Entgegnungen, am besten in literarischer Form sind sehr erwünscht!)

Wir saßen vor unserem Haus auf der Couch als wir sie zum ersten Mal bemerkten. Dutzende Menschen, die standen oder auf Geländern saßen und auf in manischer Versessenheit auf ihre smartphones glotzten. Im Grunde genommen keine seltsame Sache in unseren individualisiert, entfremdeten, vernetzten Zeiten. Doch irgendetwas schien seltsam, ungewöhnlich, anders im Verhalten der internetverbundenen und dauerüberwachten Mobilfunknutzer_innen. Es war der zweite Tag an dem Pokémon Go in der BRD rauskam. Desinformiert und von der Mehrheitsgesellschaft abgeschnitten wie stets erfuhr ich erst vom Freund der bei mir saß vom Hype, dessen Ankündigung schon an mir vorbeigegangen war. An dieser Stelle drängt es mich, mich zu outen: Ich verstand meine Umwelt nie und darum ist es eine traurige Tatsache, dass bei mir nicht mal Kindheitserinnerungen wach werden, wenn es um Pokémon geht. Das ist total langweilig, ich weiß. Dabei bin ich nicht mal ohne Fernseher aufgewachsen, sondern hatte früher wohl einfach keine Freund*innen. Oder habe ich mir meine rudimentären Pokémon-Erinnerungen über die Jahre weggesoffen?

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Zum Begriff der Freiheit

Lesedauer: 6 Minuten

zuerst veröffentlicht in: AIBJ // September 2016

von Jens

Kaum ein anderer Begriff ist wie jener der Freiheit mit derart unterschiedlichen Vorstellungen aufgeladen. Zusammen mit „Gerechtigkeit“ und „Frieden“ findet er in jeder Weltanschauung und Ideologie Verwendung. So leben wir unter der Herrschaft einer „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, die bis 1990 Teil der sogenannten „freien Welt“, demokratisch-kapitalistischer Staaten in Abgrenzung zum Ostblock war. Der Begriff ist somit fester Bestandteil der mehr oder weniger demokratischen Gesellschaftsformen, die nach der bürgerlichen Französischen Revolution entstanden sind. Demnach ist er verknüpft mit der Vorstellung, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln seien und als Individuen persönliche Rechte und Pflichten hätten, die ihnen staatlich garantiert werden müssten. In den sogenannten westlichen Ländern bildet der Freiheitsbegriff einen wesentlichen ideologischen Grundpfeiler, der kein Stück angekratzt werden darf. Um das zu gewährleisten müssen Menschengruppen in ihrer Freiheit beschnitten werden, weil sie sonst die Freiheit anderer gefährden würden.

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Missverständnis individuelle Selbstermächtigung

Lesedauer: 6 Minuten

zuerst veröffentlicht in: Gai Dao #71 / Nov. 2016

von Irmgard Edelweiß, der beleidigten Anarchakonservativen

(Der folgende Text ist ironisch gemeint. Die Überschrift hingegen nicht, sondern bezeichnet, worauf die Ironie abzielt. Erstrebenswerte kollektive Selbstermächtigung wird hier nicht behandelt. Dem Thema wird sich nicht „seriös“ sondern bitter-böse genähert und der Beitrag hat nicht die Absicht, jegliche Selbstermächtigungserfahrungen oder -konzepte für schlecht zu erklären.)

Ja, es hat Gründe, dass wir uns oftmals völlig hilf- und ratlos in dieser Gesellschaft fühlen, die uns permanent überfordert, irritiert und kaum sinnvolle Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Ohnmächtig hocken viele Leute beispielsweise vor der Glotze und ziehen sich die Tagesschau oder andere Nachrichten rein, bei der sie möglicherweise durchaus ein Teil des Ausmaßes des Elends begreifen, in welchem wir uns befinden. Auch die verheerenden Folgekosten unserer Gesellschaftsform lassen sich nie vollends verdrängen. Eine schicksalshafte Katastrophe nach der anderen wird den Zuschauer*innen da präsentiert – und somit eine kollektive Ohnmacht erzeugt, welche sie an den Staat appellieren lässt, statt ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen. Unmöglich können in diesem Zusammenhang Selbstwirksamkeitserfahrungen gemacht werden. Diese entstehen nur da, wo es die Einzelnen unmittelbar betrifft und bei ihnen ein Gefühl ihrer Handlungsmacht entsteht, die nicht einfach da ist, sondern sich genommen und erweitert werden muss.

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Anarchistisches Denken als kritiklose Gedankenspielerei?

Lesedauer: 7 Minuten

Originaltitel: Wie anarchistisches Denken zu kritikloser Gedankenspielerei und idealistischer Absurdität verkommt – keine Provokation

zuerst veröffentlicht in: Gai Dao #87 / März 2017

von Mona Alona

Auf der facebook-Seite von Peter Seyferth[1] findet sich ein Vortrag, welchen er auf einem sozialwissenschaftlichen Workshop am 19.01. in Gießen hätte halten wollen. Der Titel lautet „Eine moderne Theorie des klassisch-anarchistischen Staats. Analyse, Vorschlag und Provokation“. Als Letztere wirkt Seyferths Vortrag hauptsächlich aufgrund des flachen Niveaus seiner Argumentation, die – sicherlich gut verpackt – in politikwissenschafltichem Gewand präsentiert wird. Die theoretischen Grundlagen der Anarchistischen Pogopartei wirken vergleichsweise tiefgründiger. Um dies nachzuvollziehen ist auf die Gesamtaussage und Betrachtungsweise Seyferths einzugehen. Er entfaltet den Strang, mit Crispin Sartwell die Illegitimität moderner Staates zu belegen, weiterhin Kriterien der Legitimität sozialer Ordnungen nach David Beetham darzustellen, auf Revolutionsvorstellungen im klassischen Anarchismus einzugehen, um schließlich zu begründen, warum es einen „anarchistischen Staat“ geben müsste oder sollte. Seyferth scheint der Ansicht zu sein, dass letzte Aussage orthodoxe oder einfach überzeugte Anarchist*innen provozieren soll. Dies möchte er offensichtlich eher zum Selbstzweck als um zum Nachdenken oder zur Diskussion anzuregen, schließlich verkennt er die zugrundeliegenden und schon oft diskutierten Fragestellungen, nämlich des anarchistischen Umgangs mit Macht, Gewalt und Zwang in revolutionären Situationen oder bei Versuchen der Etablierung und Aufrechterhaltung einer sozialen Ordnung, die den Anspruch hat, „herrschaftsfrei“ zu sein. Für einen anarchistischen Wissenschaftler, der sich jahrelang um sinnvolle Beiträge und Diskussionen um Anarchismus bemüht hat, ist diese Herangehensweise meiner Ansicht nach äußerst befremdlich. Seine Überlegung zu einem „anarchistischen Staat“ sind nicht provozierend, sondern absurd.

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(M)ein Weg zum Anarchismus

Lesedauer: 8 Minuten

Originaltitel: (M)ein Weg zum Anarchismus – persönliche Reflexion über bisherige politische Sozialisation. Ein Anstoß

zuerst veröffentlicht in: Gai Dao #76 / April 2017

von Simone

Der folgende Text ist bewusst subjektiv und aus der Perspektive eines Eigenbrötlers verfasst. Darin wird über verschiedene Erfahrungen und die Fähigkeiten und Möglichkeiten zu ihrer Interpretation und Reflexion nachgedacht. Unter anderem geht es um die Frage, mit welchen Gruppen sich Menschen identifizieren, wenn sich ihre politische Identität entwickelt und welche Gründe das hat.

Seitdem ich, in Kontexten wo es Sinn ergibt und wenn mir danach der Sinn stand, angefangen habe mich eindeutig als Anarchist zu positionieren und auch die Ideen des Anarchismus öffentlich zu propagieren, spürte ich doch eigentlich nie das Verlangen, Menschen wirklich davon überzeugen. Das klingt erst mal ziemlich seltsam, finde ich, denn welchen Grund sollte es sonst haben, sich öffentlich zu bestimmten politischen Vorstellungen und Bewegungen zu bekennen, wenn nicht den, andere auf die eigene Seite, in die eigene Gruppe, in das eigene Weltbild holen zu wollen? An einer Klandestinität lag es sicherlich nicht, denn was klandestin ist, dazu äußere ich mich nicht. Umgekehrt halte ich es aber für völlig unsinnig, meine Perspektive zu verbergen, da ich ihrer sicher bin; sie begründen kann; sie mit meinem ganzen Leben zu tun hat. Eine Art „Coolness“ war ebenfalls nicht der Grund, denn ich bin alles andere als cool – ausgenommen einer innerlichen Abgefucktheit, die sich aus einer großen Sensibilität speist und deswegen leider öfters eine Distanz zu den Dingen notwendig macht.

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Rezension zu „Der kurze Frühling der Räterepublik. Ein Tagebuch der bayrischen Revolution“

Lesedauer: 9 Minuten

zuerst veröffentlicht in: Gai Dao #88 / April 2017

von Jonathan Eibisch

Mehr als eine Rezension zu „Der kurze Frühling der Räterepublik. Ein Tagebuch der bayrischen Revolution“ (Simon Schaupp) [1]

„Vor hundert Jahren erhebt sich ein behäbiges Völkchen am Fuße der Alpen und ringt um eine der wenigen erfolgreichen Revolutionen in der bisherigen Geschichte Deutschlands. Für kurze Zeit wird Bayern zum Ort der Hoffnung auf einen radikalen Neubeginn nach dem Versinken der Imperien in der Barbarei des Ersten Weltkriegs. Das Deutsche Reich schaut je nach Anschauung hoffnungs- oder angstvoll auf Bayern, das bislang eher als Sinnbild eines dumpfen Konservatismus belächelt worden ist. Revolutionäre aus halb Europa pilgern nach München, das nun als Mekka eines freiheitlichen Sozialismus gilt. […]“[2]

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Schwierigkeiten und Widersprüche antirassistischer Arbeit

Lesedauer: 9 Minuten

Originaltitel: Schwierigkeiten und Widersprüche antirassistischer Arbeit und bei der Unterstützung Geflüchteter am Beispiel der Gruppe yalla-connect bei der Landeserstaufnahmestelle in Eisenberg/Jena

zuerst veröffentlicht in: Lirabelle #9 / Juni 2015

Der Artikel wurde aus einem gekürzten Interview mit Abdo und Gerd von Jens Störfried in Textform übertragen.

Vor mittlerweile einem halben Jahr hat sich eine Gruppe von Studierenden zusammengefunden, um sich mit der Situation in der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge (LAST) in Eisenberg auseinander zu setzen und die Geflüchteten praktisch zu unterstützen. Gemeinsam mit organisierten Geflüchteten aus Eisenberg wurde das Projekt yalla-connect ins Leben gerufen, welches zum Ziel hat, die Situation in der LAST öffentlich zu thematisieren und die unmenschlichen Zustände dort grundlegend zu verändern. An dieser Stelle sollen nicht die Veröffentlichungen der Initiative vorgestellt werden, doch seien diese als Hintergrund empfohlen.

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Filmbesprechung: „Eine kleine Geschichte der Anarchie“

Lesedauer: 3 Minuten

zuerst veröffentlicht in: Gai Dao #77 / Mai 2017

von Jens Störfried

Letztens schrieb mir eine Genossin eine SMS mit dem Hinweis: „Spannende Anarchismus-Doku, läuft gerade auf Arte“. Als ich später in die Mediathek schaute, entdeckte ich dort die zwei Teile der mir bisher unbekannten Doku, welche unter der Regie von Tancrède Ramonet schon 2013 in Frankreich produziert worden ist.

Ich denke, es hat sein Für und Wieder, wenn Anarchie/Anarchismus als Thema von professionellen Filmemachern bearbeitet und somit der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird. Wichtiger finde ich eigentlich, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die selbst nach anarchistischen Prinzipien leben, anstatt über Anarchismus als historischen Gegenstand zu sprechen. Der Film „Projekt A“ hat viel eher diesen Fokus, mich persönlich aber nicht sonderlich überzeugt. (siehe den Beitrag von Zottel in der Gaidao #63 „Von Widerstand und Selbstorganisation zur Biogurke“)

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